Armut und Gesundheit

Medizin als öffentliches Gut

24.03.2025   Lesezeit: 4 min  
#gesundheit 

Was aus der Pandemie zu lernen wäre.

Von Franziska Max

Jedes Jahr beteiligt sich medico international mit einem Panel am Kongress "Armut und Gesundheit" in Berlin. Der Titel dieses Jahr: "Das (Gesundheits-) System neu denken. Der Weg zu nicht-kommerzieller Pharmaproduktion". Franziska Max war dort.

Seit Jahrzehnten erheben Gesundheitsaktivist:innen die Forderung, Impfstoffe als globales Gemeingut freizugeben. Zu Beginn der Corona-Pandemie war diese Forderung für einen kurzen Moment selbst von Seiten der Bundesregierung und der EU-Komissionspräsidentin zu hören. Was jedoch stattdessen geschah war das genaue Gegenteil: Die reichen Länder sicherten sich exklusive Verträge und horteten Millionen Dosen Impfstoffe, während viele arme Länder leer ausgingen. Daran erinnerte medico-Gesundheitsreferent Felix Litschauer fünf Jahre nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns in seiner Einführung zum medico-Panel auf dem Kongress "Armut und Gesundheit".

Globales Gesundheitsversagen in der Pandemie

Hinter diesem Impfstoffnationalismus standen politische Entscheidungen, die die Pharmaindustrie schützten. Die Konzerne stellten den Patentschutz und ihre Monopolstellung über die Möglichkeit, Generika zu günstigeren Preisen im globalen Süden zu produzieren. Diese Logik mag aus der Perspektive der Unternehmen zweckrational sein, doch sie zeigt einen grundlegenden Fehler im System: Wenn Gesundheit zur Ware wird, die vom Geldbeutel oder dem Wohnort abhängt, dann ist das kein tragfähiges Modell für eine gerechte und solidarische Gesundheitsversorgung und nimmt den unnötigen Tod von Menschen in Kauf.

Gerade im Bereich der Pharmapolitik halten sich hartnäckig viele falsche Begründungen zur vermeintlichen Alternativlosigkeit kommerzieller Arzneimittelproduktion und beeinflussen politische Entscheidungen maßgeblich, wie Max Klein von der Buko-Pharma Kampagne aufzeigte. Ein weit verbreiteter Mythos besteht darin, dass die kommerzielle Pharmaindustrie die treibende Kraft hinter der Verbesserung der globalen Gesundheit sei. Zwar haben pharmazeutische Innovationen in einigen Bereichen wie der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zur Lebensverlängerung beigetragen. Die Realität zeigt jedoch, dass viele Fortschritte in der Gesundheitsversorgung viel mehr mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen zu tun haben. So hat beispielsweise die Bekämpfung von Krankheiten wie Tuberkulose oder Malaria weniger mit der Verfügbarkeit neuer Medikamente zu tun und mehr mit der Verbesserung der Lebensbedingungen, besserer Hygiene und Gesundheitsbildung. Diese Mythen verschleiern die tatsächlichen Ursachen der Gesundheitsprobleme und lenken die Aufmerksamkeit von strukturellen Ungleichheiten ab.

Besonders in der Diskussion um die Preisgestaltung von Arzneimitteln hat sich ein weiterer Mythos eingeschlichen, der bei der Verteilung von Impfstoffen während der COVID-19-Pandemie zum Tragen kam: Hohe Arzneimittelpreise seien gerechtfertigt, da sie die Kosten für Forschung und Entwicklung abdecken müssten. In Wirklichkeit ist die Transparenz über die tatsächlichen Kosten von Forschung und Entwicklung jedoch mangelhaft. Viele Pharmaunternehmen streben aktiv eine Monopolstellung ein, etwa durch „Evergreening“, womit die Verlängerung von Patenten gemeint ist, um den Wettbewerb auszuschließen. Dies führt nicht nur zu einem Anstieg der Preise, sondern auch zu einer Verschärfung der Versorgungsungleichheit. Das zeigte sich insbesondere in der Pandemie in drastischer Weise. In vielen ärmeren Ländern waren Impfstoffe aufgrund von Patenten und exklusiven Lieferverträgen unerreichbar, während Pharmakonzerne im globalen Norden Milliardengewinne erzielten.

Der Mythos, dass die kommerzielle Pharmaindustrie unverzichtbar für medizinische Innovation sei, wird hierzulande sogar durch gesetzlich vorgeschriebene Nutzenbewertungen widerlegt. Diese zeigen auf, das 70 Prozent der neuen Medikamente keinerlei Zusatznutzen mit sich bringen, sondern allein aus Profitinteresse und nicht aus Gründen der Gesundheitsversorgung angeboten werden. Was es braucht, ist also ein Paradigmenwechsel hin zu einer bedarfsorientierten Arzneimittelproduktion.

Public Pharma for Europe

Wie dieser Wechsel konkret werden kann, zeigte Alan Rossi Da Silva vom People’s Health Movement exemplarisch anhand der transnationalen Initiative Public Pharma for Europe (PPfE). PPfE kämpft für die Schaffung öffentlicher pharmazeutischer Infrastrukturen und damit für eine gebrauchsorientierte Produktion. Ziel ist die Entwicklung von Arzneimitteln, Impfstoffen und andere Gesundheitsprodukten auf der Grundlage öffentlicher Bedarfe und nicht nach den Regeln des Marktes. Dabei zeigen Beispiele wie das Luis Pasteur Institut in Dhakar, Fiocruz in Brasilien oder das staatliche Arzneimittelprogramm SPC aus Sri Lanka: Öffentliche Pharmaproduktion ist möglich und bereits vielerorts die Regel.

Für Europa würde das bedeuten, den Blick in den globalen Süden zu richten und zu lernen. Denn das Modell von Public Pharma bietet konkrete Alternativen, die auf der Idee beruhen, medizinisches Wissen als öffentliches Gut zu betrachten und die Produktion lebenswichtiger Medikamente als staatliche Aufgabe zu verstehen. Der Weg zu einer dies ermöglichenden Umverteilung von Macht und Ressourcen im Gesundheitsbereich ist indes noch weit. Schritte in Richtung Gemeinwohlorientierung des Gesundheitssystems müssen deswegen permanent und fortlaufend erkämpft werden. Denn, wie im Schlusswort des Panels angemerkt wurde: Es geht darum, die Interessen der Menschen und nicht der Konzerne in den Mittelpunkt zu stellen.

Franziska Max ist Ostheopatin, studiert Sozialethik im Gesundheitswesen und macht zurzeit ein Praktikum bei medico international.


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