Flucht und Migration

Einen Ort der Freiheit schaffen

03.04.2023   Lesezeit: 7 min

Zum Start des Projekts "Maldusa" auf der Insel Lampedusa und in Sizilien haben wir mit dem Team über seine Bedeutung im Kampf für Bewegungsfreiheit gesprochen.

medico: Zum 1. April startete mit Unterstützung von medico international, Pro Asyl und United4Rescue das Projekt Maldusa auf der Insel Lampedusa und in Palermo/Sizilien. Woher kommt eigentlich der Name „Maldusa“ und wer und was steckt hinter dem Projekt?

Maldusa-Projekt: Letztes Jahr erhielt „Watch the Med - Alarm Phone“ einen Anruf von einer Gruppe von Menschen, die auf hoher See waren und die Orientierung verloren hatten. Der Mitarbeiter des Alarm Phone fragte sie, ob ihr Ziel Malta oder Lampedusa sei. Die Leute wiederholten mehrmals, dass sie nach Maldusa wollen. Seitdem träumen viele von uns davon, eine Insel im Mittelmeer mit dem Namen Maldusa zu errichten, auf der die Menschen ankommen und frei sein könnten. Wir haben es (noch!) nicht geschafft, eine Insel zu bauen, aber als wir dieses neue Projekt ins Leben riefen, erschien uns der Name Maldusa als der Richtige.

Das Projekt setzt sich aus Mitgliedern verschiedener Vereinigungen und Gruppen zusammen, die für Bewegungsfreiheit kämpfen. Uns allen ist gemein darüber nachzudenken, wie wir unsere Kämpfe auf eine andere Ebene bringen können, jenseits von Rettung, jenseits von Notfall, und um bestehende Kämpfe, Gemeinschaften und Organisationen im Norden und Süden des Mittelmeers zu verbinden.

Was hat es mit dem Projekt auf sich? Was ist euer Ziel?

Unser Ziel ist es, einen Beitrag zum bestehenden Netzwerk der diversen Such- und Rettungsakteure zu leisten. Unser Slogan "Bewegungsfreiheit ermöglichen“ lehnt sich an das an, was andere Gruppen in Bezug auf die Rettungsgebiete im Mettelmeer bereits als "SAR: Solidarity and Resistance" bezeichnen. Dabei wollen wir mit den gegenwärtigen humanitären Erzählungen über die Rettung gefährdeter und leidender Menschen brechen, ebenso wie mit der Kriminalisierung von Solidarität und gegenseitiger Hilfe. Im Kern geht es darum die Autonomie von Menschen, Grenzen zu überschreiten, in den Mittelpunkt zu stellen. Unsere Arbeit ist damit Teil eines breiteren Repertoires des Widerstands gegen das Grenzregime und keine Wohltätigkeit oder humanistische Aktion. Uns ist es wichtig unsere Freundschaften und Verbindungen zu den Menschen und Gemeinschaften, die unterwegs sind, nicht aus Angst vor Kriminalisierung zu entpolitisieren.

Grenzen sind für uns keine Linien auf einer Landkarte, sondern Ausdruck von globalen historischen und geografischen Ungleichheitsverhältnissen. Sie halten Menschen in Bewegung davon ab, ihr Leben führen zu können. Mit Maldusa versuchen wir deutlich zu machen, wie Grenzen unsere sozialen Beziehungen, die Freiheit der Menschen und ihre Lebensbedingungen sowie den Zugang zu Wohnraum, Gesundheit, Arbeit, Nahrung und Rechten definieren und strukturieren. Unser Ziel ist es, Solidaritätsgemeinschaften zu schaffen, vom Meer über die Städte bis hin zu den Bergen, zu unseren Häusern. Auf diese Weise will Maldusa eine feministische und antikoloniale Politik gegen die Allgegenwärtigkeit von Grenzen in unserem Alltag vorantreiben.

Maldusa besteht aus drei Teilprojekten. Einem Zentrum der Zusammenkunft in der Altstadt von Palermo, einer Dokumentationsstation auf Lampedusa und einem Boot am Hafen der Insel. Könntest du diese Projekte jeweils beschreiben?

In Palermo hat Maldusa einen Raum geschaffen, einen Kristallisationspunkt zwischen Organisationen und Gemeinschaften, die die Stadt bewohnen oder auf Durchfahrt sind. Es ist unsere Absicht gemeinsame Momente zu schaffen, um über Praxen und Wissensformen gegen ein System der Überwachung, Ausgrenzung und Abgrenzung nachzudenken. Gemeinsam mit verschiedenen Communities, die sich in Palermo aufhalten, werden wir Veranstaltungen, Sprachkurse, Workshops, Filmvorführungen und Buchpräsentationen organisieren.

Auf der Insel Lampedusa konzentriert sich unser Projekt auf die kritische Erforschung und Dokumentation struktureller Grenzgewalt und auf die Erleichterung und Verstärkung von Praktiken der Selbstorganisation von unten. Durch den Aufbau von Netzwerken zwischen Herkunfts- und Durchreiseländer, Lampedusa und den Ankunftsorten, will Maldusa den Zugang zu Informationen und Rechten erleichtern, kulturelle Veranstaltungen auf der Insel organisieren und das dortige Hotspot-System der Isolation und Inhaftierung anprangern.

Mit unserer Präsenz auf See wollen wir schließlich Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers unterstützen und eine Dokumentation der Missbräuche, der von verschiedenen europäischen Akteur:innen auf dem Meer ausgeübten Gewalt und der mangelnden institutionellen Unterstützung vornehmen.

Wie ist denn die aktuelle Situation von Menschen, die es aus Tunesien und Libyen nach Lampedusa schaffen und dann auf das italienische Festland transferiert werden?

Menschen, die es von Tunesien und Libyen nach Lampedusa schaffen, sind mit Problemen konfrontiert, die sich auf zwei Ebenen zusammenfassen lassen: Unterbringung und Zugang zu Asyl.

Nach der Ankunft sind die Menschen oft mit unmenschlichen Bedingungen bei der Erstaufnahme – einer de facto Inhaftierung – im sogenannten Hotspotlager konfrontiert. Mit einer Kapazität von etwa 389 Plätzen nimmt der Hotspot auf Lampedusa selten weniger als 800 oder 1000 Menschen auf. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs befinden sich dort etwa 2000 Menschen. Die Überstellungen auf das Festland erfolgen nicht schnell und systematisch genug, so dass sie für längere Zeit informell inhaftiert werden. Häufig betrifft diese unrechtmäßige und willkürliche Inhaftierung Personen, die dringend eine angemessene Betreuung und Unterbringung in einer speziellen Einrichtung benötigen, wie z. B. unbegleitete Minderjährige, Menschen mit schweren gesundheitlichen Problemen usw.. Das auch diese Menschen quasi eingesperrt werden, geschieht angeblich, weil geeignete Plätze für sie schwierig zu finden sind.

Seit 2015 ist mit dem Hotspot-Ansatz die Unterscheidung zwischen denjenigen, die als Asylbewerber:innen gelten, und denjenigen, die als Wirtschaftsmigrant:innen eingestuft werden, zu einer obersten Priorität für die EU geworden. Während Erstere Asyl beantragen und in Aufnahmeeinrichtungen gebracht werden können, erhalten Letztere die Aufforderung, das Hoheitsgebiet Italiens innerhalb von sieben Tagen zu verlassen, oder sie werden in Abschiebehaft genommen und abgeschoben. Die Hotspots sind der Ort, an dem diese Kategorisierung der Menschen stattfindet. Ein wichtiges Instrument für diese Kategorisierung ist die so genannte SCO-Liste (Safe Country of Origin), die Italien vor kurzem um Gambia, die Elfenbeinküste, Nigeria und Georgien erweitert hat, während die vorherige Liste bereits mehrere problematische Länder wie Tunesien enthielt. Diese Listen der sicheren Herkunftsstaaten stehen in krassem Widerspruch zum Begriff des Asyls als einem universellen Recht unabhängig von der Nationalität.

Das Hauptproblem, besteht darin, dass sich die Probleme beider Ebenen - Unterbringung und Asyl - überschneiden und der sehr begrenzte Zugang zu Informationen oft entlang der Aufnahmewege auf dem Festland Italiens fortbesteht. Wir hatten mit einigen Menschen Kontakt, die wirklich keine Ahnung von dem Ort hatten, an den sie geschickt wurden, von der Art der Einrichtung, in der sie lebten, und von ihnen - zumindest theoretischen – zustehenden Rechten in Italien.

Ende Februar sind vor Crotone in Süditalien um die Hundert Menschen beim Untergang eines Bootes ums Leben gekommen. Am 12. März sind 30 weitere ertrunken. Wer trägt die Verantwortung für diese Toten?

Es ist sehr wichtig, dass Ereignisse wie das Schiffsunglück von Crotone wochenlang öffentliche und politische Aufmerksamkeit erhalten und dass die Familien der Vermissten sowie die Überlebenden angehört werden. Dies sollte jedoch nicht die Ausnahme sein. Mit Maldusa wie auch mit anderen Organisationen und Gruppen, die sich für Bewegungsfreiheit einsetzen, werden wir tagtäglich Zeuge von Gewalt und Tod auf See, dokumentieren und prangern sie an. Wenn diese Vorkommnisse dann in den Nachrichten aufgegriffen werden, müssen wir darauf achten, dass sie nicht als "Ausnahmen", "unvermeidliche Unfälle" oder Ergebnisse von Fehlern dargestellt werden, wie das jetzt beim Schiffbruch von Crotone der Fall war. Sie sind nämlich leider die Regel und das Ergebnis einer Politik, die Grenzübertritte absichtlich gewalttätig und für die meisten tödlich macht. Dies ist Teil der Arbeit, die wir mit Maldusa leisten: Wir stellen diese Ereignisse in einen breiteren politischen Kontext und machen sichtbar, dass die Gewalt an den Grenzen das Ergebnis politischer Entscheidungen ist. Da diese Gewalt tagtäglich willentlich ausgeübt wird, kann sie auch willentlich verhindert und vermieden werden, indem das Grenzregime abgeschafft und die Freizügigkeit verwirklicht wird.

Mit der neofaschistischen Meloni-Regierung in Italien werden die Hürden für Seenotrettung und Solidarität mit Migrant:innen immer höher, wie bereitet ihr euch als Maldusa-Projekt darauf vor?

Die neue Gesetzgebung der Regierung macht es der zivilen Seenotrettungsflotte immer schwerer Such- und Rettungsaktionen durchzuführen (Dekret vom 9. März 2023). Ein Ziel von Maldusa ist es, durch sorgfältige Beobachtung und Monitoringarbeit alle Widersprüche zu sammeln und die Konsequenzen aufzuzeigen, die dieses neue Gesetz hat.

Wir prangern dieses neue politische Klima an und führen in Zusammenarbeit mit und zur Unterstützung von allen Organisationen, die wie wir für die Freizügigkeit kämpfen eine Kampagne dagegen. Wir wollen dem bestehenden politischen Rahmen mit konkreten Aktionen entgegentreten und vermeiden, dass wir den Regeln "zuständiger Behörden" ausgesetzt sind, die ihrerseits nicht in der Lage sind, eine rechtzeitige Rettung auf See und sichere Ausschiffungshäfen zu garantieren.

Die Aktivist:innen des Maldusa-Projekts unterstützen die Rettung von Migrierenden auf dem Mittelmeer und die Selbstorganisierung von Geflüchteten in Italien. Außerdem dokumentieren sie Menschenrechtsverletzungen auf dem Meer.


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