Interview

"Wir verurteilen erzwungene Rückkehr in jeder Form."

04.07.2017   Lesezeit: 11 min

Ousmane Diarra von der Abgeschobenen-Selbstorganisation AME in Mali im Gespräch über erzwungene Rückkehr und ihre Folgen sowie die EU-Politik in Afrika.

Afrika steht in diesem Jahr mehrfach im Fokus des politischen Interesses in Deutschland: Sowohl das Global Forum on Migration and Development (GFMD) und die G20-Afrika-Partnerschafts-Konferenz in Berlin als auch der G20-Gipfel in Hamburg beraten darüber, wie Flucht und Migration aus Afrika besser gesteuert werden können. Auch auf europäischer Ebene geht es spätestens seit dem Gipfeltreffen in Valletta Ende 2015 verstärkt darum, gegen Flucht und Migration aus Afrika vorzugehen.

Entwicklungszusammenarbeit wird dabei zunehmend darauf ausgerichtet, Flucht und Migration nach Europa zu verhindern. Sie dient als Druckmittel, um die Empfängerländer zur Kooperation beim Migrationsmanagement im Sinne der Geberländer zu bewegen, soll Abschiebungen humanitär abfedern oder fließt direkt in den Grenzschutz und in Sicherheitsapparate. Eine immer wichtigere Rolle spielen Rückführungsprogramme, die Geflüchtete zu einer „freiwilligen Rückkehr“ bewegen sollen.

Der medico-Partner Ousmane Diarra von der Abgeschobenenselbstorganisation AME wurde am 17. Juni 2017 für sein inzwischen 20jähriges Engagement für die Rechte von MigrantInnen und Abgeschobenen in Mali mit der nationalen Ehrenmedaille für zivile Verdienste ausgezeichnet.

Ende Juni nahm er am Global Forum on Migration and Development in Berlin teil und am 6. Juli spricht auf dem Migrationspodium des Alternativgipfels in Hamburg. Wir haben ihn nach den Auswirkungen der europäischen Grenzpolitik für Mali gefragt.

medico international: Das Global Forum on Migration and Development ist ein staatengeführter unverbindlicher Prozess, in dessen Zentrum das Treffen von RegierungsvertreterInnen steht. Wie sieht es mit der Einbeziehung der Zivilgesellschaft aus?

Ousmane Diarra: Die RegierungsvertreterInnen haben sich nach dem Abendessen kurz mit der Zivilgesellschaft unterhalten und sind anschließend abgereist. Das veranschaulicht in etwa die Bedeutung, die sie der Zivilgesellschaft beimessen. Dennoch ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft hier vertreten ist und die Rechte der MigrantInnen vertritt. Auch als Gegengewicht zur Privatwirtschaft, die beim GFMD sehr präsent war.

Im Zentrum des diesjährigen GFMD standen Beratungen zum Global Compact on Migration der Vereinten Nationen, der 2018 beschlossen werden soll. Schon im September dieses Jahres soll es einen Entwurf dafür geben. Es ist nun sehr wichtig, trotz großem Zeitdruck und geringer Ressourcen auf die schon bald stattfindenden regionalen Konsultationen gut vorbereitet zu sein und sich entweder kritisch in den von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) organsierten Prozess einzubringen oder alternative Konsultationen zu organisieren. Die 50.000 US Dollar, die ganz Afrika für den Konsultationsprozess bereitgestellt werden, sind lächerlich und werden nur sehr geringe Partizipationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft schaffen.

Wie ist der Stand in Bezug auf die „Mobilitätspartnerschaft“ zwischen der EU und Mali? Gab es neue Abschiebungen an den Botschaften vorbei? 

Die Idee der europäischen Laissez-Passer-Papiere ist auf dem Gipfeltreffen europäischer und afrikanischer Staats- und Regierungschefs 2015 in Valletta entstanden. Eines von fünf vereinbarten Zielen des Gipfeltreffens war die „Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Rückführung und Rückübernahme“. Die Länder des Südens waren mit den Beschlüssen von Valletta allerdings keineswegs einverstanden. Einer der umstrittensten Punkte waren die Laissez-Passer-Papiere. Unsere Regierungen haben gesagt, dass sie Abschiebungen mit diesen europäischen Passersatzdokumenten nicht akzeptieren werden. In Mali gab es dennoch bereits zwei Abschiebungen mit europäischen Laissez-Passer-Papieren, eine aus Frankreich und eine aus Schweden. Daraufhin haben wir unsere Regierung befragt, wie das sein kann. Eine dritte Abschiebung mit einem Laissez-Passer-Dokument konnte aufgrund unserer kritischen Rückfragen verhindert werden. Die Person wurde am Flughafen von Bamako direkt wieder zurück nach Frankreich geschickt.

Kann man davon ausgehen, dass die malische Regierung sich auch weiterhin nicht auf ein Rückübernahmeabkommen mit der EU einlassen wird?

In Valletta wurde ein Fonds eingerichtet, um Maßnahmen der Migrationssteuerung in Afrika zu finanzieren. Zunächst wurden 1,8 Milliarden bereitgestellt, dann wurde der Fonds auf 2,5 Milliarden erhöht, und ich glaube, kürzlich gab es nochmal eine Aufstockung. Es ist eine enorme Konkurrenz sowohl zwischen den afrikanischen Staaten als auch zwischen afrikanischen Organisationen und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) um die Mittel aus diesem Fonds entstanden. Alle versuchen, es Europa recht zu machen, um an die Gelder zu kommen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen werben darum und spielen das Spiel mit.

Gleichzeitig sind die afrikanischen Regierungen nicht einverstanden mit dieser ganzen Politik. Sie machen sich Sorgen um ihre eigene Bevölkerung, die stark auf die Migration angewiesen ist. Und Menschen, die zurückgeschoben werden, sind in der Regel vollkommen mittellos. Daran hat niemand Interesse. Insofern wächst der Druck aus der eigenen Bevölkerung, den Forderungen der EU nach Abschiebeerleichterungen nicht nachzugeben. Zumindest bis zu den anstehenden Präsidentschaftswahlen hat der Druck aus der Bevölkerung in Mali durchaus Gewicht.

Wie verhält sich die AME dazu?

Wir als AME sind angetreten, um die Rechte der MigrantInnen zu verteidigen. Für uns wäre es nicht zulässig, Migration zu unterbinden oder uns an der Unterbindung zu beteiligen. Wir verurteilen die damit verbundene Politik. Wir verurteilen erzwungene Rückkehr in jeder Form. Aber wir schauen uns schon auch sehr genau an, was mit den Mitteln aus dem Fonds möglich ist. Wenn diese Mittel MigrantInnen zur Verfügung gestellt werden, um ein neues Leben zu beginnen und damit gute Sachen gemacht werden, hinter denen wir stehen können, sehen wir darin kein Problem. Dann ist dieser Fonds durchaus willkommen. Aber wir werden keine Mittel in Anspruch nehmen, die uns korrumpieren, Dinge zu machen, die nicht unserem eigentlichen Mandat entsprechen.

Wie schätzt du die die Programme zur „freiwilligen“ Rückkehr ein, die derzeit forciert werden? Gibt es MigrantInnen, die davon profitieren könnten?

Es gibt eine kleine Gruppe von MigrantInnen, die wirklich zurückkehren möchten. Ich nenne das „gewünschte freiwillige Rückkehr“. Für diese Menschen, die vielleicht in schwierigen Situationen sind und zurück möchten, können diese Mittel ein Segen sein. Aber was wir beobachten ist, dass bei einem Großteil der vermeintlich freiwilligen Rückführungen nicht von Freiwilligkeit gesprochen werden kann. Die Menschen werden teilweise sogar belogen. Dies konnten wir etwa bei den Rückkehrern aus Libyen beobachten, die durch die IOM in Kooperation mit der malischen Regierung rückgeführt wurden. Diesen Menschen wurden viele Lügen aufgetischt. Manche wurden sogar erpresst, damit sie zurückgehen. Darin liegt eine große Gefahr.

Für mich ist eine tatsächlich freiwillige Rückkehr eine, für die keine Sensibilisierung gemacht wird, also kein brainwashing und keine Überzeugungsarbeit geleistet wird, sondern wo die Leute eine echte freie Entscheidung treffen. Und zwar von sich aus. Aber was tatsächlich passiert ist, dass man den Leuten erzählt, es gebe Reintegrationsmaßnahmen nach ihrer Rückkehr, und es wird ihnen vorgegaukelt, dass sie über längere Zeit Unterstützung bekommen, was aber überhaupt nicht der Fall ist. 

Was kann die AME in diesem Zusammenhang tun?

Wir haben ein Programm entwickelt, das sich an MigrantInnen richtet, die von der sogenannten freiwilligen Rückkehr enttäuscht wurden. Menschen, denen man falsche Versprechungen gemacht hat und die besonders stark unter der Rückkehr leiden, die daran zerbrechen und psychosoziale Schäden davontragen. Unsere Motivation ist, den Fall ins 'Nichts' aufzufangen, in den viele Rückkehrende geworfen werden.

Wir sind gut ausgebildet im Bereich der psychosozialen Begleitung und in der Soforthilfe. Das ist für uns Routine. Wir können aber längst nicht allen Betroffenen helfen. Häufig können wir nur zusehen, wie erschöpft und traumatisiert die Leute sind. Unsere Ressourcen sind angesichts der Dramen, die so viele Menschen erleben, sehr begrenzt.

Anders als in den offiziellen Rückkehrprogrammen geht es euch also nicht um eine Integration in einen – meist nicht vorhandenen – Arbeitsmarkt, sondern um psychosoziale Begleitung.

Wir haben nicht in unserem Mandat, einkommensschaffende Maßnahmen durchzuführen. Deshalb haben wir nicht den malischen Arbeitsmarkt sondiert, um entsprechende Programme zu entwickeln. Unsere Initiative liegt vielmehr darauf begründet, dass die MigrantInnen, um die wir uns gekümmert haben, schon vor einigen Jahren auf uns zukamen mit der starken Forderung, etwas für sie in ihrer Perspektivlosigkeit und sozialen Ausgrenzung nach der Rückkehr zu tun. Daraus ist etwa die Praxis der Hausbesuche entstanden, bei denen wir die Wiederaufnahme in das soziale Umfeld unterstützen. In dieser Arbeit mit den Rückkehrenden und ihren Familien ist immer wieder die Forderung aufgetaucht, etwas bezüglich ihrer Arbeitssituation zu tun. Deshalb folgte ein Projekt, das sich mit Agrarwirtschaft und Viehhaltung beschäftigt. Wir schauen gerade, ob wir in diesem Bereich mehr für eine bestimmte Zielgruppe erreichen können.

Was ist das Wichtigste, das Menschen nach ihrer Rückkehr benötigen?

Die meisten sind zunächst völlig verloren. Sie wissen nicht, wie sie vor Ort wieder neu beginnen sollen. Ihnen fehlt das Geld, selbst um über die ersten Tage zu kommen. In diesen Fällen hilft die AME aus. Der malische Staat stellt nichts zur Verfügung, um diese Leute aufzufangen. Wir tun, was wir können, um sie zumindest wieder in ihr soziales Umfeld zu reintegrieren und aus der Isolation zu holen. Was die einzelnen Menschen dann brauchen, ist individuell sehr unterschiedlich.

Wie viele RückkehrerInnen brechen wieder auf?

95% würden wieder migrieren, wenn sie könnten. Es fehlen ihnen jedoch einfach die Mittel. Viele haben ihre Leben woanders aufgebaut und haben dort ihre Referenzpunkte und keine Kontakte mehr in Mali. Es gibt sogar Einzelfälle, in denen es Menschen gelingt, nach einer Abschiebung wieder mit einem Visum nach Europa zurückzukehren. Ich erinnere mich an einen Mann, der sich wirklich durchgekämpft hat. Er wurde 2008 aus Frankreich abgeschoben und hat seither um eine legale Rückkehr nach Frankreich gekämpft. 2016 erhielt er endlich ein Visum und konnte offiziell und sicher mit Air France einfliegen.

Ist die Beobachtung richtig, dass die AME seit einiger Zeit mehr Aufmerksamkeit seitens europäischer Staatschefs bekommt? Er kürzlich habt ihr Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Mali getroffen.

Im Rahmen unserer Arbeit bemühen wir uns schon immer, im Kontakt mit Botschaften, Institutionen und auch mit unserer eigenen Regierung zu sein. Einfach um besser zu verstehen, wie Migrationspolitik entsteht und beeinflusst wird und welche Herausforderungen und Risiken es gibt. Es ist also eine alte Praxis, die wir fortsetzen. Im Falle des deutschen Außenministers war es die AME, die auf die Botschaft zugegangen ist. Seither gab es mehrere Momente, wo man uns kontaktiert hat. Der erste Kontakt aber entstand, weil Deutschland plante, 400 MalierInnen abzuschieben. Damals waren es wir, die versucht haben zu verstehen, warum sie abgeschoben werden sollten und was mit ihnen geschehen wird. Zudem kamen diverse offizielle Delegationen und ParlamentarierInnen nach Bamako. Wir wollten wissen, warum. Als wir die Situation besser einschätzen konnten, sind wir mit diesen Informationen zum Ministerium für die Malier im Ausland gegangen und haben es damit konfrontiert. In gewisser Weise übernimmt die AME Tätigkeiten, die eigentlich JournalistInnen leisten müssten: Dinge herausfinden, investigative Rückfragen an Institutionen stellen. So etwas gibt es aber in Mali nicht.

Du wurdest als Präsident der AME kürzlich vom Auswärtigen Amt zu einer Deutschlandreise eingeladen. Worum ging es bei dieser Reise?

Ich habe immer viele kritische Fragen gestellt, die mir der Botschafter und andere GesprächspartnerInnen aber nicht beantworten konnten oder wollten. Deshalb wurde ich schließlich nach Deutschland eingeladen. Diese Reise war so angelegt, dass die Bundesregierung versucht hat, uns afrikanischen Journalisten ein Bild davon zu vermitteln, wie gastfreundlich Deutschland ist und welche positiven Ansätze in der Migrationspolitik verfolgt werden. Die Kernbotschaft aber war: „Wir können und wollen nicht alle aufnehmen und wir sind gegen jegliche Form irregulärer Migration."

Was erwartest du von der Bundesregierung und dem G20-Gipfel mit deutscher Präsidentschaft?

Da weder RegierungsvertreterInnen aus dem globalen Süden noch VertreterInnen der Zivilgesellschaft einbezogen werden, erwarte ich vom G20-Gipfel nichts Gutes für Flüchtlinge und MigrantInnen. Ich muss aber unabhängig davon auch die afrikanischen Regierungen kritisieren, die sich mit Mitteln aus Europa ruhigstellen lassen und Migrationspolitik nicht aktiv mitgestalten.

Interview: Ramona Lenz und Sabine Eckart

Redaktionelle Bearbeitung: Maria Hartmann
 

Deutschland hat Rückübernahmeabkommen mit 13 Staaten abgeschlossen, darunter Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und dem Kosovo. Neben Abkommen zwischen einzelnen Staaten gibt es auch gemeinsame Verträge der EU. Ein relativ neues und wichtiges Element der EU-Migrationspolitik sind „Mobilitätspartnerschaften“, die migrations- und entwicklungspolitische Ziele verbinden sollen. Einige solcher Partnerschaften wurden bereits geschlossen, weitere sind in Planung.

Auch das westafrikanische Mali wird von der EU seit geraumer Zeit zu einer „Mobilitätspartnerschaft“ gedrängt, die Rückübernahmemodalitäten beinhaltet. Kommt es wie geplant zur Unterzeichnung, erhalten die Mitgliedsstaaten der EU die Möglichkeit, hier lebenden Migranten und Migrantinnen ohne Papiere Ersatzdokumente („Laissez Passer“) auszustellen. Solche von den EU-Staaten selbst ausgestellten Passersatzdokumente ermöglichen die Abschiebungen unabhängig von der Zustimmung der jeweiligen Botschaften. Damit soll die Abschiebung tatsächlich oder auch nur vermeintlich aus Mali kommender Migrantinnen und Migranten nach Mali vereinfacht und beschleunigt werden. In den Staaten des westlichen Balkans werden solche Papiere bereits akzeptiert.

Im so genannten Asylpaket II hat die Bundesregierung beschlossen, dass sich eine neue Organisationseinheit der Bundespolizei um die Beschaffung der Ersatzpapiere kümmert, um so die Länder bei der Abschiebung effektiver zu unterstützen.

Obwohl die malische Regierung diesem Verfahren bislang nicht zugestimmt hat, werden bereits seit August 2016 Personen aus Frankreich und Schweden mit solchen EU-Laissez-Passer-Papieren nach Mali abgeschoben.


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