Im März verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat wieder einmal eine dringliche Erklärung zur fortdauernd fürchterlichen Menschenrechtssituation auf Sri Lanka. Der Bericht kritisiert zugleich, dass die sri lankische Regierung die Forderung der UN nach juristischer und politischer Aufarbeitung der zurückliegenden schwersten Menschenrechts- und Kriegsverbrechen ablehnt. In diesen über Jahrzehnte hinweg verübten Verbrechen hat Sri Lankas Armee allein im Frühjahr 2009 nachweislich 40.000, geschätzt bis 70.000 Menschen tamilischen Hintergrunds getötet.
Am 30. März dieses Jahres, also noch in dem Monat, in dem der Bericht des UN-Menschenrechtsrat veröffentlicht wurde, hat die die deutsche Bundesregierung unter Verantwortung ihres Innenministers Seehofer zwanzig tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka zum Rückflug in das Land gezwungen, aus dem sie unter Lebensgefahr geflohen, vor dem sie hier Schutz gesucht haben. Vier weitere Flüchtlinge aus der Schweiz nahm Seehofers Flieger willig an Bord. Die deutsche Bundesregierung hat den Bericht des UN-Menschenrechtsrats mit vorbereitet und mit verabschiedet.
Staatspräsident Sri Lankas ist heute Gotabaya Rajapaksa. 2009, während der Massaker gegen die tamilische Minderheit des Landes, war der heutige Präsident Kriegsminister. Er ist persönlich unmittelbar verantwortlich für die wenigstens 40.000 Toten des Frühjahrs 2009, für die um ein Vielfaches höhere Zahl der Vertriebenen, Verletzten und Verstümmelten, für das feminizidale Ausmaß der gezielten Massenvergewaltigungen tamilischer Frauen, für die flächendeckenden Zerstörungen im mehrheitlich tamilisch besiedelten Norden des Landes.
Die Bundesregierung weiß um die Gewalt in Sri Lanka
Rajapaksa ist darüber hinaus unmittelbar und persönlich verantwortlich für fortdauernde Menschenrechtsverbrechen im Land. Der wenige Tage vor Seehofers Abschiebeflug veröffentlichte Bericht des UN-Menschenrechtsrat spricht von „einer zunehmenden Marginalisierung von Personen, die den tamilischen und muslimischen Minderheiten angehören“, von „willkürlichen Verhaftungen, mutmaßlicher Folter und anderer grausamer, unmenschlicher, erniedrigender Behandlung“ sowie von noch immer fortdauernder „sexueller und geschlechts-spezifischer Gewalt.“ Die deutsche Bundesregierung weiß das, denn sie hat die Verabschiedung des Berichts im Menschenrechtsrat ausdrücklich unterstützt. Minister Seehofer ist Teil dieser Regierung. Trotz Kenntnis des Berichts ließ sein Ministerium die Abschiebung durchführen. Und: Seehofers Ministerium ließ sie in der Weise durchführen, in der es solche Zwangsmaßnahmen immer durchführt. In Haft genommen wurden etwa 40 Personen, die Hälfte wurde ausgeflogen, einige freigelassen, andere sind weiter in Haft: womöglich für einen weiteren Zwangstransport nach Sri Lanka.
Die Gefangennahmen wurden zum Teil in perfider Manier arrangiert. Einer der Gefangenen, Sithamparapillai Chandrakumar, wurde von der Ausländerbehörde Tage zuvor brieflich um persönliche Vorsprache im Amt gebeten. Als er zur angegebenen Zeit beim zuständigen Beamten erschien, wurde der 1974 geborene und seit 7 Jahren in Deutschland lebende Chandrakumar von ihm dort auflauernden Polizeibeamten in Gewahrsam genommen und in die Justizvollzugsanstalt Büren (Kreis Paderborn) verbracht. Man zwang ihn dort gegen seinen erklärten Willen zum COVID-19-Test und nahm ihm das Smartphone ab. Auf dem ihm überlassenen Ersatzhandy war er für Angehörige und Freunde kurz darauf nicht mehr zu erreichen.
Die zwangsweise nach Sri Lanka ausgelieferten Menschen wurden bei der Ankunft in Colombo von der Geheimpolizei festgenommen, ihre Personalien aufgenommen. Danach wurden sie, wie aktuell allgemein üblich, für Sri Lankas Geheimpolizei aber sehr praktisch, in Corona-Quarantäne gesperrt. Die für ihre Sicherheit mitverantwortliche deutsche Botschaft kooperiert wie üblich eng mit den sri lankischen Sicherheitsbehörden.
Die Ignoranz Seehofers gefährdet weitere Geflüchtete
Minister Seehofer hat den gewaltsam ermöglichten Zwangsflug nicht nur in Kenntnis des Berichts des UN-Menschenrechtsrats durchführen lassen. Er hat dies auch in Kenntnis der Einsprüche der von der Gewalt seiner Beamt*innen Betroffenen getan, in Kenntnis der Einsprüche ihrer Angehörigen und Freunde, in Kenntnis der Einsprüche ihrer Anwälte und in Kenntnis der Einsprüche mehrerer Flüchtlingsorganisationen und deutscher kirchlicher Stellen. Minister Seehofer weiß also, was er getan hat.
Minister Seehofer wird auch wissen – zumindest sollte er wissen, dass die sri lankische Regierung in Reaktion auf den auch von der deutschen Bundesregierung unterstützten Bericht des UN-Menschenrechtsrats eine neue „Terrorliste“ veröffentlicht hat, in der tamilische und muslimische Organisationen und Einzelpersonen ausdrücklich bedroht werden. Die meisten der dort aufgeführten Personen sind vor der Gewalt des sri lankischen Staates ins Ausland geflohen, einige von ihnen befinden sich aktuell im Asylverfahren, sind auf deutschem Boden also unmittelbar von möglichen weiteren Zwangsrückführungsmaßnahmen des Seehofer-Ministeriums bedroht.
Minister Seehofer gehört der deutschen Bundesregierung an. Diese Regierung ist nicht nur in voller Kenntnis der aktuellen Situation. Sie ist bereits seit Jahren von dem unterrichtet, was in Sri Lanka geschieht. Gemeinsam mit anderen deutschen Hilfsorganisationen, darunter Brot für die Welt und Misereor, hat auch medico international der deutschen Regierung fortlaufend von den Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen berichtet, die der frühere Kriegsminister und heutige Staatspräsident Rajapaksa, seine Regierung, seine Armee und seine Polizei zu verantworten haben.
Die zwangsweise an die Regierung Rajapaksa ausgelieferten Menschen müssen nach Deutschland und in die Schweiz zurückgebracht werden, bevor ihnen tatsächlich zustößt, was ihnen jetzt droht.
Sri lankische Menschenrechtsaktivist*innen werden versuchen, uns allen von dem zu berichten, was den an die Regierung Rajapaksa ausgelieferten Menschen in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten widerfahren wird. Wir werden ihre Berichte der deutschen Bundesregierung und ihrem Innenminister zur Kenntnis bringen und sie hier in Deutschland öffentlich machen.