Fonds für Bewegungsfreiheit

Eine Praxis der Solidarität

16.09.2024   Lesezeit: 4 min

Plädoyer für das Recht auf Bewegungsfreiheit.

Von Tsafrir Cohen

Mit dem Fonds für Bewegungsfreiheit unterstützt medico Menschen, die an den Rändern Europas unrechtmäßig in Gefängnissen sitzen oder sich verteidigen müssen. Wir finanzieren Prozess- und Anwaltskosten, unterstützen im Alltag und schaffen mit öffentlichen Kampagnen Aufmerksamkeit – weil Migration kein Verbrechen ist. 

Als wir bei medico darüber begonnen haben nachzudenken, wie sich das Recht auf Bewegungsfreiheit mit einer Solidaritätsaktion als Forderung und Praxis in seiner Unhintergehbarkeit betonen lassen könnte, haben wir uns die heutige Situation nicht ausgemalt.

Wir wussten schon, dass wir alle unsere Kraft würden aufbringen müssen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft. Nun aber erleben wir einen Rechtsruck, der seines Gleichen sucht und quer durch die bürgerliche Mitte geht. Haben die Enthüllungen zum rechten Kampfbegriff „Remigration“ noch vor einem halben Jahr den Aufstand des Bürgersinns, auch bei Regierungsmitgliedern und Ampel-Parteien, geweckt, so scheint dieser Widerstand heute völlig zusammengebrochen zu sein. Und so gut wie alle Parteien reden so, wie wir es von der AfD gewohnt sind. Die Rückführung sogenannter Straftäter - manche saßen wegen Schwarzfahrens - nach Syrien oder Afghanistan ist ein weiterer Schritt in eine Praxis, die den Geflüchteten alle Rechte aberkennt, in die wie von Friedrich Merz geforderte Schließung der Grenzen und damit Aushebelung des Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention. Damit wird eine der wichtigsten Lehren aus der Nazizeit, die in nationales und internationales Recht als Norm festgesetzt wurde, systematisch ausgehebelt. Manchmal frage ich mich, ob die Antisemitismus-Debatte in Deutschland mittelweile deshalb so laut geführt wird, damit wir „die Anderen“ des Antisemitismus beschuldigen und damit über diesen fundamentalen Bruch mit den Lehren aus der NS-Geschichte hinwegtäuschen können.

In der aufkommenden rassistischen Debatte nach Solingen hatte kein Politiker oder Politikerin den Mut das Naheliegende auszusprechen. Etwa, dass die syrische Einwanderung in Deutschland eine Erfolgsgeschichte ist. So haben viele der Eingewanderten die deutsche Staatsbürgerschaft, eine große Mehrheit arbeitet und finanziert das Gemeinwesen mit. Stattdessen wird die Tatsache der Einwanderungsgesellschaft geleugnet und die Zugewanderten essenzialisiert und kriminalisiert.

Aus diesem Teufelskreis heraus entsteht eine Abwärtsspirale, die sich schon seit Jahrzehnten um das Asylrecht und um die Flüchtlingspolitik windet. Dem Grenzregime in seinen immer neuen härteren Ausformungen steht zwar die Autonomie der Migration gegenüber. Aber in dem Maße, in dem das Grenzregime sich verschärft, ist der Preis für das Recht zu gehen allzu häufig das eigene Leben.

Unsere Spielräume in dieses politische Geschehen einzugreifen sind zurzeit äußerst gering. Wir müssen eine eigene Praxis finden, die sich dem autoritären Geschehen widersetzt. Es ist eine Praxis der Solidarität, die nicht nur die Flüchtenden meint, sondern auch uns selbst. Aimé Césaire, der Martinique‘sche Dichter, Philosoph und Politiker, aber auch Frantz Fanon haben in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass er nicht nur die Kolonisierten niederdrückt, sondern auch die Kolonisatoren selbst deformiert. Eine Welt, die sich einteilt zwischen denen, die überleben, und denen, die keinen Schutz mehr erhalten, ist in diesem Sinne eine apokalyptische Welt.

Wir wollen mit dem Fonds für Bewegungsfreiheit Löcher in die Mauern schlagen, die seit geraumer Zeit um die privilegierten Zonen gebaut werden. Denn wir können uns nur selber retten, wenn es gelingt, das gleiche Recht für alle zu behaupten, selbst wenn es eine dumpfe Mehrheit bestreitet. Jeder noch so kleine Riss in der Mauer kann sie möglicherweise irgendwann zum Einsturz bringen.

Wir sind als medico seit Jahrzehnten im Bereich Flucht und Migration tätig. Daraus ist ein Netzwerk aus Partnerinnen, Partnern und Einzelpersonen in Europa und an den ausgelagerten Grenzen entstanden, das in der Lage ist, auf dem Recht auf Bewegungsfreiheit zu beharren. Dies ist keine Arbeit, die uns der deutsche oder europäische Staat finanzieren wird. Wir können eine solche Arbeit nur mit der Unterstützung von Spenderinnen und Spendern betreiben. Zugleich müssen wir festhalten, dass wir in Fragen von Flucht und Migration politisch fast nur auf taube Ohren stoßen. Wir müssen uns also in der Praxis, im konkreten Tun für dieses Menschenrecht einsetzen. Der Fonds für Bewegungsfreiheit ist deshalb ausdrücklich eine Bitte um Geld. Ich möchte behaupten, selten war Geldgeben so politisch und so sehr ein Zeichen der Nichtunterwerfung unter das Diktat eines fremdenfeindlichen Mehrheitsdiskurses.

Wir haben uns in einem ersten Schritt entschlossen, vor allem der Kriminalisierung von Flüchtenden entgegenzutreten und Menschen zu unterstützen, die, selbst flüchtend, als sogenannte Fluchthelfer und auf einer mehr als zweifelhaften Rechtsgrundlage zu absurd hohen Haftstrafen verurteilt werden.

Das Recht auf Bewegungsfreiheit zu verteidigen ist eine, vielleicht die zentrale Aufgabe im Kampf gegen den weltweiten Autoritarismus. Es geht im Kern auch darum, ein demokratisches Europa zur verteidigen, das auf dem Universalismus der Menschenrechte fußt. Dass man sich mit einem solchen Anliegen am Rande der Legalität zu bewegen droht, ist ein Zeichen dieser autoritären Zeiten. Aber wir sind, so meine ich, zum Widerstand verpflichtet. Es ist eine Frage der prinzipiellen Solidarität.

Diesen Beitrag hat Tsafrir Cohen auf der Veranstaltung zur Eröffnung des Fonds für Bewegungsfreiheit am 10. September 2024 in Frankfurt am Main gehalten.

Mit dem Fonds für Bewegungsfreiheit unterstützen wir Menschen, die an den Rändern Europas unrechtmäßig in Gefängnissen sitzen oder sich verteidigen müssen. Wir finanzieren Prozess- und Anwaltskosten, unterstützen im Alltag und schaffen mit öffentlichen Kampagnen Aufmerksamkeit – weil Flucht kein Verbrechen ist. Helfen Sie uns dabei!

Tsafrir Cohen (Foto: Christoph Boeckheler)

Tsafrir Cohen ist Geschäftsführer von medico international. Bis 2014 war er hier für Projektkoordination und Öffentlichkeitsarbeit zu Israel und Palästina zuständig. Danach hat er bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Regionalbüros geleitet: zunächst Israel, dann Großbritannien und Irland. (Foto: Christoph Boeckheler)


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