Mit der brasilianischen Chemikerin und Expertin für die Herstellung von AIDS-Medikamenten, Eloan Pinheiro, in Bangladesh bei der alternativen Pharmaproduktion von Gonoshasthaya Kendra. Von Katja Maurer.
Leidenschaftlich und entschlossen habe sie die ökonomischen Schwierigkeiten ihrer Familie überwunden und sich selbst Schule und Studium finanziert, schrieb einmal eine brasilianische Frauenzeitung über Eloan Pinheiro. Als Studentin protestierte sie in den 60er-Jahren gegen die brasilianische Militärdiktatur. Freunde von ihr wurden in dieser Zeit grausam ermordet. Sie selbst musste jahrelang in der brasilianischen Provinz untertauchen. Eloan nutzte die Zeit, um ihr Studium zu beenden. Als Chemikerin stieg sie später in die höchsten Etagen brasilianischer Pharma-Unternehmen auf. Bis sie angesichts der AIDS-Krise in Brasilien ihren hochbezahlten Job aufgab und die Leitung des staatlichen Pharmaunternehmens Farmanguinhos übernahm. Der Auftrag war klar: wirkstoffgleiche Kopien von patentierten, lebensrettenden AIDS-Medikamenten für den brasilianischen Markt zu entwickeln und zu produzieren.
Wir sitzen mit Eloan in der 5. Etage des Gästehauses von Gonoshasthaya Kendra, einer der wichtigsten alternativen Gesundheitsorganisationen von Bangladesh, und blicken auf das tropische Grün unter uns. Wir reden über ihre Erfahrung von damals. Noch immer spiegelt sich ein leichtes Entsetzen in ihrem Gesicht, wenn sie von den ersten Wochen bei Farmanguinhos spricht. "Das Unternehmen war in einem verheerenden Zustand. Im Labor brieten die Mitarbeiter Shrimps auf offenem Feuer und feierten." Vielleicht hat nur ein politischer Mensch wie Eloan, der von der Notwendigkeit öffentlicher Lenkung von Gesundheitspolitik und lokaler öffentlicher Pharmaproduktion überzeugt ist, die nötige Durchsetzungskraft, um solche Lethargie, wie sie allzu häufig in staatlichen gesundheitlichen Einrichtungen des Südens anzutreffen ist, zu überwinden.
Brasilianische Erfolgsgeschichte
Heute gilt das brasilianische Beispiel als große Erfolgsgeschichte im Kampf gegen HIV-AIDS. Die "leidenschaftliche und entschlossene" Eloan Pinheiro ist eine seiner Heldinnen. Unter ihrer Leitung gelang es, aus eigener Kraft AIDS-Medikamente herzustellen und so die Behandlungskosten für AIDS-Kranke in Brasilien um 70 Prozent zu senken. Über die Sicherstellung einer preiswerten Medikamentenproduktion ließ sich die Versorgung aller Kranken gewährleisten. Das wiederum war in Brasilien der Schlüssel für eine erfolgreiche AIDS-Präventionsarbeit. Denn nur wer die Chance auf Behandlung hat, ist überhaupt bereit, sich testen zu lassen und offen über HIV-AIDS zu sprechen. Brasilien wendet die ganze Palette an Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV-AIDS an und hat damit erfolgreich den Beweis angetreten, dass ein öffentliches Gesundheitswesen, das die Interessen all seiner Patienten vertritt, von keinem privaten Konkurrenten zu schlagen ist. Ganz nebenbei ist Eloan Pinheiros Erfahrung ein Beleg dafür, dass der öffentliche Sektor sehr wohl reformierbar ist.
In Bangladesh nun soll diese Geschichte ihre Fortsetzung finden. Eloan ist im Auftrag von medico international hierher gekommen, um, wie bereits im letzten Heft angekündigt, die Möglichkeiten zum Ausbau der dortigen Medikamentenproduktion zu untersuchen (siehe dazu: "Die Pillendreher von Dhaka", rundschreiben 3/2006). Sie hat sich die Pharmaproduktion von Gonoshasthaya Kendra mit großen Erwartungen angesehen, denn sie kannte den Projektkoordinator und Träger des alternativen Nobelpreises, Zafrullah Chowdhury, von vielen Sitzungen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Immer wieder habe er sie eingeladen, nach Bangladesh zu kommen. Nun ist sie da.
Die Reise bietet in mancherlei Hinsicht Überraschungen für sie. Neu ist für Eloan, dass Gonoshasthaya Kendra viel mehr ist als eine Medikamentenproduktion. Die exemplarischen Gesundheitsdienste für eine Million Arme in den ländlichen Gebieten Bangladeshs, die beiden Krankenhäuser, die Universität, die strukturell gesetzte Einbeziehung von Frauen in der Organisation – all das kannte sie nicht. Das politische Engagement von GK für eine andere öffentliche Gesundheits- und damit auch Medikamentenpolitik beeindruckt Eloan Pinheiro. Und so entsteht mit jedem Tag, den sie auf dem idyllischen Gelände dieses Alternativunternehmens verbringt, ein immer klareres Bild von den Stärken dieser bengalischen Gesundheits-Erneuerer. Aber auch von den Schwächen.
Die Medikamentenproduktion ist ordentlich, so das Resümee von Eloan, aber überholt. Vor 25 Jahren habe man so produzieren können, aber heute würden andere Qualitätsmaßstäbe gelten. Wer für den Export produzieren wolle, müsse diese Standards erreichen. Die Qualitätsdiskussion aber ist aus der Sicht lokaler Produzenten, die für die Gesundheitsbedürfnisse der Ärmsten produzieren, ein zweischneidiges Schwert. Denn die Standards – auch im Rahmen der WHO – werden von Big Pharma gesetzt. Die Pfizers, Glaxo Smith Klines und Novartis haben natürlich andere technische und finanzielle Möglichkeiten als eine lokale Produktion, aus deren Gewinnen kostenlose Gesundheitsdienste refinanziert werden. Und manch einer vermutet, dass diese Debatte nicht nur von dem Wunsch nach mehr Verbrauchersicherheit geleitet wird, sondern auch das Ziel verfolgt, unerwünschte Mitbewerber aus dem hochprofitablen, aber umkämpften Pharmamarkt zu verdrängen. Auch Zafrullah Chowdhury wendet bei dem Gespräch mit Eloan Pinheiro ein, dass neben dem notwendigen Streben nach mehr Qualität der Pharmaproduktion diese Debatte auch Teil einer Mystifizierungsstrategie der Pharmaindustrie sei.
Ist teuer auch gut?
Ein Problem, mit dem Gonoshasthaya Kendra in der Praxis ständig konfrontiert ist. Denn auch ein so armes Land wie Bangladesh ist interessant genug, um ähnliche Marketingstrategien zu praktizieren, wie sie in anderen Ländern Alltag sind. Der Vorwurf einer strukturellen Korruption, wie ihn Transparency International gegenüber der Pharmaindustrie in Deutschland erhebt, lässt sich durchaus auch im Zusammenhang mit Bangladesh wiederholen. Pharmavertreter ziehen auch dort im Auftrag der Industrie überall durchs Land und platzieren bei den verschreibenden Ärzten die teuren Mittel. In Bangladesh ist mittlerweile gesetzt: Nur teuer ist auch gut. Während hierzulande diese Strategie die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer unterhöhlt, hat das in Bangladesh sofort direkte Auswirkungen auf den Überlebensstandard der ohnehin nicht betuchten Bevölkerung. Nichtsdestotrotz sind teure Gesundheitsdienstleistungen der boomende Markt in dem südostasiatischen Land. Sogar die Ärmsten der Armen versuchen alle Ressourcen aufzubringen, um die vermeintlich guten Leistungen privater Krankenhäuser und teure Medikamente zu erhalten. Da werden gewissenlos Gewinne auf Kosten der Ärmsten erzielt. Dr. Zafrullah Chowdhury weiß dies aus den Anfängen der Medikamentenproduktion zu berichten: "Als wir damit begannen, lernten wir eine neue Welt kennen. Wir erfuhren, dass Medikamentenpreise sehr niedrig, unglaublich niedrig sein konnten. So preiswert wie peanuts. Tatsächlich war die Produktion vieler gebräuchlicher Medikamente billiger als ein Päckchen Erdnüsse.
Aber wer würde uns das glauben? Die Pharmaindustrie hatte die Ärzte hypnotisiert und blind gemacht für diese Tatsachen. Seit jenen Tagen sind wir immer noch damit beschäftigt, den verschreibenden Ärzten die Augen zu öffnen." Doch Zafrullah Chowdhury und Eloan Pinheiro sind sich darin einig, dass, trotz aller Bedenken gegenüber der "Qualität" mancher Qualitätsstandards, nicht der Eindruck entstehen darf, für die Ärmeren wäre schlechtere Medizin gerade gut genug. Und so kommt man überein, dass für eine internationale Zertifizierung nötige Veränderungen im Bau und in der Konstruktion der Betriebe vorgenommen werden, sobald das nötige Geld dafür vorhanden ist.
Doch die Pläne gehen noch viel weiter. Denn Eloan ist am Ende der Beschäftigung mit Gonoshasthaya Kendra begeistert über dieses einmalige Projekt. Sie hält vor dem Leitungsteam eine flammende Rede, in der sie mit Kritik nicht spart. Aber auch sagt, dass man unbedingt an der politischen Mission von Gonoshasthaya Kendra festhalten müsse, eine lokale Medikamentenproduktion zugunsten der Ausgeschlossenen weiterzuentwickeln. "Menschen, die dazu in der Lage sind und das nötige Engagement besitzen, sind bei euch vorhanden. Sorgt dafür, dass sie auch in ihre Fähigkeiten vertrauen." Gonoshasthaya Kendra könne beispielhaft eine Produktion von Medikamenten und Wirkstoffen nach den neuesten internationalen Standards aufbauen. Im Austausch und Open Source-Verfahren mit anderen Universitäten und Wissenschaftlern könne man hier unzugängliche patentierte Medikamente und Wirkstoffe produzieren und deutlich machen, dass das Wissen und die Fähigkeit dazu in den Ländern des Südens selbst vorhanden ist.
Das größte Hindernis auf diesem Weg zur Aneignung von Überlebenswissen ist ein globales Patentrecht, das die Interessen der Großindustrie schützt und verhindert, dass nötige Medikamente nachproduziert werden. Mit der Ausweitung des TRIPS-Abkommens auf Länder wie Indien fällt ein weiterer Produzent von preiswerten Generika aus. Bis zur weltweiten Gültigkeit dieser in gewissem Sinne "totalitären", weil allumfassenden Regel verbleibt nicht mehr viel Zeit. Nur noch die sogenannten LDC-Länder (Least Developed Countries) wie Bangladesh sind die nächsten zehn Jahre von diesen globalen Patentregeln ausgenommen. Solange dürfen sie für den Eigenbedarf aber auch für den Export in andere LDC-Länder Generika patentierter Produkte herstellen. Gonoshasthaya Kendra und medico international wollen dieses Zeitfenster nutzen. Die Untersuchung von Eloan Pinheiro hat bestätigt, dass die Idee realisierbar ist.