Das Flüchtlingslager Idomeni wird geräumt. Die syrische Stadt Aleppo unterliegt fortlaufenden Bombardierungen, ausgelöst von russischen Angriffen mitten im sog. Waffenstillstand. Die Gegenseite verschärft die Lage durch Selbstmordattentate. Und der nächste Krieg in der Region kündigt sich schon an. Mit der Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten Ende vergangener Woche hat der türkische Präsident Erdogan den Kurden den Krieg erklärt, und zwar egal welcher Strömung sie angehören. Mitten in dieses Szenario platzt der World Humanitarian Summit, der in Istanbul - lange geplant - unhinterfragt stattfindet. Ein UN-Nothilfegipfel als Side-Event am Rande des Weltgeschehens.
Dieser Weltgipfel der Humanitären Hilfe ist Ausdruck der Hilflosigkeit - gelinde gesagt. Denn dass er auch regional inmitten der größten humanitären Krise nach dem 2.Weltkrieg stattfindet und keinerlei Antwort auf das Versagen von Humanität in dieser schönen neuen globalen Welt gibt, ist an sich schon ein Drama. Darüber hinaus stellt dieses Versagen alle Bemühungen, die dort im Einzelnen sinnvoll unternommen werden, grundlegend in Frage. Denn es treten Politikerinnen und Politiker dort auf, die ihren Willen zu helfen bekräftigen, aber nichts tun, um die Ursachen der Krisen, die zu lindern man dort antritt, auch nur zu benennen, geschweige denn zu bekämpfen.
Schon die persönlich gehaltenen Einladungsworte von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon machen das deutlich. Er beschreibt eine Zunahme der humanitären Krisen, nachdem sie in den späten 1990er Jahren kurzzeitig zurückgegangen seien und beziffert detailliert, dass sie nicht nur nicht aufhören, sondern die Tendenz hätten sich zu verstetigen und weitere Konflikte nach sich zu ziehen. Doch außer der Beschreibung, sie hätten „komplexe und sehr verschiedene Ursachen“ kommt nichts.
Es fehlt jede historische Beschäftigung mit den großen globalen Konflikten. Zum Beispiel, dass es sich vielleicht hier um Folgen des weltweiten Siegs des Kapitalismus handelt, der sein Versprechen vom Trickle-Down-Effekt nicht einhalten kann. Es gibt keinen Verweis auf die augenfällige Parallelität: einerseits die Zunahme humanitärer Krisen andererseits die weltweit wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Und keine Beschäftigung damit, dass vorhandene Instrumentarien zur Durchsetzung des Völkerrechts immer wieder der politischen Opportunität geopfert werden und somit der Eindruck entsteht, dass Völkerrechtsverletzungen nur dann relevant werden, wenn sie nicht von den wichtigen Weltmächten, zu denen Russland in der Wahrnehmung der Wichtigen nicht mehr zählt, begangen wurden.
Weil der humanitäre Weltgipfel diese Fragen nicht diskutiert, kann er trotz dem Aufgebot von Superstars wie James Bond alias Daniel Craig plus Angela Merkel den nötigen Paradigma-Wechsel nicht bewirken. 6000 Gipfelteilnehmer versuchen das Bestehende zu bessern, Hilfe effektiver zu koordinieren. Der Expertenrat, der den Gipfel vorbereitete, nannte das „grand bargain“. Worte sind verräterisch, denn „das große Verhandeln“, dient nur der Verwaltung des Status Quo.
Stattdessen bräuchte es einen „new deal“ – ein neues Handeln. Dann aber müsste man den Reichtum bekämpfen statt die Armut. Der UN-Generalsekretär dürfte nicht den Konsens preisen, wie das der immer wieder tut, sondern den Konflikt wagen. Weltweite Umverteilung, globale soziale Infrastruktur, der Mensch im Mittelpunkt des politischen Handelns und nicht die Wirtschaft - das sind die Marksteine, an denen sich globale Politik orientieren sollte. Alles andere läuft Gefahr, die bestehende Katastrophe mit Hilfe zu beschönigen.