Nahost

Balfour und kein Ende

02.11.2017   Lesezeit: 3 min

Die Folgen des Kolonialismus prägen die Nahost-Region bis heute. Zum hundersten Tag der Balfour-Erklärung. Von Katja Maurer

Es gibt Folgen des Kolonialismus, die sich einfach nicht in Abrede stellen lassen. Die Balfour-Erklärung, heute vor hundert Jahren erlassen, ist so eine Wegmarke, von der aus die Geschichte einen unfriedlichen Verlauf nahm.  Der damalige britische Außenminister Arthur Balfour schrieb in einem Brief an den Vorsitzenden des Zionistischen Weltkongresses Chaim Weizmann, dass sich Großbritannien zur „Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ verpflichte.

Die List der Ohnmächtigen

Diese Balfour-Erklärung wurde Teil der Präambel im Mandatsvertrag, der Großbritannien nach dem Ende des osmanischen Reiches einen Teil des Nahen Osten überantwortete. Auch wenn in Israel die Balfour-Erklärung verständlicherweise zum Gründungsmythos zählt, ist sie wohl längst nicht so altruistisch gewesen, wie es die offizielle israelische Lesart vermittelt. Das Teile und Herrsche-Prinzip, das den britischen Kolonialismus kennzeichnete, war das Mittel der Stunde, um sich die Kontrolle über die Region auf Dauer zu sichern. Dass sich die zionistische Bewegung dies klug zu Nutze machte, erinnert an die Kurden heute, die in den Ränkespielen der Mächte versuchen, ihre Interessen zu sichern. In beiden Fällen angesichts der historischen Verfolgungserfahrung nicht ohne Grund. Das ist die List der Ohnmächtigen.

Trotzdem bleibt das Dilemma bestehen. Die Balfour-Erklärung hat, wie Rainer Hermann in der FAZ schreibt, für „100 Jahre Unfrieden“ gesorgt. Auch das Urteil des britischen Historikers James Renton in der taz geht in eine ähnliche Richtung. Die Balfour-Erklärung sei ein „vollkommen fragwürdiges Dokument“. Die Briten glaubten damals, sie könnten sowohl das jüdische Verlangen nach einem eigenen Staat als auch den arabischen Nationalismus gleichzeitig zu ihrem Vorteil ausspielen. Den „Juden und den Arabern schrieben sie die Fähigkeit ab, sich selbst regieren zu können.“

Die Folgen kolonialer Ignoranz und Überheblichkeit

Was lässt sich daraus lernen? Vielleicht doch wenigstens das: Dieser koloniale Blick hat nicht nur der Region einen dauerhaften Unfrieden beschert, er hat auch das britische Empire nicht retten können. Heute sind die Folgen dieser kolonialen Ignoranz und Überheblichkeit, die sich locker in den neokolonialen Neoliberalismus übersetzt haben, eine der Ursachen für die größte humanitäre Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg, den Krieg und Bürgerkrieg in Syrien.

Denn die Region schwankt und wankt hin und her zwischen gescheitertem Panarabismus (auch so ein unerfülltes Versprechen der Briten), der nur noch Militarismus à la Sisi und Assad kennt und diversen Formen von politischem Islam bis Islamismus. Die Region wird neu geordnet und wieder ist das Begehren der Menschen in der Region dabei zweitrangig. Gerade fanden in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, die Syrien-Gespräche unter der Ägide Russlands statt. Beteiligt natürlich der russische Verbündete Assad, auf dessen Konto 80 Prozent der horrenden Kriegsverbrechen gehen, Iran und die Türkei. Zur Debatte stehen hier unter anderem die vier Deeskalationszonen, die Einflusssphären der beteiligten Mächte gleich kommen. Russland stellt sich als Friedenstifter dar wie einst die Briten und sichert doch nichts weiter als seine Einflusszone. Dass auch das schiefen gehen kann, lehrt die britische Erfahrung.

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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