Globale Gesundheit

Eine Covid-Zukunft

24.11.2021   Lesezeit: 4 min

Der Pandemie-Vertrag bei der WHO – eine notwendige Idee oder ein politisches Ablenkungsmanöver?

Von Dr. Andreas Wulf

Unmittelbar leuchtet diese Idee ein: Die unzureichende internationale Kooperation und das egoistische Handeln der Staaten in der Covid-Pandemie rufen geradezu danach, die multilateralen Instrumente und Akteure zu stärken, die Weltgesundheitsorganisation ins Zentrum des Handelns zu rücken und mit einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung verbindlichere Absprachen in Vertragsform zu gießen, solange die Dringlichkeit noch allen vor Augen steht, weil die Pandemie immer noch nicht vorbei ist. Denn allzu oft schon hat der politische Zyklus von Panik und Vernachlässigung die Erfahrung bestätigt: Ist die Katastrophe erst einmal vorbei, dann treten wieder die nächsten Weltprobleme in den Vordergrund, Ressourcen werden für die nächste (nationale) Krise gebraucht und die Sonntagsreden von der globalen Solidarität bleiben folgenlos.

Genauso haben sich das wahrscheinlich auch die europäischen (und die darin gewichtigen deutschen) Diplomat:innen gedacht, die mit ihrem politischen und finanziellen Einfluss die WHO im letzten Jahr nach dem angedrohten Ausstieg der US-Administration unter Trump und den massiven geopolitischen Machtspielen zwischen China und den USA buchstäblich über Wasser gehalten haben.

Sollten sich also nicht alle Länder hinter einer solchen Idee versammeln und schleunigst die Verhandlungen zu einem solchen (Rahmen-)Vertrag anfangen? Ein Vertrag, der die verpflichtende Kooperation, das uneigennützige Teilen von Daten, pathogenen Erregern, Forschungsergebnissen und Ressourcen zu Prävention, Vorbereitung und Bekämpfung der nächsten Pandemien und zur Stärkung der Gesundheitssysteme weltweit enthalten müsste. Ist das nicht eine gute Idee? Oder vielleicht nur gut gemeint? Oder gar noch ganz etwas anderes?

Tatsächlich ist es in der internationalen Politik ähnlich wie bei den nationalen Anstrengungen, um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen. Ohne das Vertrauen in die guten Absichten der Akteure bleibt die Skepsis, dass sich dahinter andere Agenden und Interessen verbergen. Ist diese Skepsis bei den Impfverweigerern zumeist Verschwörungsdenken oder gezielte rechtsradikale Instrumentalisierung, hat das in der globalen Gesundheitspolitik einen handfesten Erfahrungshintergrund.

Ist der Pandemie-Vertrag nicht vielleicht nur ein Ablenkungsmanöver vom heiß umkämpften Feld der geistigen Eigentumsrechte bei der Welthandelsorganisation, über das wir schon mehrfach berichtet haben? Wie glaubwürdig ist eine Europäische Union und eine Bundesregierung, die sich weigert der Aussetzung des Patentschutzes auf dringend benötigte Medizingeräte, Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe zuzustimmen und einen beschleunigten Technologietransfer von den Herstellern einzufordern und sich damit gegen eine breite öffentliche Meinung von Fachleuten, Aktivist:innen, Prominenten bis hin zum Papst und eine deutliche Mehrheit der Staaten in der WTO stellen? Würde in einem Pandemie-Vertrag tatsächlich dem verpflichtenden Teilen von Informationen über die Krankheitserreger auch ein verpflichtendes Teilen der Impfstoffe, Medikamente und gar noch der Technologie und des Wissens folgen, dem sich die großen Pharmaunternehmen und die alten Länder des Globalen Nordens aktuell so beharrlich verweigern?

Es ist nicht gerade vertrauenerweckend, dass die reichen und mächtigen Regierungen immer wieder fragwürdige Konzepte auf den Tisch legen. So debattierte die G20 in Rom eine ganz neue Pandemie-Lenkungs-Architektur: Einen Global Health Threats Council auf UN-Ebene mit Global Health Threats Board mit den G20-Staaten, Internationalen Organisationen und rotierender Präsenz von „hauptbetroffenen Ländern“ und einen neuen Global Health Threat Fund bei der Weltbank, bei der formal die WHO „im Mittelpunkt“ stehen solle, aber de facto doch nur ein Gastgeber wäre, wie wir das schon bei der Covid-19-Pandemie-Struktur ACT-A (Access to Covid-19 Tools-Accelerator) sehen, die von den großen Public Private Partnerships GAVI, FIND, CEPI, Global Fund dominiert werden. Daraus ist zunächst eine G20 Joint Finance Health Task Force der Gesundheits- und Finanzminister der G20-Staaten entstanden, wenn auch ohne konkrete Finanzzusagen.

In einer solchen Kakophonie der sich überschlagenden Vorschläge und Initiativen den Überblick zu behalten und gar (ver)handlungsfähig zu sein, ist für die meisten, personell und finanziell bescheiden ausgestatteten, Delegationen der Mitgliedsstaaten aus dem Globalen Süden in Genf beim Sitz der WHO schwer möglich. Hier sind Bedenken, dass sich alle Anstrengungen zunächst auf die rasche Bewältigung der Pandemie zu konzentrieren haben, und nicht auf mühsame multilaterale Verhandlungen, ernst zu nehmen.

Die Stimmen aus dem Globalen Süden sind auch bei der formal so demokratisch organisierten WHO, bei der jedes Land eine Stimme hat, nicht von gleichem Gewicht. Deshalb hat der von medico mitgetragene Geneva Global Health Hub in einer eigenen Recherche solche Stimmen eingeholt und verstärkt sie mit dem Gewicht der kritischen zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit. So zum Beispiel in dem Workshop beim World Health Summit, bei dem Unni Karunakara einen interessanten Beitrag gehalten hat. Diese kritische Debatte wird fortgesetzt, vor und unmittelbar während der Sondersitzung der Weltgesundheitsversammlung, auf der über den Pandemie-Vertrag beraten wird, die noch in diesem Jahr stattfindet. Diese Debatten sind ein Beitrag zu einer tatsächlichen Demokratisierung der politischen Weltverhältnisse.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2021. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Andreas Wulf

Andreas Wulf ist Arzt und seit 1998 bei medico international. Er ist Nothilfe-Referent und arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.


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