Das in den Gründungsdokumenten von 1948 und in der Alma Ata-Deklaration von 1978 verankerte Mandat der WHO ist eigentlich klar: „Der Zweck der WHO besteht darin, allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“ (Artikel 1). Gerade in Zeiten massiver Infragestellung der Integrität und Unabhängigkeit der WHO und hartnäckiger „Fake News“ über die vermeintliche „Weltkontrollbehörde“ im Pandemiefall braucht sie dafür eine höchstmögliche Flexibilität und Sicherheit der Mittel, um ihr Ziel „Gesundheit für Alle“ zu erreichen. Dennoch wird diese Klarheit über den eigenen Auftrag von einer unklaren Finanzierung dieses Auftrags begleitet.
Die Finanzierungsgrundlage der Weltgesundheitsorganisation befindet sich seit Langem in einer massiven Schieflage. Die Mitgliedsbeiträge der Staaten, die, wie andere UN-Beiträge auch, fest planbar und flexibel verwendbar sind für die Arbeit der Zentrale in Genf, der sechs Regionalbüros und 150 Länderbüros, machen kaum 20% der jährlichen Budgets aus. Die übrigen mehr als 80% sind freiwillige und thematisch oder regional gebundene Mittel der klassischen ODA-Geberländer, anderer Multilateraler Organisationen (wie der Weltbank) und großen privaten Stiftungen (allen voran der Gates Foundation, auch die Rotary und Wellcome Stiftungen sind relevante Geber).
Die Budgets der WHO werden damit zwar von allen Mitgliedern in den jährlichen World Health Assemblies (WHAs) verabschiedet, aber was finanziert werden kann, hängt stark von dem Erfolg jeder Abteilung ab, sich mit eigenen Drittmitteln bei wichtigen Gebern zu versorgen. Damit konkurrieren verschiedene Arbeitsbereiche in der WHO häufig bei wichtigen Gebern um die gleichen Finanztöpfe. Keine gute Voraussetzung für eine kohärente Arbeit einer globalen Gesundheitsorganisation.
Seit Langem ist deshalb das Thema der Finanzierung der WHO ganz oben auf ihrer Agenda. Einen ersten Erfolg konnte das WHO-eigene Programme, Budget-and-Administration-Committee (PBAC) vor zwei Jahren erzielen. Die Mitgliedsländer einigten sich auf eine graduelle Erhöhung der Mitgliedsbeiträge, die perspektivisch bis 2030 die Hälfte des WHO Budgets (statt aktuell 20%) decken sollen. Die deutsche Delegation war hier wesentlich an der Einigung beteiligt und zementierte den Ruf Deutschlands als „Global Health Champion“ bei der WHO. Die Mitgliedsbeiträge Deutschlands steigen so von jährlichen 14,5 Mio. US-Dollar in den Jahren 2022/23 auf 35 Mio. US-Dollar für 2024/25.
Auch für die zweite Hälfte des WHO Budgets wird der Generaldirektor Dr. Tedros nicht müde, für eine flexible und vorhersehbare Finanzierung zu werben. Daraus entstand der aktuelle Plan, die Kernarbeit der WHO in einem Investment Case zu präsentieren und von den Mitgliedstaaten in einer Investment Round Finanzierungszusagen für das WHO Kernarbeitsprogramm (GPW-14) für vier Jahre (2025-28) zu bekommen. Dazu soll es ähnlich wie bei den großen globalen Gesundheitsinitiativen GFATM, GAVI oder dem neuen Pandemic Fund öffentliche und prominent besetzte „Pledging Events“ geben, die den Spender:innen die Geldbörsen öffnen sollen. Sieben Mitgliedsländer der WHO, darunter Deutschland, haben sich als „Co-Hosts“ bereit erklärt, für diesen Investment Case Werbung zu machen. Von den anvisierten 11,2 Mrd. USD, die das Kernprogramm der WHO für diese 4 Jahre braucht, sollen so 7,1 Mrd. gesichert werden, 4,1 Mrd. werden von den (steigenden) Mitgliedsbeiträgen gedeckt.
Auch wenn Dr. Tedros immer wieder betont, dass ein jährliches Budget von knapp drei Mrd. USD der WHO geringer ist als das eines europäischen Universitätskrankenhauses und damit Globale Gesundheit eigentlich zum Schnäppchenpreis zu haben sei, scheinen die Erwartungen auf einen Erfolg doch gedämpft zu sein. Beim Launch des Investment Case in Genf im Mai 2024 zur Eröffnung der WHA wollten sich allerdings nur wenige Akteure schon verpflichten. Als Gastgeber des Launches macht allein Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine größere Ansage und nannte jährliche 60 Mio. Euro, die Deutschland über vier Jahre beitragen wolle. Diese Mittel sollen zusätzlich zu den festen Mitgliedsbeiträgen fließen und würden Deutschlands Beitrag also fast verdreifachen. Sie sind auch im Budget des BMG für den neuen Haushalt 2025 mit eingeplant. Verglichen mit der großen Summe von fast einer halben Milliarde Dollar 2020/21 in der Corona Pandemie, mit denen Deutschland der WHO aus der Klemme half nach der Ankündigung von Donald Trump, die US Finanzierung der WHO zu streichen, erscheint die Summe dennoch bescheiden.
Auch die Vorstöße der WHO bei Brasilien als einem weiteren der Co-Hosts der WHO Investment Round, im Programm des G20 Gipfel in Rio de Janeiro im November einem Pledging Event einen prominenten Platz einräumen würde, sind weiterhin unbestätigt. Aktuell ist immerhin eine hochrangig besetzte Veranstaltung während des World Health Summits in Berlin Mitte Oktober geplant.
Damit schwindet aber auch die Erwartung, dass die WHO aus dem Dilemma kommt, immer von den „üblichen Gebern“ abhängig zu sein. Dazu wären die G20 und das BRICS-Land Brasilien natürlich der sehr viel bessere Gastgeber gewesen.
Zusätzlich setzt die WHO nun auf mehrere und dezentrale Momente wie dem Regionaltreffen der WHO AFRO in Brazzaville im September, wo afrikanische Staaten finanzielle und vor allem auch wichtige politische Unterstützung für dieses neue Finanzierungsinstrument signalisieren wollen.
Auch von der Zivilgesellschaft wünscht sich die WHO eine klare Unterstützung für ihre Pläne, vielleicht ähnlich, wie es die „Friends of the Global Fund“ in vielen Ländern tun. Allerdings hat der Global Fund den zivilgesellschaftlichen Akteuren wie auch den betroffenen Communities auch eine stärkere und institutionalisierte Rolle in ihren Governance Strukturen (sowohl auf globaler wie auf nationaler Ebene) eingeräumt. Damit tun sich die WHO und vor allem ihre Mitgliedsländer weiterhin schwer, auch wenn nach vielen Mühen immerhin eine Civil Society Commission beim WHO Sekretariat in Genf in 2023 formalisiert wurde.
Die aktuelle globale Rezession und die Haushaltslagen wichtiger Geberländer lassen nichts Gutes ahnen für den ambitionierten Investment Case der WHO. Dazu kommt, dass sie sich damit in unmittelbare Konkurrenz mit den anderen globalen Gesundheitsinitiativen begibt, die ebenfalls in regelmäßig wiederkehrenden Zyklen um die Aufmerksamkeit und die finanziellen Mittel der Geber buhlen.
Noch problematischer wäre es allerdings, wenn die WHO dann doch wieder auf die „üblichen Verdächtigen“ der großen privaten Stiftungen oder Unternehmen zurückgreifen muss, um ihre Finanzierungszusagen zu bekommen, so wie es die Globalen Gesundheitsinitiativen im Public Private Partnership Format regelmäßig tun.
Denn die Arbeit der WHO muss klare Regeln gegen eine Beeinflussung durch „vested interests“ haben, so wie es schon in den Debatten um ihr Framework for Engagement with Non State Actors (FENSA) deutlich zum Ausdruck kam. Gerade in der Corona Pandemie mit ihren Fake News und Verschwörungsakteuren, die nicht müde werden, ihr Misstrauen gegenüber den multilateralen Institutionen zu verbreiten, sind nicht nur klare politische Bekenntnisse zu den UN Institutionen wichtig, sondern auch eine materielle Grundlage, die von den Mitgliedsstaaten gemeinsam gesichert wird.
Der Text erschien zuerst bei Venro.