Globale Gesundheit

Den Rückschritt aufhalten

20.01.2025   Lesezeit: 7 min  
#globale gesundheit  #feminismus 

Eine Initiative will den globalen Angriff auf Frauenrechte in den internationalen Institutionen stoppen. Interview mit Nicoletta Dentico.

medico: Ende Januar starten Sie mit anderen Frauen der medico-Partnerorganisation Geneva Global Health Hub eine Initiative, die versucht, auf UN-Ebene den weltweiten Rückschritt bei den Frauenrechten zu stoppen. In der Ankündigung sprechen Sie von einem umfassenden Angriff, vom Versuch, die Rechte der Frauen in der Gesellschaft zu untergraben. Was meinen Sie damit genau?

Die Initiative ist eine Reaktion auf ein subtiles Phänomen, das wir nicht nur bei unserer Arbeit mit der Weltgesundheitsorganisation beobachten. Es tritt in mehreren UN-Gremien auf. Und es handelt sich wirklich um einen Rückschritt: der Streichung von Wörtern, der Streichung von Konzepten, der Streichung einer vereinbarten Sprache, die im Grunde die Bedingungen für die Achtung der Frauenrechte darlegte. Eine Sprache, auf die man sich in der Vergangenheit geeinigt hat, die erkämpft wurde, wird nun buchstäblich aus Dokumenten entfernt. Und dies geschieht eben nicht isoliert, sondern im Rahmen eines politischen Trends. Wir waren schockiert über die Dinge, die wir vor genau einem Jahr auf der Weltgesundheitsversammlung im Exekutivrat gesehen haben ...

Damals wurde der in den USA ansässigen Organisation „Center for Sexual and Reproductive Rights“ der Status als Nichtregierungsorganisation in offiziellen Beziehungen mit der WHO verweigert. Als Ergebnis einer Kampagne von "Pro-Life"-Gruppen in den USA, die Hand in Hand mit autoritären Regimen wie Russland und vielen konservativen afrikanischen Ländern gingen.

Sexuelle und reproduktive Rechte sind das erste Ziel dieses Erdrutsches in Richtung patriarchalischer Revanchismus. Der Körper von Frauen ist der perfekte Boden, auf dem man patriarchale Werte ausprobieren kann. Deshalb haben wir als Gruppe von Frauen, die dies miterlebt haben, beschlossen, auf dieses eher leise Phänomen zu reagieren. Es gab zwar Untersuchungen dazu, aber niemand hat wirklich lautstark dagegen protestiert. Wir haben beschlossen, dagegen zu handeln.

Ihre Initiative zielt auf eine sehr umfassende Entwicklung, nicht nur innerhalb der WHO.

Auf jeden Fall. Diese Initiative geht von einer Gruppe von Frauen des Geneva Global Health Hub aus, die direkt in die globale Gesundheitsarena involviert sind, aber wir nutzen die sexuellen und reproduktiven Rechte als symbolischen Boden. Eine sehr rechtsgerichtete bis faschistische politische Bewegung will Frauen in eine untergeordnete Rolle drängen. Aber das ist noch nicht alles.

Das Gleiche passiert bei der Verletzung der finanziellen Möglichkeiten von Frauen durch die Art und Weise, wie sie in der Finanzwelt behandelt werden. Es ist dasselbe, wenn Frauen eine große Rolle in der Landwirtschaft spielen, aber kein Land besitzen dürfen. Es hat mit der Handlungsfähigkeit von Frauen zu tun. 2024 war ein sehr auffälliges Wahljahr. Gleichzeitig war der Anteil von Frauen in Parlamenten und Vertretungsorganen so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das bedeutet, dass selbst die langjährigen und mühsamen Bemühungen von Frauen, in Institutionen vertreten zu sein, sich umkehren. Es geht rückwärts. Das ist wirklich ein Problem.

Bemühungen, die seit Ewigkeiten von Frauen mit viel Unterstützung von Männern unternommen wurden, werden jetzt von einem sehr strukturierten, rechtsgerichteten politischen Netzwerk, das religiöse Strukturen einbezieht, vollständig zunichte gemacht und in kürzester Zeit demontiert. Sie mögen gegeneinander Krieg führen, aber in dieser Hinsicht sind sie sich alle einig. Trump mit Putin, Netanjahu mit Milei, die arabische Welt und die muslimischen Führer und auch viele christliche Führer. Das ist also wirklich ernst und sehr strukturiert.

Was genau schwebt Ihnen vor, um diese antifeministischen Angriffe auf UN-Ebene zu bekämpfen?

Was können wir als Gesundheitsaktivisten tun, wenn solche Dinge in den Räumen der WHO geschehen? Was können wir tun, wenn ein Delegierter, ein weißer Mann – normalerweise ist es ein weißer Mann – kommt und sagt, dass die Gesundheit von Frauen und die sexuellen und reproduktiven Rechte keine Menschenrechte sind? Was können wir tun? Vielleicht können wir im Raum auf gewaltfreie Weise etwas unternehmen, aber wir auch können Lärm machen. Wir können im Raum reagieren, ohne das Wort zu ergreifen. Ich will nicht die eine Minute oder 45 Sekunden, die mir die WHO für meine offizielle Stellungnahme gibt. Ich will etwas Wirkungsvolleres, weniger Formalisiertes. Das UN-System versteckt sich hinter der Tatsache, dass es die Mitgliedstaaten seien, die diese Politik wollen. Und ja, es sind die Mitgliedstaaten, die wollen, dass das Wort „Gender“ aus den Dokumenten gestrichen wird. Deshalb müssen wir auch auf nationaler Ebene arbeiten.

Die Verfassung der WHO besagt klar, dass Gesundheit ein Grundrecht ist, das niemandem vorenthalten werden darf. Und gleichzeitig haben wir diese umstrittenen Themen rund um die Gleichstellung der Geschlechter. Dies ist für die Glaubwürdigkeit der WHO höchst problematisch. Könnte dies selbst Teil der Strategie der Rechten sein, die Legitimation des Multilateralismus zu untergraben?

Das Risiko, das wir sehen, besteht darin, dass in einem zunehmend rechtsgerichteten Europa, einem zunehmend rechtsgerichteten Russland, einem zunehmend rechtsgerichteten Indien und einem zunehmend rechtsgerichteten Teil der USA ein neuer Konsens entsteht.

Es könnte sogar bedeuten, dass wir ohne die UNO zurechtkommen müssen. Schließlich gibt es immer mehr ungestrafte Aktionen gegen die UNO. Wir haben 2024 erlebt, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen in Israel eine Persona non grata ist oder dass humanitäre Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Kriegen angegriffen werden und nichts passiert. Dieser Kampf für die Rechte der Frauen ist auch ein Kampf für den Multilateralismus, der definitiv verbesserungswürdig ist, aber die Welt wäre viel stärker einem Raubtierrevier ähnlich, wenn es diesen multilateralen Rahmen nicht gäbe. Deshalb sind diese beiden Dinge für uns sehr eng miteinander verbunden.

Sie werden die Initiative in Genf am Graduate Institute starten. Befürchten Sie nicht, dass der Umfang sehr begrenzt ist, was das Publikum und die Personen, die Sie erreichen können, betrifft?

Wir versuchen, die Realität von Frauen weltweit zu zeigen. Wir laden iranische Frauen ein, zu sprechen. Wir laden eine Organisation wie Navdanya International ein, die den Kampf von Frauen in der Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt unterstützt. Wir haben eine sudanesische Kinderärztin, die nicht nur eine der treibenden Kräfte hinter den demokratischen Bestrebungen im Sudan war, al-Bashir zu stürzen, sondern die jetzt von London aus eine der stärksten Befürworterinnen der Demokratie und des Kriegsendes im Sudan ist. Wir versuchen, diejenigen in den Vordergrund zu stellen, die die Situation nicht nur analysieren, sondern sie direkt erleben.

Dieser Kampf wird nicht von einer kleinen Gruppe von G2H2-Frauen geführt, die im Graduate Institute in Genf miteinander reden. Im Moment ist es wichtig, dass G2H2 diese Initiative fördert, weil es eine anerkannte Einrichtung in Genf ist und tatsächlich die Wiege, in der all diese Debatten im letzten Jahr geführt wurden. Aber dann müssen wir über die Strukturen, die Finanzierung und die Instrumente nachdenken, die wir einsetzen wollen, um Frauen zu erreichen. Und durch diejenigen, die die Gruppe jetzt bilden, müssen und wollen wir auch andere Menschen erreichen.

Wir müssen uns an alle Instanzen auf institutioneller Ebene und an der Basis wenden, ganz klar. Aber wir wollen uns nicht nur auf die UN-Dimension der institutionellen Vertretung von Frauen beschränken. Wir wissen, dass es heute im Iran, sogar in Afghanistan, in Argentinien, überall auf der Welt viele feministische Basisgruppen gibt, die diese Kämpfe vorantreiben. Diese sind für uns vorrangig.

Dabei stellen wir uns auch die Frage, wie wir sicherstellen können, dass wir uns nicht als Retterinnen positionieren, als diejenigen, die in gewisser Weise einen kolonialen Ansatz gegenüber den Frauen vieler Gemeinschaften wiederholen oder replizieren, die nicht den gleichen Raum, die gleichen Kapazitäten oder die gleiche Handlungsfreiheit haben? Es gibt viele offene Fragen. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, zu schweigen, denn dies ist genau der richtige Moment, um unsere Stimme zu erheben.

Am 30. Januar wird die Initiative starten. Wie geht es danach weiter?

Wir werden eine Erklärung in fast 30 Sprachen übersetzen lassen. Denn wir wissen, dass Frauen auf der ganzen Welt verstehen werden, worüber wir sprechen, wenn wir die verschiedenen Sprachen für diese eine Sache nutzen. Missbrauch, Gewalt, häusliche Gewalt, strukturelle Gewalt, wirtschaftliche Gewalt. Wir alle erleben sie in unterschiedlichen Positionen. Wir alle haben sie erlebt. Wir planen, diesen Erfahrungen Gehör zu verschaffen, indem wir kleine Interviews oder Podcasts in verschiedenen Sprachen produzieren. Wir wollen die Geschichten der Frauen aufgreifen, die unsere Erklärung unterstützt haben und sich engagieren wollen.

Es ist eine große Herausforderung, aber ich denke, es ist ein lohnendes Ziel für dieses düstere Jahr 2025. Wir brauchen eine Antwort der Frauen auf Trumps "Project 2025". Dies ist der Beginn eines Weges, der gemeinsam von Frauen und anderen Gemeinschaften, die sich bedroht fühlen, gegangen werden muss.

Das Interview führte Felix Litschauer.


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