medico: Am 28. Januar beginnt das Verfahren gegen Mustafa* aus Ägypten. Was ist seine Geschichte?
Maria Flouraki: Vor zwei Jahren beschlossen Mustafa und sein Vater, ihre Familie in Ägypten zu verlassen und Mustafas Bruder nach Großbritannien zu folgen. In Libyen arbeiteten sie als Fischer, um genug Geld für die Reise zu verdienen, es reichte aber nicht für die Überfahrt nach Europa. Weil Mustafas Vater sich bereit erklärte, das Schiff zu steuern, mussten sie schließlich weniger für die Überfahrt zahlen.
Das Holzboot war mit 467 Menschen an Bord auf dem Weg nach Italien, als der Motor ausfiel und das Boot bei Kreta in Seenot geriet. Die griechische Küstenwache schleppte es nach Kreta ab, wo Mustafa und sein Vater verhaftet wurden.
Gegen Mustafa, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme 16 Jahre alt war, liegen keine Beweise vor. Zeugen sagen, er habe nur geholfen, Essen und Wasser an die Menschen auf dem Boot zu verteilen. Dennoch wurde er als Schleuser angeklagt, mit dem Vorwurf, er habe aus Gewinnstreben gehandelt und sei Teil einer kriminellen Vereinigung. Sein Vater wurde bereits zu 280 Jahren Haft verurteilt, die nach einem Vergleich zum Glück auf acht Jahre Bewährung reduziert werden.
Nach griechischem Recht reicht es aus, ein Boot mit Flüchtlingen zu steuern, um als Schleuser verurteilt zu werden. Dies führt zu der absurden Situation, dass die zweitgrößte Gruppe an Insassen in griechischen Gefängnissen wegen des Vorwurfs der Schleuserei einsitzt. Wie ist es möglich, dass die Kriminalisierung ein derartiges Ausmaß annimmt?
Der griechische Rechtsrahmen für die Bekämpfung von Schleuserei ist sehr strikt. Für jeden beförderten Passagier kann eine Strafe von 10 Jahren Haft verhängt werden und zusätzlich kommen noch erschwerende Faktoren hinzu, wie eben die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Außerdem wird die Beihilfe zur Einreise von den griechischen Gerichten sehr weit ausgelegt: Die bloße Übernahme von kleinen Aufgaben an Bord reicht aus, um die rechtliche Definition des Schmuggels zu erfüllen. So kann sogar jemand, der nur Lebensmittel verteilt, als Schleuser angeklagt werden. Nach dem griechischen Strafgesetzbuch beträgt die Höchstdauer der Haftstrafe dann aber 25 Jahre – unabhängig davon, was im Gerichtsurteil steht.
Warum diese drakonischen Strafen, die gar nicht die eigentlichen Schleuser, sondern vor allem Menschen auf der Flucht treffen?
Die europäische Politik will Menschen davon abhalten, nach Europa zu kommen. Und der einfachste Weg dafür scheint ihnen zu sein, besonders hohe Strafen zu verhängen. Da es keine legalen Einreisewege gibt, sind die Flüchtlinge aber gezwungen, auf Fluchthelfer zurückzugreifen. Die Fluchtursachen werden mit dieser Politik jedenfalls nicht angetastet.
Migration gab es schon immer und wird es auch weiterhin geben. Zu viele Menschen sind gezwungen, aus ihren Ländern zu fliehen. Krieg, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit und Armut werden die Menschen auch weiterhin dazu bewegen, sich ungeachtet der Gefahren auf den Weg zu machen. Strafen können Migration nicht stoppen. Und je mehr die Grenzkontrollen verschärft werden, desto raffiniertere Wege werden die Menschen finden, um die Kontrollen zu umgehen – und desto mehr tragische Unfälle werden sich ereignen.
Sie setzen sich für die Betroffenen ein und kämpfen für faire Gerichtsverfahren. Gemeinsam mit der Organisation de:criminalize hat medico international den Fonds für Bewegungsfreiheit ins Leben gerufen, der explizit Migrant:innen unterstützt, die an den europäischen Grenzen wegen des Vorwurfs der Schleuserei kriminalisiert werden. Warum ist es so wichtig, diese Menschen und Fälle finanziell zu unterstützen?
Wenn man 20 oder 25 Jahre im Gefängnis sitzt, ist das Leben zerstört. Mit einem kompetenten Rechtsbeistand hätten einige der Angeklagten eine realistische Chance, freigesprochen zu werden, andere müssten vielleicht nur ein oder zwei Jahren ins Gefängnis. Deshalb ist unsere Arbeit so wichtig: für das Leben der Betroffenen, für ihre Familien, für alle.
Ich hoffe sehr, dass wir für Mustafa ein gutes Urteil erreichen können. Er ist nur ein Kind, das seinem Vater gefolgt ist. Er konnte keine Entscheidungen treffen. Und es gibt nicht genügend Beweise, um ihn zu verurteilen. Darum muss er freigesprochen werden.
Das Interview führte Valeria Hänsel.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Mit dem Fonds für Bewegungsfreiheit unterstützen wir Menschen, die an den Rändern Europas unrechtmäßig in Gefängnissen sitzen oder sich verteidigen müssen. Wir finanzieren Prozess- und Anwaltskosten, unterstützen im Alltag und schaffen mit öffentlichen Kampagnen Aufmerksamkeit – weil Flucht kein Verbrechen ist. Helfen Sie uns dabei!