Bis in den September hinein kann es weiterregnen. Die Fluten aus dem Norden kommen gerade erst im bereits weitflächig überschwemmten Süden Pakistans an. Sie bedrohen ein Drittel der Gesamtfläche des Landes, haben ganze Ortschaften, Brücken, Straßen weggerissen. Im Frühjahr erst dörrte das ganze Land unter einer Hitzewelle ungekannten Ausmaßes aus, im Juni setzten der anfangs noch heiß ersehnte Regen und die Stürme ein, die seither nicht mehr aufhören und heute schon jeden Monsun der letzten dreißig Jahre übertreffen. Millionen Menschen haben nicht nur ihr Haus, sondern auch ihre Ernte und damit ihre Zukunft verloren. Die langen Trecks von LKW, von Motorrädern und ungezählten Gruppen zu Fuß oder mit dem Fahrrad Flüchtenden ziehen über Straßen, die beidseits nur knapp übers Wasser führen.
Dabei ist Pakistan nicht nur stärker von der Klimakrise betroffen als die meisten anderen Länder der Welt, es steht seit längerem schon vor dem Staatsbankrott und dem Kollaps seiner Ökonomie, auch vor dem Kollaps seiner seit Jahrzehnten schon prekären politischen Ordnung. Insofern ist die Katastrophe dieses Monsuns keine nationale, sie ist eine kontinentale und zuletzt auch eine globale Katastrophe. Trotz der Verantwortung, die die pakistanischen Machteliten bekanntermaßen für das Desaster tragen, ist der absehbare Zusammenbruch nicht einfach „hausgemacht“: Pakistans Menschen zahlen auch den Preis für das, was weltweit falsch läuft. Das gilt zuerst für das Klima, es gilt aber auch für die Ökonomie und nicht weniger für die Politik. Bis zum Rand des Zusammenbruchs überschuldet sind nach Angaben des IWF aktuell rund 70 Länder des globalen Südens, Pakistan steht auf der Liste ganz oben.
So wenig wie diese Länder, so wenig wie die Krise auch der unmittelbaren Nachbarn Afghanistan und Sri Lanka wird sich die Krise Pakistans „vor Ort“, national lösen lassen: in der Hauptstadt Islamabad ist man nicht einmal zu ihrem Aufschub in der Lage, im Grunde kaum dazu, die Krise abzumildern. Die Weltlage aber ist nicht so beschaffen, dass das Land auf eine konzertierte Aktion globaler Hilfe hoffen darf. Pakistan wird nehmen müssen, was es bekommt und es wird um des bloßen Überlebens willen hoffen müssen, noch eine Weile im Brennpunkt internationaler Öffentlichkeit zu sein. Dazu könnte es sogar gut sein, wenn es erst einmal weiterregnet.
Zusammenarbeit in der Nothilfe seit 12 Jahren
medico arbeitet seit den Fluten des Jahres 2010 im Land. Damals schon fanden wir die Partnerorganisationen, mit denen wir auch heute noch kooperieren. Die landesweit tätige Hilfsorganisation HANDS war schon bei der Flut vor 12 Jahren maßgeblich in der Nothilfe, hat den Wiederaufbau der betroffenen Landgemeinden dann bis zum heutigen Tag begleitet. Auch die Aktivist:innen des Gewerkschaftsbundes NTUF und der Frauenorganisation HBWWF haben wir zunächst in der Nothilfe kennengelernt. Nach dem 11. September 2011, dem Tag des Brandes in der primär auf Rechnung des deutschen Discounters KiK arbeitenden Fabrik Ali Enterprise, haben wir beide in ihrem Kampf gegen die noch immer unerhörte Ausbeutung vor allem in der Textilindustrie unterstützt. Wir haben auch die Klage gegen den Discounter unterstützt, die Überlebende und Hinterbliebene des großen Brandes vor dem Landgericht Dortmund geführt haben.
Auch wenn wir das weiter tun werden, geht es in der Kooperation mit NTUF und HBWWF jetzt erst einmal um Nothilfe. NTUF, HBWWF und HANDS sind schon seit Wochen im Einsatz, haben dabei stets damit zu kämpfen, dass die am heftigsten betroffenen Gebiete kaum zu erreichen sind.
Nicht abzusehen ist, ob die traditionell im Oktober beginnende und bis in den Dezember reichende zweite Jahresaussaat überhaupt angegangen werden kann: sollte das nicht möglich sein, wird es auch zum Frühjahr 2023 keine Ernte geben. Der Hunger, den jetzt schon Tausende erleiden, könnte dann zum Hunger von Millionen in einem Land werden, dem heute schon der Bankrott droht.
Für den Einsatz unserer Partnerorganisationen um Möglichkeiten des Überlebens und Lebens in Pakistan brauchen wir weiterhin Ihre Unterstützung.