Asylsuchende aus Sri Lanka haben am Frankfurter Flughafen keine Chance

medico international und PRO ASYL fordern Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland

21.12.2006  

In Sri Lanka herrscht Bürgerkriegschaos. Die wenigen Flüchtlinge, die auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt ankommen und einen Asylantrag stellen, werden gleichzeitig ausnahmslos als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Hilfsorganisation medico international, die auch Projekte in Sri Lanka unterstützt, und die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL kritisieren die Entscheidungspraxis am Flughafen als Folge politischer Vorgaben. Sie fordern einen sofortigen Verzicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge darauf, Asylanträge von Tamilen am Flughafen als „offensichtlich unbegründet“ einzustufen und einen sofortigen Abschiebestopp in den Krisenstaat.

„In Sri Lanka sind Verschleppungen, Verschwindenlassen, Folter, politische Morde und andere Menschenrechtsverletzungen zur Zeit an der Tagesordnung. Sie werden von allen Bürgerkriegsbeteiligten begangen“, berichtet medico-Referent Thomas Seibert, der gerade aus dem Land zurückgekehrt ist. Auch in der früher als ruhig geltenden Region Colombo kommt es zu Großrazzien und willkürlichen Verhaftungen. Vor dem Hintergrund der sich täglich verschärfenden Lage tamilische Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ einzustufen, ist unverantwortlich. „Das Bundesamt ignoriert die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes an solche Entscheidungen. Offenbar auf Geheiß des Bundesinnenministeriums soll ein Zeichen gesetzt werden. Man will Flüchtlinge aus Sri Lanka davon abhalten, in Deutschland überhaupt Schutz zu suchen“, so PRO ASYL-Referent Bernd Mesovic. Parallel zur Eskalation der Gewalt in Sri Lanka verschärfte sich die Entscheidungspraxis . Seit August wurden alle Anträge von Tamilen (20 Fälle) auf dem Flughafen Frankfurt als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Als „offensichtlich unbegründet“ darf ein Asylantrag nur dann gelten, wenn es zu den vorgetragenen Sachverhalten eindeutige und widerspruchsfreie Auskünfte und Stellungnahmen gibt, in denen eine Gefahr einhellig verneint wird. Verfügbare Quellen allerdings berichten über eine Zunahme von Verfolgung und willkürlicher Gewalt in Sri Lanka – und zwar nicht nur in den direkt umkämpften Landesteilen.

Erst seit dem 11. Dezember 2006 liegt ein aktueller Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Sri Lanka vor. Trotz diplomatischer Rücksichtnahme und der teilweisen Fortschreibung alter Textbausteine finden sich dort einige klare Sätze zur Situation. Sie legen Bundesamt und Gerichten eine sorgfältige Prüfung nahe. Das Auswärtige Amt konstatiert, dass sich Sri Lanka seit Ende Juli 2006 „faktisch im Kriegszustand“ befindet. „Die Auseinandersetzungen (...) haben im zweiten Halbjahr 2006 zu einer neuen Welle der Gewalt, einer weitgehenden Verrohung der Sitten und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geführt, die die Regierung zunehmend in die internationale Kritik bringen.“ Nach Auffassung von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Gemeinschaft sei die srilankische Regierung an einer Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen nicht interessiert und scheine eine Kultur der Straflosigkeit zu pflegen. Auch zu den Menschenrechtsverletzungen der anderen Bürgerkriegs-parteien, vor denen Flüchtlinge ebenfalls fliehen, finden sich im Lagebericht eindeutige Aussagen.

Eine Neubewertung der Risiken für Abgeschobene, etwa bei Einreisekontrollen, hat das Auswärtige Amt versäumt. Um so leichtfertiger sind die auf einer veralteten Grundlage beruhenden durchweg negativen Asylentscheidungen.

gez. Bernd Mesovic PRO ASYL

gez. Dr. Thomas Seibert medico international


Erläuterungen zum Flughafenverfahren

Asylsuchende, die aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 29a Asylverfahrensgesetz) kommen oder keinen gültigen Pass- oder Passersatz haben, werden dem Flughafenverfahren unterworfen. Dies bedeutet, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zunächst vor der Entscheidung über die Einreise, die die Bundespolizei zu treffen hat, die persönliche Anhörung durchführt.

Trotz des laufenden Asylverfahrens muss dem Asylbewerber die Einreise gestattet werden, wenn

  • das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht kurzfristig entscheiden kann,
  • das Bundesamt innerhalb von zwei Tagen nach der Asylantragstellung keine Entscheidung getroffen hat,
  • das Verwaltungsgericht im Eilschutzverfahren der Klage des Asylsuchenden stattgibt oder innerhalb von 14 Tagen nicht entschieden hat.

In diesen Fällen wird das Asylverfahren als reguläres Verfahren im Inland durchgeführt.

Lehnt die Außenstelle des Bundesamtes am Flughafen den Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ ab, verweigern die Grenzbehörden die Einreise. Die Bundesamtsentscheidung inklusive der Abschiebungsandrohung werden im Flughafen durch die Bundespolizei übergeben. Den Betroffenen bleibt nur noch das Eilrechtsschutzverfahren beim Verwaltungsgericht. Während der ganzen Prozedur bleibt der Betroffene in der Flüchtlingsunterkunft des Flughafentransit und gilt rechtlich als noch nicht eingereist.

Das Flughafenasylverfahren wird wegen des internierungsartigen Charakters der Unterbringung, der kurzen Fristen und der daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der anwaltlichen Vertretung als rechtsstaatlich fragwürdig kritisiert. Auch die Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsverfahrens erscheint bedenklich. Das Verwaltungsgericht entscheidet in der Regel ohne persönliche Anhörung des Betroffenen allein aufgrund des schriftlichen Eilantrages. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Asylsuchenden setzt jedoch einen persönlichen Eindruck voraus, den der Richter im Flughafenverfahren nicht hat. Folglich ist die Erfolgsquote der bei den Verwaltungsgerichten eingelegten Rechtsmittel gering. Die Zahl der Flughafenasylverfahren ist von 1996 bis 2005 kontinuierlich zurückgegangen, von 4.301 Verfahren im Jahre 1996 auf 427 im Jahr 2005. Möglicherweise wird sie in diesem Jahr zum ersten Mal wieder etwas höher liegen.


Informationen zur aktuellen Lage. Von medico international

Seit dem 7. Dezember liefern sich Regierungstruppen, die mit ihnen verbündeten abtrünnigen LTTE-Kämpfer der sog. „Karuna-Fraktion“ und Einheiten der LTTE heftige Gefechte bei Vakarai in der Nähe von Batticaloa. Die Armee versucht, die LTTE-Einheiten durch systematischen Granatbeschuss nach Vakarai zu treiben und dort einzuschließen, die LTTE beschießt umgekehrt die Stellungen der Armee, beide Seiten benutzen die Zivilbevölkerung dabei als lebendigen Schutzschild für ihre jeweiligen Stellungen. So flüchten seit Tagen Singhalesen vor dem LTTE-Beschuss in Richtung der Stadt Kantalai; Mitte Dezember wurden dort bereits 5000 Flüchtlinge gezählt, deren Unterbringung in Schulen, Tempeln und Zeltlagern wegen des heftigen Monsunregens prekär ist, auch wenn die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten noch gesichert zu sein scheint.

Die Zahl der tamilischen Flüchtlinge lag zur selben Zeit bereits bei etwa 11.000 Personen; problematisch ist hier, dass sich unter ihnen zahlreiche Menschen befinden, die erst im August aus der zu dieser Zeit umkämpften Stadt Muthur nach Vakarai geflüchtet waren und seither bereits in provisorischen Unterkünften zu leben gezwungen waren. Im Unterschied zu den singhalesischen Flüchtlingen sind die Tamilen bei ihrer Ankunft in Batticaloa heftigen Pressionen durch Armee und Karuna-Söldner ausgesetzt, weil sie generell unter dem Verdacht stehen, mit der LTTE kooperiert zu haben. So werden ganze Gruppen von völlig verängstigten Flüchtlingen über Stunden erst an Posten der Armee, dann an solchen der Karuna-Truppen festgehalten, wobei es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen von Einzelpersonen kommt, deren Schicksal ungewiss bleibt.

Katastrophale Ausmaße hat mittlerweile die Situation auf der Halbinsel Jaffna angenommen, auf der über 500.000 Menschen und mehrere zehntausend Flüchtlinge aus dem LTTE-kontrollierten Vanni-Gebiet leben, deren genaue Zahl auf wiederholte Nachfrage von niemandem beziffert werden konnte. Vom übrigen Festland durch das Vanni getrennt, das seit Monaten selbst vollkommen eingeschlossen ist, war Jaffna bis August über die durch das Vanni führende Überlandstraße A9 zu erreichen. Im August hat die Regierung die A9 schließen lassen und damit die Landverbindungen nach Jaffna unterbrochen. Die Halbinsel kann seither nur noch durch Boote und Schiffe beliefert werden, denen es gelingt, die seeseitige Abriegelung durch die srilankische Kriegsmarine zu überwinden.

Da die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten Schätzungen zufolge nur noch bei etwa 30% des Bedarfs liegt, herrscht in Jaffna Hunger. Dies ist umso bedrohlicher, als viele Menschen dort an dem Kräfte zehrenden Chikungunya-Fieber leiden, dessen Verbreitung auch im übrigen Sri Lanka epidemische Ausmaße angenommen hat. Die humanitäre Situation im ebenfalls eingeschlossenen Vanni ist kaum weniger dramatisch, auch wenn die Lebensmittelversorgung dort besser ist als auf der Jaffna-Halbinsel.

Der Einschluss der Menschen von Jaffna und des Vanni gilt als gezielter Versuch der Regierung, die Spannungen zwischen Zivilbevölkerung und LTTE zu verschärfen; Kenner der Situation sprechen von einer bewussten Geiselnahme der Zivilbevölkerung durch die Regierung.

Militarisiert ist auch die Hauptstadt Colombo, wo die Regierung erstmals überhaupt Einbahnstraßenregelungen eingeführt und an allen größeren Straßen im Abstand von 100 bis 200 Metern Militär postiert hat, das willkürlich Passanten kontrolliert und immer wieder Verhaftungen meist von Personen tamilischen Hintergrunds vornimmt. Die genaue Zahl der Verhafteten und „Verschwundenen“ anzugeben, ist insofern schwierig, als die offiziell angegebenen Zahlen von zwei bis drei Mal höheren Dunkelziffern übertroffen werden.


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