Initiator des Putsches war der amtierende Präsident Sirisena, seit dem Umbruch von 2015 eigentlich nur noch repräsentatives Staatsoberhaupt. Wendepunkt des dramatischen Geschehens war die Auflösung des Parlaments und die Zurückweisung dieses Aktes durch das Oberste Gericht. Gestärkt durch den Gerichtsentscheid trat heute Morgen das Parlament zusammen und sprach der Putschregierung das Misstrauen aus. Nach heutigem Stand der Dinge liegt die Regierungsgewalt jetzt wieder beim legitimen Premierminister Wickremesinghe. Der hatte sich seit der Entlassung in seinem Amtssitz Temple Trees verschanzt und wird von massiven Protesten einer breiten und bunten, weit über seine Partei hinausreichenden Demokratiebewegung unterstützt. In dieser Demokratiebewegung fällt den medico-Partnern in Sri Lanka, wie bereits 2015, eine maßgebliche Rolle zu.
Rückkehr der Todesfurcht
Der von Präsident Sirisena gegen den eigenen Premier und das eigene Parlament initiierte Staatsstreich von oben sollte seinen 2015 abgewählten Vorgänger Rajapaksa zurück an die Macht bringen. Während seiner zehnjährigen Herrschaft hatte sich der autoritäre Nationalist massiver Kriegs-, Bürger- und Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht. Sri Lanka lag damals an der Spitze der Länder, in denen Oppositionelle und Journalisten Opfer „zwangsweisen Verschwindens“ und politischer Morde wurden. Während der finalen Auslöschung der Tamil Tiger-Rebellen im Frühjahr 2009 tötete die vom Bruder Rajapaksas befehligte Armee innerhalb von nur zwei Monaten mindestens 40.000 Zivilisten und internierte weitere 300.000 Menschen zwei weitere Jahre im Lagerkomplex Manik Farm. Mit der drohenden Rückkehr Rajapaksas zur Macht kehrte auf Sri Lanka die Todesfurcht zurück. Sie sucht besonders die Minderheit der meist hinduistischen Tamilen, aber auch die Muslime heim, die zusammen etwa 25% der rund 20 Millionen Einwohner der Insel ausmachen. Sie trifft aber auch die Jungen und die Frauen.
Der demokratische Umbruch 2015
Die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen führten zur weltweiten Ächtung des Rajapaksa-Regimes durch gleich vier Resolutionen des UN-Menschenrechtsrats. Im Land trug die internationale Isolation dann aber zur Bildung einer ganz außergewöhnlichen Koalition bei, zu der sich nahezu alle politischen Kräfte außer der Partei Rajapaksas vereinten. Entscheidenden Anteil daran hatte ausgerechnet der heutige Putschpräsident Sirisena. Damals noch Gesundheitsminister des Regimes, trat er wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 2015 zur Opposition über und wurde deren gemeinsamer Kandidat. Ihr überraschender Sieg gründete auf zwei Versprechen: Rückkehr zur Demokratie und Beginn eines Friedensprozesses. Das erste Versprechen wurde gleich nach dem Regierungswechsel angegangen: die autoritäre Präsidialherrschaft wurde beendet, das Parlament wieder höchstes politisches Organ, eine Verfassungsreform auf den Weg gebracht. Die Einlösung des zweiten Versprechens kam erwartungsgemäß nur schleppend voran. Immerhin wurde die neue Regierung selbst zur Mit-Initiatorin der vierten UN-Resolution, in der internationalen Politik ein historisch bisher einmaliger Akt. Weitere, zumindest symbolisch bedeutsame Maßnahmen folgten. Die tamilisch besiedelten Gebiete aber blieben militärisch besetzt, auch wenn Soldaten weitgehend aus dem Straßenbild verschwanden.
Großer Bruder China
Auch darüber kam es bald zu Differenzen zwischen Präsident Sirisena und Premier Wickremesinghe. Der hatte schon früher mit den Tamil Tiger-Rebellen verhandelt und war auch jetzt wieder bereit, auf die tamilische wie die muslimische Minderheit zuzugehen. Zudem setzte sich der bekennende Homosexuelle auch für gestärkte Rechte der sexuellen Minderheiten und zugleich der Frauen ein.
Der Konflikt eskalierte mit der rasanten Wirtschaftskrise des aus der Zeit Rajapaksas hochverschuldeten Landes. Setzte sich der Premier für eine neoliberale, weltmarktorientierte Politik ein, stand der Präsident für das auf „Megaprojekte“ orientierte, pro-chinesische Entwicklungsmodell der alten Regierung. Damit wurde ihr Konflikt auch hier zum internationalen Konflikt: China ist die Macht, die hinter Rajapaksa stand und steht – sehr zum Missfallen Indiens, dem in Asien größten Konkurrenten Chinas.
Ein Kampf um Demokratie
Konnte der Umbruch 2015 als letzter Zug der mit dem Arabischen Frühling einsetzenden Demokratisierungswelle angesehen werden, steht der aktuelle Putschversuch im globalen Trend der rechtspopulistischen Machtergreifungen auf den Philippinen und in Brasilien, in den USA oder in der Türkei wie in Ungarn, Polen und Italien. Dazu passte die mit der Auflösung des Parlaments verbundene Ausschreibung von Neuwahlen, die auf den 5. Januar terminiert wurden. Was als zwar rechtswidriger, doch in der Form demokratischer Akt erschien, variierte den populistischen Angriff auf die Demokratie: Sollte es zu Neuwahlen kommen, wäre ein Sieg des jetzt wiedervereinten Rajapaksa-Blocks nicht ausgeschlossen. Nach dem auch anderswo erfolgreichen Muster verbindet er einen aggressiven Nationalismus mit einer anti-neoliberalen Rhetorik, beides findet bei der singhalesisch-buddhistischen Mehrheitsgesellschaft großen Anklang. Dem steht ein ganz heterogenes Bündnis gegenüber, das von der liberalen Partei des Premiers über die tamilischen und muslimischen Parteien bis zu linken Kräften reicht und von einer zivilen Demokratiebewegung unterstützt wird.
Soll eine populistische Machtübernahme auf Dauer verhindert werden, muss dieses Bündnis über die Abwehr Rajapaksas hinaus auch ein positives Programm entwickeln. Das begänne mit einer Verfassungsreform, die den Minderheiten der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft wirklich gerecht würde und sich zugleich dem hochprekären Problem einer Aufarbeitung des dreißigjährigen Bürgerkriegs, aber auch der beiden großen Jugendaufstände des Südens stellen müsste. Darüber hinaus aber ginge es auch um ein gemeinsames Programm im Blick auf die eskalierende Wirtschaftskrise und die weitere wirtschaftliche Entwicklung Sri Lankas. Bewältigt werden kann diese Herausforderung nur, wenn die zivile Demokratiebewegung die maßgebliche Rolle behält, die ihr schon 2015 und im Widerstand gegen den Putsch zukam. Als eine der Sprecher*innen dieser Bewegung betont die medico-Partnerin Shreen Saroor, dass die Bewegung nach wie vor am Bündnis mit dem Premierminister teilnimmt, ihren Kampf aber nicht als Parteinahme für Wickremesinghe begreift: „Sirisina und Rajapaksa sind der Krebs, doch Wickremesinghe ist nicht die Heilung!“, sagt die Feministin muslimischen Hintergrunds. Ansatzpunkt dafür ist der politische Primat einer radikal gestellten Demokratiefrage und der Konsens, der darin zwischen den liberalen, den linken und den Parteien der Minderheiten besteht. Gefährdet wird das Projekt, wenn es dem Populismus gelingt, die singhalesisch-buddhistische Mehrheitsgesellschaft für sich zu gewinnen. Darin reicht die Bedeutung des sri-lankischen Demokratiekampfs weit über den südasiatischen Inselstaat hinaus.
Shreen Saroor ist seit 2005 eine der engsten Partner*innen medicos auf Sri Lanka. Die Feministin muslimischen Hintergrunds ist Mitbegründerin des Women Action Networks (WAN), eines Zusammenschlusses lokaler Frauengruppen. Wie alle unsere Partner hat sie während der Zeit des Bürgerkriegs zwischen den Fronten von singhalesisch-buddhistischem Staat und tamilischer Guerilla gearbeitet und eine maßgebliche Rolle auch in der internationalen Lobby- und Advocacyarbeit zum UN-Menschenrechtsrat gespielt. Mit anderen Menschenrechtsaktivist*innen hat sie den demokratischen Umbruch von 2015 unterstützt, der zur Abwahl des schwerer Kriegsverbrechen beschuldigten Präsidenten Rajapaksa führt. Heute ist sie eine der Sprecher*innen der zivilen Demokratiebewegung, die sich dem Putsch widersetzt, ohne die kritische Distanz zur von den Putschisten abgesetzten Regierung aufzugeben.
Sri Lanka: Die Situation eskaliert / Interview mit Shreen Saroor
Nachdem der Oberste Gerichtshof vorgestern die Auflösung des Parlaments für rechtswidrig erklärte und das Parlament gestern der Putschregierung formell das Misstrauen aussprach, gerät die Situation in der Hauptstadt Colombo außer Kontrolle. Wir befragten die medico-Partnerin Shreen Saroor, eine der Sprecherinnen des „Citizens Movements“.
medico: Kannst Du uns sagen, was gerade geschieht?
Shreen Saroor: Als das Parlament heute Morgen wieder zusammentrat, erzwangen die Abgeordneten der Putschistenpartei gewaltsam den Abbruch der Sitzung. Auf Anordnung des Regimes sind Einheiten der Spezialpolizei STF ins Parlamentsgebäude eingedrungen, auch auf den Straßen patrouilliert die STF. Gleichzeitig versammeln sich die Anhänger des legitimen Premierministers zu einer Großdemonstration, heute Nachmittag wird sich das Citizens Movement wieder auf der Liberty Plaza versammeln. Die Putschisten bestehen auf der Auflösung des Parlaments und der Ausschreibung von Neuwahlen. Sie brauchen die Regierungsgewalt, um die Wahlen kontrollieren zu können. Ihr Ziel ist nach wie vor, die singhalesisch-buddhistische Mehrheitsgesellschaft hinter sich zu bringen und ausdrücklich gegen alle Minderheiten zu stellen. Doch die Stimmung im Land kippt, Leute, die bis eben noch auf Seiten der Putschisten waren, gehen auf Distanz.
Was macht das Militär?
Die Armee hält sich bis jetzt aus dem Geschehen raus, ich glaube, das wird auch so bleiben. Die Putschisten werden sich auf die STF stützen. Präsident Sirisena hat für morgen (Freitag) eine Erklärung angekündigt. Es kann sein, dass er den Ausnahmezustand ausruft.
Es sieht also ziemlich übel aus?
Nein, ich bin guter Dinge. Je aggressiver die Putschisten werden, desto stärker wird der Widerstand. Alle politischen Kräfte des Landes stehen geschlossen gegen den Putsch: die Liberalen, die Linken, die tamilischen und muslimischen Parteien, die Zivilgesellschaft, die Jugend, die Frauen. Wir Frauen sind 52% der Bevölkerung. Und: Am 4. Dezember tritt erneut der Oberste Gerichtshof zusammen. Wir werden auf der Straße sein.
Und wenn es dann zu Wahlen kommt?
Die Putschisten haben nur den Kriegsverbrecher Rajapaksa, und der setzt zuletzt, wie in den zehn Jahren seiner Herrschaft, allein auf Gewalt. Die Partei des Premiers wird eine breite demokratische Front bilden, und sie wird dazu eine neue Führung berufen. Wir als Zivilgesellschaft verteidigen die Wahl, die wir 2015 getroffen haben: gegen die Diktatur, für eine Demokratie, die allen gehört. Ich bin optimistisch. Trotzdem rufen wir schon jetzt den Menschenrechtsrat der UN auf, unmissverständlich Position zu beziehen.