Pakistan

Hotspot der Klimakrise

11.07.2024   Lesezeit: 6 min

Eine Hitzewelle hat große Teile Südasiens fest im Griff, sie ist Teil einer Kette katastrophischer Ereignisse.

Von Karin Zennig

Der Sommer ist wechselhaft. In Deutschland regnet es seit Wochen und überschwemmt Keller, Straßen und ganze Regionen Süd- und Westdeutschlands, während sich die Sonne nur allzu oft hinter Wolken versteckt. Auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt, so liegen die monatlichen Durchschnittstemperaturen nach dem europäischen Klimawandeldienst Copernicus trotzdem 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau – und das schon seit zwölf Monaten. Andernorts ist dieser Umstand eher spürbar. Eine Hitzewelle hält große Teile Südasiens fest im Griff, besonders stark ist sie in Bangladesch, Nordindien und Pakistan.

In Karatschi, Pakistans größter Metropole, kletterte das Thermometer in den letzten Tagen des Junis auf 52,2 Grad. Selbst in der Nacht gab es mit knapp 40 Grad keine Abkühlung. Doch es ist nicht nur die Hitze selbst. Durch die Lage als Hafenstadt am Arabischen Meer waren die Temperaturen in Karatschi und in Teilen von Sindh, der größten Provinz Pakistans, sowie in Nordindien mit einer beispiellosen Luftfeuchte gepaart. Durch sie fühlt sich die ohnehin schon glühende Hitze nicht nur noch heißer an. Je höher die Luftfeuchte, desto weniger Schweiß kann verdunsten und der Körper sich so selbst kühlen. Nach Übelkeit, Schwindel und Ohnmacht droht der Hitzetod.

In die Leichenhallen Karatschis werden im Regelfall täglich 30-40 Menschen eingeliefert, so die Edhi Foundation, einer der größten landesweit arbeitenden Ambulanz- und Gesundheitsdienste Pakistans, mit der medico regelmäßig in Kontakt steht. In den letzten zehn Tagen starben in Karatschi aber über 1300 Menschen durch die Folgen der Hitze. Die Kapazitäten der Leichenhallen sind völlig überlastet. Die Tausenden, die undokumentiert und unbeachtet auf den Straßen oder am Arbeitsplatz zusammenbrachen, sind indes ebenso ungezählt wie diejenigen, die mit starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Hitzeschläge die Krankenhäuser füllen. Der Klimawandel fordert seinen Tribut.

Schutzlos ausgeliefert

Offiziell zählt Karatschi knapp 20 Millionen Einwohner:innen, in der Stadt selbst spricht man eher von 25 Millionen. Sie platzt aus allen Nähten. Dass die wenigen Bäume, die hier einst standen, mittlerweile gigantischen Bauprojekten gewichen sind, macht das Klima der Stadt noch unerträglicher. Auch die Infrastruktur ist überlastet, selbst zehntausende Menschen in neuen Mittelklasse-Wohnkomplexen sind nicht an Strom-, Gas- und Wassernetze angeschlossen. Die Folgen sind Stromausfälle, Gasmangel, überlaufendes Abwasser und vor allem Trinkwassermangel. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist durch verunreinigtes Wasser gesundheitlich gefährdet oder auf den Kauf von Wasser aus Tankwagen angewiesen, dessen Preis parallel zu den Temperaturen steigt.

Am stärksten leiden unter der Hitze die Armen, Kranken, Alten und Neugeborenen – vor allem in den riesigen Slums, in denen rund 60 Prozent der Bevölkerung Karatschis leben und in denen es wenig mehr als Beton und Staub gibt. Der Boden war zuletzt so heiß ist, dass man nicht auf ihm schlafen, manchmal nicht einmal laufen kann. Klimaanlagen sind eine Seltenheit, Strom gibt es ohnehin oft nur wenige Stunde am Tag, auch für die verbreiteteren Deckenventilatoren.

Besonders betroffen sind auch diejenigen, die dem weisen Rat der Regierung, „nach Möglichkeit nicht vor die Tür zu gehen“, nicht Folge leisten können. Sie sind auf die Arbeit im informellen Sektor, auf der Straße angewiesen und als Händler:innen oder Rikschafahrer der Hitze schutzlos ausgeliefert. Oder sie arbeiten unter prekären Bedingungen und zu Hungerlöhnen in den tausenden Fertigungshallen, beispielsweise in Landhi, Korangi oder SITE, um nur drei Industrieviertel Karatschis zu nennen. Mindestens vier Millionen Menschen leben und arbeiten hier für Honda, Bayer oder die Textilmarken Zara und H&M.

Selten haben die Arbeiter:innen das Glück, dass es in den Hallen Klimaanlagen gibt. Wer sich, wie die meisten, kein Auto leisten kann, geht zu Fuß zur Arbeit oder fährt mit dem Motorrad durch die Hitze. Die Gewerkschaft NTUF (National Trade Union Federation), mit der medico seit vielen Jahren kooperiert, berichtet von Fällen, in denen Kolleg:innen nach der auslaugenden Arbeit auf dem Heimweg durch den tödlichen Mix aus Hitze und Erschöpfung starben.

Protest und Prävention

Dass Karatschi immer weiter wächst, hat vielfältige Gründe. Viele haben mit den immer lebensunfreundlicher werdenden Bedingungen auf dem Land zu tun. In immer kürzerer Frequenz und immer drastischerem Ausmaß zerstören Dürren und Überschwemmungen nicht nur soziale Infrastruktur wie Schulen, Straßen und Krankenhäuser, sondern auch den erarbeiteten kleinen Wohlstand der Menschen. Gleichzeitig verringern sich die Fruchtbarkeit der Böden und die Ernteerträge. Zerstörte Bewässerungssysteme tun ihr Übriges und hinterlassen große Ackerflächen als Brachflächen. Zuletzt wurde mit der Flut von 2022 die Provinz Sindh, die Kornkammer des Landes, fast vollständig überschwemmt, mancherorts stand das Wasser sechs Monate lang. Viele Menschen haben damals alles verloren und ihre Dörfer verlassen. Eine Zukunft gibt es für sie in der Stadt aber auch nicht.

Die Regierung Pakistans versucht derweil vor allem, die Kontrolle zu behalten. In Teilen Karatschis haben frustrierte Anwohner:innen begonnen, mit Steinen und Stöcken die Straßen zu blockieren, um gegen den Mangel an Strom und Trinkwasser zu protestieren. Gemeinsam mit der Edhi Foundation organisiert die NTUF Schulungen für die Arbeiter:innen in den Fabriken. Sie klären über Rechte, Gesundheitsschutz, die Auswirkungen der Hitze und den Umgang mit ihr auf. Währenddessen fördert die Hilfsorganisation HANDS, mit der medico seit gut 15 Jahren kooperiert, die Selbstorganisierung von Dorfkomitees für Katastrophenschutz und -prävention. Mit der Umstellung auf klimaangepasste Landwirtschaft unterstützt HANDS die Möglichkeit und das Recht der Menschen, auch unter widrigen Bedingungen bleiben zu können. Seit der dramatischen Flut von 2022 sind alle medico-Partnerorganisationen auch an klimapolitischen Allianzen beteiligt, die die Provinz- und Zentralregierung in die Verantwortung nehmen. Die kleinen Pflänzchen einer pakistanischen Klimabewegung.

Eine Kette von Ereignissen

Obwohl der Zusammenhang zwischen dem wesentlich auf fossiler Verbrennung basierenden kapitalistischen Wirtschafts- und Konsummodell und durch den Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse für Klimaforschungsinstitute und Wetterdienst weltweit unzweifelhaft ist, scheint die Erkenntnis nirgends zu politischem Wandel zu führen. Während man sich in Pakistan, das nur einen Anteil von 0,54 Prozent an den weltweiten CO₂-Emissionen zu verantworten hat, die Frage stellt, wie sich eine Gesellschaft auf die Realität der Klimakrise einstellen können soll, watet Ministerpräsident Söder durchs Hochwassergebiet in Bayern, um zu betonen, dass diese Katastrophe nun wirklich niemand hätte vorhersehen können.

Derweil ist die Hitze in Pakistan Teil einer Kette von Klimaereignissen: sie ist auch Vorbote des bald einsetzenden Monsunregens, der aller Voraussicht nach erneut mit Starkregen und Überschwemmungen einhergehen wird. Die heiße Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf, die sich wieder entladen muss und sie hinterlässt ausgedörrte Böden und verbrannte Vegetation, die die Wassermassen schlecht aufnahmen können. Ein Kreislauf der Katastrophen.

medico unterstützt Partnerorganisation in Pakistan seit vielen Jahren bei der Katastrophenprävention und -hilfe im Angesicht der Klimakatastrophe. Außerdem fördern wir klimapolitische Netzwerke und Initiativen aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika, die uns allen die Frage stellen, wer für die Zerstörung dieser Welt eigentlich Schuld und Verantwortung zu tragen hat – „wer eigentlich wem was schuldet“.

Karin Zennig

Karin Zennig ist bei medico in der Öffentlichkeitsabteilung für die Region Südasien und das Thema Klimagerechtigkeit zuständig. 

Twitter: @KarinZennig


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