Pandemievertrag

Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung

13.07.2022   Lesezeit: 5 min

Bei der WHO wird um die Lehren aus der Covid-19-Pandemie gerungen. Von Anton Sundberg

Die kürzlich ausgestrahlte MONITOR-Sendung titelt „Tödliche Profite: Das Geschäft mit den Corona-Impfstoffen“ und zeigt dem Publikum die Zusammenhänge zwischen Impfstoffknappheit, fehlendem politischen Willen reicher Länder zur gerechten Verteilung der Vakzine und exorbitanten Gewinnen der jeweiligen pharmazeutischen Firmen auf.

Zentral ist jedoch vor allem eins: die weltweit vermeidbaren Todesfälle in einer Zeit, als Impfstoffe bereits vorhanden waren, jedoch in zu geringer Anzahl. Während sich die reichen Industrienationen den Großteil des mRNA- und Adenovirus-Vakzin-Angebots in intransparenten bilateralen Verträgen gesichert hatten, starben in Ländern des globalen Südens Menschen aus Risikogruppen und Gesundheitspersonal, das längst hätte geimpft werden sollen – und hätte geimpft werden können. Die internationale Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ließ und lässt vor allem eins vermissen: Solidarität und Gerechtigkeit. Bei allen Politikdiskursen lassen die Daten hierbei wenig Spielraum für Interpretation. So ist es gut und richtig, dass Gerechtigkeit im momentan verhandelten Vertrag zur Pandemievorsoge und -reaktion an prominenter Stelle stehen soll.

Was darüber hinaus nicht vergessen werden darf, ist dass die evidenzbasierte epidemiologische Begleitung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu wünschen übrig ließ. Ein Ausbruch, der zur Pandemie wird, hat generell eine Dynamik, in der es viel Unbekanntes gibt und Entscheidungen ohne vollständige Evidenz getroffen werden müssen. Die teilweise sehr einschränkenden nicht-pharmazeutischen Maßnahmen jedoch nicht adäquat wissenschaftlich zu begleiten um retrospektiv die Wirksamkeit ebenso wie kollaterale Folgen einschätzen zu können, ist eine große Verfehlung, die bereits früh von Public-Health-Expert:innen angemahnt wurde.

Während aktuell die COVID-19-Fälle weltweit wieder ansteigen, wird bei der Weltgesundheitsorganisation in einer zwischenstaatlichen Verhandlungsgruppe (Intergovernmental Negotiating Body, INB) bereits seit November 2021 an einem Regelwerk für die Prävention und Früherkennung, die Reaktion und die Wiederherstellung gearbeitet. Lässt man die Frage vorerst beiseite, ob neben den bereits bestehenden Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) ein weiteres rechtliches Instrument benötigt wird, so stellt sich trotzdem die Herausforderung, im Sinne des gerade erfahrenen Gerechtigkeitsdefizitseinen erneuten „schlechten Deal“ zu verhindern – besonders angesichts des faulen Kompromisses in Bezug auf die geistigen Eigentumsrechte auf Covid-Impfstoffe, -Diagnostika und -Therapien, wie wir ihn gerade bei der Welthandelsorganisation gesehen haben.

Die Verhandlungen zum Pandemievertrag zeigen jetzt schon die Konfliktlinien auf. Auf der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung der WHO im Mai wurde deutlich, wie unterschiedlich der Blick auf das vergangene Pandemiegeschehen ist – und damit auch die daraus folgenden Konsequenzen für die Pandemic Preparedness and Response. Die mächtigen und reichen Industrienationen sehen die Verfehlungen und daher die nötigen Nachbesserungen in der aktuellen Antwort auf COVID-19 vor allem in der Surveillance, also der Überwachung möglicher neuer Infektionsausbrüche. Delegierte aus Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen hatten jedoch einen anderen Fokus: die unzureichende bis fehlende Reaktion in der Krise im Sinne eines fairen und gerechten Zugangs zu der medizinischen Ausrüstung und den Technologien. Vor allem vor dem Hintergrund, dass deren Entwicklung oft auf aus biologischem Material und Forschungsdaten aus armen Ländern beruht. So wie es auch bei der Entdeckung der Omikron-Variante in Südafrika war, auf die trotz gegenteiliger Empfehlungen der WHO mit Diskriminierung und Reisebeschränkungen reagiert wurde. Auf das Teilen von Daten und Wissen in der Surveillance muss also auch das Teilen von Impfstoffen, Ausrüstung und Medikamenten in der Response folgen.

Wenn im Juli die nächste Verhandlungsrunde zum Pandemievertrag startet, wird sich zeigen, ob sich wie bei den TRIPS-Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation erneut die wenigen, aber mächtigen Akteure durchsetzen werden. Oder ob sich Mitgliedsstaaten und zivilgesellschaftliche Organisationen für einen Vertrag stark machen können, in dessen Zentrum internationale Solidarität und Gerechtigkeit stehen.

Dabei geht es auch um die Frage, inwiefern sich die WHO in einem mittlerweile großen Geflecht aus „Public-Private-Partnerships for Global Health“ als zentrale Führungs- und Entscheidungsinstitution bewähren kann. Nötig wäre hierfür eine stärkere rechtliche Handlungsbasis, die verbindlichere Regeln auch gegenüber einflussreichen Mitgliedsstaaten und privaten Akteuren durchsetzen kann.

Der bisherige Entwurf des Vertragswerks beinhaltet die vier Kapitel Prävention, Vorsorge/Überwachung, Reaktion und Wiederherstellung, die jeweils anhand der vier Eckpunkte Gerechtigkeit, politische Führung, Systeme und Werkzeuge sowie Finanzierung ausgearbeitet werden sollen. Es wird darauf ankommen, wie die unterschiedlichen Aspekte gewichtet werden und vor allem, welches Gewicht dabei die Gerechtigkeit bekommt. Im schlimmsten Falle wird eine Verpflichtung im Datenaustausch erreicht, während eine global gerechte Pandemiereaktion in einer Fülle technischer Floskeln maskiert und wieder marktbasiert im Sinne der Halter von geistigen Eigentumsrechten reguliert wird.

Im besten Fall wird der Fokus auf eine koordinierte und transparente Forschung gelegt, auf die ein fairer und gerechter Zugang zu daraus resultierendem Wissen und Technologien folgt. So könnte die Solidarität in Krisenzeiten gestärkt werden; gemäß dem Prinzip internationaler Umweltpolitik, das den gegebenen ungleichen Machtverhältnissen praktische Implikationen folgen lässt: gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung.

Dieses Prinzip beruht auf der Anerkennung der Tatsache, dass die Ursache für die Klimakrise vor allem im Handeln und Wirtschaften der Industrienationen liegt und entsprechend hier auch die Verantwortung zur Bekämpfung größer ist. Auch bei COVID-19 darf nicht vergessen werden, dass das Aufkommen neuer Infektionskrankheiten in direkter Verbindung zur Zerstörung der natürlichen Umwelt, industrialisierter Massentierhaltung und dem Verlust von Biodiversität steht. Auch hier muss ein Vertrag, der die Pandemievorsorge ernst nimmt, ansetzen und auf Basis der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung von Ländern für das Recht auf die bestmögliche Gesundheit aller Menschen einstehen.

Anton Sundberg studiert im letzten Jahr Medizin in Frankfurt am Main. Im Mai hat er als Teil eines Teams junger Aktivist:innen der medico-Partnerorganisation People's Health Movement die Weltgesundheitsversammlung begleitet.


Jetzt spenden!