Ein alternativer Wahrnehmungsversuch: Südafrikanische Township-Kids touren durch Deutschland
Wenige Tage bevor die Jugendlichen des Children’s Resource Centre Ende April in Frankfurt eintrafen, um sich auf eine Reise durch zehn Städte und Lebenswirklichkeiten Gleichaltriger in Deutschland zu begeben, veröffentlichte eine Frankfurter Zeitung einen Reisebericht deutscher Schülerinnen und Schüler. Mit viel Geld, das die Gymnasiasten in einem Sponsored Walk gesammelt hatten, waren sie nach Peru gereist, um den Scheck Bedürftigen zu überbringen. Der Zeitungsbericht spiegelte die Erfahrungen der Schüler als Klischee wider. Sie hätten, so der Reporter, im peruanischen Elendsviertel erst einmal aufräumen müssen. Reich besucht Arm und bringt noch etwas bei, klang beiläufig im Text mit. Gibt es eine andere Form des Austauschs, die dieser naheliegenden, aber letztlich vorurteilsgeladene Wahrnehmung eine partnerschaftliche Sicht entgegensetzt? Liegt in der Umkehrung des Gewohnten bereits die Möglichkeit des Anderen? Als der Besuch der südafrikanischen Kinder und Jugendlichen in Deutschland erwogen wurde, waren diese Fragen noch gar nicht im Schwange. Erst im Werden der Reise war klar, dass hier etwas ganz und gar unübliches geplant wurde. Uns erreichten besorgte Anfragen, ob nicht Spenden für Flugreisen ausgegeben würden, statt für überlebenswichtigere Dinge. Die berechtigte Anfrage offenbarte vor allen Dingen das Wagnis, nicht mit der Hilfsbedürftigkeit der Spendenempfänger sondern mit deren Autonomie, Selbstbewusstsein und ihrem Anspruch auf den gleichen Zugang zu den Sonnenseiten der Globalisierung Fundraising betreiben zu wollen. Ende April trafen die Kinder und Jugendlichen, Aktivisten der Kinderbewegung, die unter dem Dach des CRC entstanden ist, begleitet von Maureen Meder, Marcus Solomon und Lukholo Ngamlana, den erwachsenen Beratern und tragenden Säulen des CRC, in Frankfurt ein. Kinder und Jugendliche aus den townships von Kapstadt und Durban, die erst mit der Mitarbeit im CRC die Grenzen ihres Wohnviertels verlassen haben und nun zum ersten Mal in ihrem Leben im Ausland waren. Wer Bulelwa, Ulrich, Kgabile, Lucia oder den anderen gegenübertritt, ist sich sicher, Kinder und Jugendliche aus wohlbehüteten schwarzen Mittelschichtsfamilien vor sich zu haben. Ihr gewandtes öffentliches Auftreten, ihre Eloquenz und Sozialität lassen nicht vermuten, dass sie unter extremen Gewalt- und Armutsverhältnissen groß werden. Gefragt danach, welchen Unterschied er gleich nach seiner Ankunft festgestellt habe, sagt Ulrich, dass ihm erst gar nichts besonderes aufgefallen sei. Aber dann: »Hier fehlt die Angst, das Verbrechen, das permanente Bedrohungsgefühl. Hier konnte ich meinen Angst-Radar ausschalten, der in Südafrika einsetzt, sobald mir jemand zu nahe kommt.« Hoffentlich, so Ulrich, funktioniere er zu Hause wieder.
Kampf um ein relevantes Leben
Marcus Solomon, der Gründer des CRC, möchte nicht so sehr über die Unterschiede sprechen. Egal ob reiche oder arme Länder, im Grunde kämpften die Kinder überall darum, ein – wie er es ausdrückt – »relevantes Leben« zu führen – nicht abgeschoben, nicht ausgegrenzt, nicht als minderwertig betrachtet zu werden. Die Kinderbewegung unter dem Dach des CRC organisiert sich deshalb selbst. »Die Kinder sind die Akteure der Veränderung.« Ihrer eigenen und die ihrer Umwelt. Aus Selbstachtung entsteht Achtung für die Umwelt und daraus soziales Handeln. »Erst dann können Menschen gemeinsam etwas entwickeln«, so Solomon. Diese Grundsätze kann die Schulsozialarbeit der Paul-Hindemith-Gesamtschule in Frankfurt ebenfalls unterschreiben. An dieser Schule im sozialen Brennpunkt wird versucht in einer einjährigen Ausbildung zu Konfl iktmediatoren, den Schülern ein Instrumentarium der eigenständigen Konfliktbewältigung an die Hand zu geben. Bewusst werden die hierarchischen Strukturen der Schule dabei außen vorgelassen. Dass die Mediatoren aus dem Frankfurter Migranten-Viertel Gallus und die Kids vom CRC schnell eine gemeinsame Sprache finden, lässt sich denken. Sie eint nicht nur das Interesse für Musik, ein bei allen Unterschieden ähnlicher sozialer Hintergrund, sondern auch der Kampf ums »relevante Leben«: Nur einer von neun Streitschlichtern aus Frankfurt hat bislang eine Lehrstelle gefunden. 12 Stunden verbringen die beiden Gruppen miteinander. In Rollenspielen werden Schulerlebnisse und Arbeitsansätze ausgetauscht, Musik und Lebenserfahrung im gebrochenen Englisch thematisiert, aber auch über Politik, soziale und rassistische Ausgrenzung diskutiert. Man ist sich so nahe gekommen, dass auch manch harter Junge die Baseball-Kappe ins Gesicht ziehen muss, um beim Abschied die Rührung zu verbergen. Ein Moment der »einen Welt« wurde spürbar. Und wer weiß, vielleicht wiederholt er sich. Die munteren Zwillinge Seher und Sakine sehen sich schon in Kapstadt. Und Ulrich weiß bereits, was er ihnen zeigen will: das township Khayelitsha. »Hier können sie sehen, wie lebendig wir sind, und wie man Überleben in Armut organisiert. Dann werde ich sie in eines der reichsten Viertel führen, um zu zeigen, dass Südafrika einen langen Weg zu gehen hat, bevor der Kampf wirklich vorbei ist.«
Katja Maurer