Nach jüngeren Meldungen aus Israel hat der Generalstabschef die Pläne für die seit Wochen befürchtete Bodenoffensive gegen Rafah genehmigt. Schon in der ersten Aprilhälfte hatte die Ausschreibung israelischer Stellen für 40.000 Zwölf-Personen-Zelte darauf hingedeutet, dass das israelische Kriegskabinett unter Benjamin Netanjahu an seinen Plänen zum Einrücken seiner Streitkräfte in die südlichste Stadt des Gazastreifens festhalten würde. Selbst die deutsche Bundesregierung, die das israelische Vorgehen politisch und militärisch unterstützt hatte, kritisierte wiederholt die humanitäre Lage in Gaza und lehnte eine Bodenoffensive in Rafah ab. Es bedarf nur eines Blickes auf die übrigen Orte in Gaza – Beit Hanoun und Jabalia im Norden, Khan Younis und Deir Al-Balah in der Mitte oder Stadtteile von Gaza wie Khuza’a und Shuja’iya im Osten –, um das Ausmaß der bevorstehenden Verwüstung auch von Rafah zu ermessen.
Die Mayasem Association for Culture and Arts war vor dem Krieg in Khan Younis beheimatet, wo eine winzige Gruppe von Aktivist:innen ein Kulturzentrum betrieb. Diesem angeschlossen war auch ein kleines Museum, das an die Geschichte des Ortes erinnerte und sich mit der palästinensischen Herkunft der Menschen im zu 70 Prozent von Flüchtlingen bewohnten Gazastreifen befasste. Vor dem Krieg richtete das Kulturzentrum Konzerte aus, kuratierte Ausstellungen, leistete psychologische Unterstützung und half gefährdeten Jugendlichen. Das Zentrum soll bislang mäßig beschädigt worden sein, aber aus dem Museum wurden Gegenstände geplündert.
Seit Monaten sind die jungen Leute von Mayasem selbst Binnenvertriebene, aber sie haben sich in Rafah weiter organisiert und kümmern sich dort seither um andere Geflüchtete. Seit seiner Vertreibung hat das Kollektiv eine Suppenküche im südlichsten Gouvernement Gazas eingerichtet und versucht zurzeit mit aller Kraft, deren Betrieb aufrechtzuerhalten. In Rafah sind zahlreiche Zeltstädte entstanden, in denen viele der etwa eine Million Binnenvertriebenen untergebracht sind. Es liegt auf der Hand, dass die 40000 von Israel bestellten Zelte für diese enorme Zahl von Menschen nicht ausreicht und dass die israelische Regierung und Armee ihren humanitären Verpflichtungen weiterhin nicht gerecht werden. Unterdessen scheint auch die Führung der Hamas nicht bereit, beispielsweise durch einen verhandelten Abzug aus dem Süden Gazas, dem israelischen Vorgehen die Begründung zu entziehen.
Wie an anderen Orten in Gaza müssen sich auch die Menschen in Rafah größtenteils selbst um ihre Versorgung kümmern, obwohl seit dem Krieg auch viele, vor allem palästinensische Organisationen samt ihrer Mitarbeiter:innen gezwungen waren, nach Rafah zu fliehen. Sie verfügen jedoch aufgrund israelischer Einfuhrbeschränkungen für Hilfsgüter nur über minimale Ressourcen. Außerdem können sie nicht mehr auf die Infrastruktur ihrer Büros, etwa Computern und Lagerräume, zurückgreifen. Viele humanitäre Akteur:innen sind gezwungen zu improvisieren.
In dieser Lage haben die jungen Leute von Mayasem in Rafah eine Zeltstadt »adoptiert«, in der rund 500 Familien in etwa 200 Zelten leben. Die Organisation betreibt die Suppenküche, hilft beim Bau von Zelten und anderer Infrastruktur, bietet Aktivitäten für Kinder und Jugendliche an und stellt Trinkwasser für Familien bereit.
Die Organisation will auch Solarzellen kaufen, um die Familien mit sechs bis acht Stunden Strom pro Tag zu versorgen. Israel hat den Strom in Gaza seit dem 11. Oktober 2023 abgeschaltet. Weiter werden Lebensmittelpakete für die Familien in der Zeltstadt und an anderen gefährdeten Orten wie Khan Younis und Deir Al-Balah im Zentrum des Gazastreifens bereitgestellt. Wenn die humanitäre Hilfe nicht ausreicht oder sie nicht erreichen kann, sind die meisten Menschen in dem von der Außenwelt abgeschnittenen Kriegsgebiet gezwungen, Waren auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Im Vergleich dazu hat die Beschaffung von Lebensmitteln durch Mayasem den Vorteil, dass sich das Kollektiv als größerer Abnehmer gegenüber Händlern in einer besseren Verhandlungsposition befindet als einzelne Familien. Die Prei[1]se sind zwar immer noch deutlich höher als vor dem Krieg, aber bei Weitem nicht so hoch wie bei der Abgabe in kleineren Mengen.
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