Den folgenden Beitrag hat die srilankische medico-Partnerin Shreen Saroor zusammen mit der Journalistin Minoli de Soysa für das Internetmagazin „Groundviews – Journalism for Citizens“ geschrieben. Er dokumentiert, wie die Corona-Pandemie zur Verstärkung rassistischer Diskriminierung führt – in diesem Fall gegen die Muslime in der Hauptstadt Colombo. Wir dokumentieren diesen Beitrag, weil er in erschreckender Weise sichtbar macht, was unter den Deckmantel scheinbar selbstverständlicher Biopolitik möglich werden kann – nicht nur in Sri Lanka.
In Sri Lanka nahm die Frage, ob COVID-19-Opfer beerdigt werden können oder eingeäschert werden müssen, eine bizarre Wendung. Sie trug zur Entlarvung einer Regierung bei, deren Minister und Gesundheitsbehörden sich mit widersprüchlichen Botschaften durchzulavieren suchen. So hieß es plötzlich, Präsident Gotabaya Rajapaksa habe der Beerdigung an COVID-19 verstorbener Muslime zugestimmt und die Gesundheitsbehörden angewiesen, nach „trockenem Land“ für die Beerdigungen zu suchen. Umgehend ließen die Gesundheitsbehörden mitteilen, dass sie sich weigern, den Erlass des Präsidenten umzusetzen. Wenig später hieß es dann, Muslime könnten doch bestattet werden, dies aber nur in Gebieten in der Trockenzone, die so weit abgelegen seien, dass eine Kontamination des Grundwassers ausgeschlossen werden könne. In jedem Fall scheint es allerdings so zu sein, dass die letzte Entscheidung bei den Gesundheitsbehörden liegt.
Zur Kakophonie kam noch dann noch der Führer der buddhafundamentalistischen Organisation Bodu Bala Sena (BBS) hinzu, Galagodaaththe Gnanasara Thero. Er behauptete, dass der ganze Streit um Beerdigung oder Einäscherung das Werk extremistischer muslimischer Gruppen sei und bestand seinerseits darauf, dass die Gesundheitsbehörden ihre Entscheidung ohne Rücksicht auf religiöse Überzeugung treffen müssen, um eine „islamistische Radikalisierung“ zu vermeiden
Nach den Vorschriften ihres Glaubens dürfen Muslime ihre sterblichen Überreste nicht einäschern. Doch ist Begräbnis Kultur und Tradition vieler Menschen auf der ganzen Welt; es ist auf der ganzen Welt auch während der Pandemie erlaubt und wird in über 180 Ländern praktiziert. Insgesamt wurden bisher 52 Millionen Fälle von COVID-19 mit 1,2 Millionen Todesfällen registriert. In Sri Lanka lag die Zahl der Infizierten am 11. November bei 14.759, registriert wurden 45 Todesfällen.
Anfangs hielten sich die Behörden Sri Lankas an eine Verordnung aus der Kolonialzeit, die zwingend vorschreibt, dass Opfer von Pest und Ansteckung bald nach ihrem Tod nach bestimmten Richtlinien „entsorgt“ werden müssen. Als Methode der Entsorgung erlaubt diese „Quarantäne- und Krankheitsverhütungsverordnung“ gleichermaßen Bestattung und Einäscherung. Die Verordnung ermächtigt den Minister, entsprechende Vorschriften zu erlassen. Am 11. April jedoch wurde diese Verordnung durch eine Bekanntmachung im Amtsblatt geändert, in der erklärt wurde, dass Opfer und mutmaßliche Opfer von COVID-19 „eingeäschert werden sollen.“ Dies geschah, obwohl die Weltgesundheitsorganisation im Umgang mit den Opfern kurz zuvor, im März, ausdrücklich beide Verfahren für zulässig erklärt hatte, Beerdigung und Einäscherung. Die entsprechenden Richtlinien besagen, dass die Angehörigen bei einer Beerdigung die Leiche sehen, aber nicht berühren dürfen. Die WHO betonte ausdrücklich, dass die kulturellen und religiösen Traditionen der Toten und ihrer Familien respektiert werden sollten.
Sri Lanka geht jetzt seinen ganz eigenen Weg. War die Bestattung bis zum 30. März dieses Jahres auf der Website des Gesundheitsministeriums als für COVID-19-Opfer sichere Option aufgeführt, wurde der Tod der ersten muslimischen Person am 29. März zum Anlass einer überstürzten Feuerbestattung, bei der dass die Familienmitglieder die Leiche nicht sehen durften. Über Nacht löschte das Gesundheitsministerium seine eigene, auch Bestattungen erlaubende Richtlinie von der Website. Jetzt missachten die Behörden offen die WHO-Richtlinien und verhängen willkürliche und drakonische Maßnahmen. Keinem COVID-19-Opfer oder mutmaßlichen Opfer ist es erlaubt, begraben zu werden. Viele Leichen von Muslimen wurden gewaltsam aus ihren Häusern ins Colombo National Hospital gebracht und eingeäschert, wenn der an den Leichen durchgeführte PCR-Test positiv ausfiel. Die Entscheidungen werden durch keinerlei wissenschaftliche Begründung untermauert.
Die Verweigerung der Bestattung ist für die muslimische Gemeinschaft zutiefst beunruhigend, die Einäscherung ihrer Toten ihre größte Furcht. Die Feuerbestattung ist inzwischen zur größten Furcht in den Köpfen der muslimischen Gemeinde geworden. Einige Opferfamilien haben Grundrechtsklagen eingereicht, in denen sie die Feuerbestattungsverordnung anfechten, die nur die Feuerbestattung vorschreibt. Behandelt wurden diese Klagen allerdings bislang nicht: die Gerichte sind wegen der Pandemie zeitweise geschlossen sind.
Mittlerweile (10. November) wurden bereits 21 verstorbene Muslime eingeäschert. Obwohl Muslime nur etwa neun Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, stellen sie einen großen Teil derer, die angeblich an COVID-19 gestorben sind. Das liegt daran, dass die Muslime von Colombo meist in dicht besiedelten Vierteln leben, die jetzt alle unter lockdown stehen. Verschärft gilt das für die Familien, in denen es zu Todesfällen gekommen ist.
COVID-19 positive Leichen werden in einem Sarg versiegelt, für den die Familienmitglieder mindestens Rs. 5.000 zahlen müssen. In den meisten Fällen darf nur eine Person ein Gebet sprechen, bevor die Leiche zur Einäscherung gebracht wird. Manchmal ist es ihnen nicht erlaubt, das Gesicht des Verstorbenen zu sehen.
Nach Angaben von Familienangehörigen starben 14 der zwangsweise Eingeäscherten gar nicht an Corona, sondern an anderen Krankheiten. Trotzdem wurden die Leichen von ihren Häusern oder Wohnungen ins Krankenhaus gebracht und dort nach vorgeblich positiv ausgefallenen Tests verbrannt. In einem der Fälle kam es zur Einäscherung, obwohl der PCR-Test nachweislich negativ ausfiel: die Verantwortlichen ordneten die Einäscherung an, ohne auf das ausstehende Ergebnis zu warten.
Am 4. Mai wurde Fathima Rinosa, 44, die im Nationalen Krankenhaus von Colombo wegen einer Lungenentzündung behandelt wurde, in das Krankenhaus für Infektionskrankheiten (IDH) verlegt. Am folgenden Tag wurde der Familie morgens mitgeteilt, dass sie verstorben und ihr Körper eingeäschert worden sei. Das Ergebnis des PCR-Tests kam erst nach ihrer Einäscherung, und auf dem Totenschein war dann lediglich von einem „Verdacht auf C19“ die Rede. Ein Regierungsarzt räumte später im Fernsehen ein, dass Rinosas PCR-Testergebnis negativ war. Ihre Familie wurde unter Quarantäne gestellt, aber am nächsten Tag wieder freigelassen, weil der Test negativ ausfiel.
Am 5. Mai starb Abdul Hameed Rafaideen, 64, der gleich an mehreren Krankheiten litt. Der Arzt erklärte, dass sein Tod auf seinen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand zurückzuführen sei. Seine Familie bereitete sich gerade auf seine Beerdigung vor, als ein Polizeibeamter befahl, die Leiche in das nationale Krankenhaus von Colombo zu überführen. Dort wurde ein PCR-Test angeordnet, der Leichnam umgehend als COVID-19-Verdachtsfall eingeäschert. Sin Tod aber wurde nicht in die Liste der Gesamtzahl der nationalen COVID-Todesfälle aufgenommen: der Leichnam sei offenbar „versehentlich“ eingeäschert worden. Die Familie hat beim Obersten Gerichtshof eine Grundrechtspetition eingereicht. Der Fall wird aus verschiedenen Gründen vertagt und bis heute nicht verhandelt.
Seit Beginn der zweiten COVID-19-Welle im Oktober hat die Zahl der strittigen Einäscherungen zugenommen, obwohl einige Todesfälle vom Gesundheitsministerium neutral nur als „plötzliche Todesfälle“ kategorisiert wurden.
Am 27. Oktober starb der neunzehnjährige Mohamed Minhaj, der von Geburt an psychisch krank und bettlägerig war. Er wurde von seiner Familie zuhause versorgt und starb plötzlich im Schlaf. Obwohl ihn der Arzt, der ihn regelmäßig behandelte, ausdrücklich zur Beerdigung freigab, ließ die Kommunalverwaltung den Leichnam von der Polizei zum nationalen Krankenhaus bringen. Das Krankenhaus ordnete einen PCR-Test an, und die Leiche wurde in Erwartung des Ergebnisses in die Leichenhalle gebracht. Am nächsten Tag wurde der Familie mitgeteilt, dass das Ergebnis positiv gewesen und der Leichnam eingeäschert worden sei. Sein Tod wird jetzt als „plötzlicher COVID-Tod“ registriert. Familienmitglieder und Verwandte, die zum Begräbnis gekommen waren, wurden unter militärisch überwachte Zwangsquarantäne gestellt.
Am 2. November wurde Ahamed Jamaldeen Abdul Razeek, 78, mit einer Kopfverletzung in das Nationalkrankenhaus von Colombo eingeliefert und wegen starker Blutungen auf die Unfallstation, später auf eine Isolierstation verlegt, wo er am folgenden Tag verstarb. Sein Leichnam wurde in der Leichenhalle aufbewahrt, kein Familienmitglied durfte ihn sehen. Später gaben die Krankenhausbehörden an, dass sein PCR-Test positiv war, und verbrannten seinen Leichnam am 4. November, ohne die Zustimmung der Familie einzuholen. Sein Tod wurde vom Sprecher des Gesundheitsministeriums zum „plötzlichen COVID-19-Tod“ erklärt, doch e sein Name später von der nationalen COVID-Unfallliste gestrichen. In dem Dokument, das der Familie übergeben wurde, heißt es, sein Tod sei auf einen Hirnschaden infolge einer Kopfverletzung zurückzuführen. Die Familienmitglieder stehen unter Hausquarantäne, aber keiner von ihnen wurde positiv getestet.
Obwohl die Pandemie das ganze Land heimsucht, werden nur im Nationalkrankenhaus von Colombo so viele Muslime nach ihrem Tod und trotz dokumentierter anderer Erkrankungen als COVID-19-Opfer eingeäschert. Der obligatorische PCR-Test am Leichnam betrifft vor allem arme muslimische Familien, die es sich nicht leisten können, für private Gesundheitsfürsorge zu bezahlen, sondern auf die kostenlosen Dienste der staatlichen Krankenhäuser angewiesen sind. Viele sind Tagelöhner, die sich nicht einmal einen Sarg leisten können. Jetzt vermeiden zunehmend mehr arme und kranke Muslime die medizinische Behandlung: Sie haben Angst haben, unter falschen Vorwänden verbrannt zu werden.
Soll das anders werden, muss die Ausnahmeregelung vom April, mit der die Einäscherung zur einzigen Möglichkeit der Bestattung gemacht wird, aufgehoben und die Regierung auf die Befolgung der WHO-Richtlinien für eine sichere Bestattung verpflichtet werden, der weltweit 180 Länder folgen. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für die Behauptung, dass das Virus über vergrabene Körper ins Grundwasser gelange.
Es ist daher nur logisch und human, der muslimischen Gemeinschaft und allen anderen zu gestatten, ihre Toten gemäß ihren kulturellen und religiösen Überzeugungen und Praktiken zu beerdigen.
Übersetzung: Thomas Seibert
Shreen Saroor ist Frauen- und Menschenrechtsaktivistin und medico seit langem verbunden. 2011 erhielt sie den Bremer Friedenspreis.
Der Text erschien zuerst am 12. November auf der Seite groundviews.org.