Migration

Humanitäre Gesten sind nicht genug

28.03.2020   Lesezeit: 2 min

Gerade in Zeiten von Corona kommt es darauf an, die Menschenrechte von Geflüchteten zu verteidigen.

Von Ramona Lenz

„Statt Ressourcen und Menschen auf die Bewachung der Grenzen zu verschwenden, sollten wir alle Kraft auf die Bekämpfung des Virus im Inneren legen“, sagt selbst Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. Und dennoch wird die Quelle der Gefahr durch das Coronavirus derzeit vor allem im Außen und bei den Anderen verortet. Unabhängig davon, wo sich das Epizentrum der Corona-Pandemie befindet, werden mit dem Argument, die Ausbreitung des Virus stoppen zu wollen, weitreichende Maßnahmen des Ausschlusses von Migrant*innen und Geflüchteten gerechtfertigt. Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland werden unter Quarantäne gestellt, ohne die Menschen aufzuklären und zu schützen. Tausende Menschen in den überfüllten Lagern an der griechischen EU-Außengrenze werden ohne hinreichende Versorgung sich selbst überlassen und die für viele Menschen lebensnotwendige grenzüberschreitende Mobilität wird noch mehr erschwert. Auch wenn die Geschwindigkeit und Gründlichkeit, mit der diese Maßnahmen nun durchgesetzt werden, atemberaubend sind: Dass all das jetzt ohne große Widerstände geschehen kann, wurde durch die flüchtlingsfeindliche und unsolidarische Politik der EU in den letzten Jahren vorbereitet.

Während sich hierzulande die Bevölkerung permanent gegenseitig ermahnt, zu Hause zu bleiben und sich mehrmals täglich die Hände zu waschen, um sich und niemanden sonst anzustecken, harren Millionen Flüchtlinge weltweit unter desaströsen hygienischen Bedingungen auf engstem Raum in elendigen Dauerprovisorien aus. Tausende von ihnen an den Außengrenzen der Europäischen Union, wo sich die Situation in den letzten Wochen noch einmal dramatisch zugespitzt hat. Nur mühsam haben sich einige wenige EU-Länder dazu durchgerungen, wenigstens eine kleine Zahl besonders vulnerabler Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen – und das auch nur vielleicht. Bis zu 1.600 schwer kranke Kinder mit ihren Familien und unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren, bevorzugt Mädchen, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen einreisen. Ob die EU darüber hinaus auch alte Menschen und andere besonders durch COVID_19 gefährdete Personengruppen rechtzeitig aus den Lagern evakuieren wird, in denen sauberes Wasser und Medikamente immer knapper werden und Distanz unmöglich ist, ist noch offen.

Gerade jetzt kommt es jedoch darauf an, die Rechte von Migrant*innen und Flüchtlingen nicht zugunsten minimaler humanitärer Zugeständnisse preiszugeben. Die eklatanten Rechtsverletzungen gegen Geflüchtete an den EU-Außengrenzen und darüber hinaus dürfen nicht im Schatten von Corona untergehen. Wir müssen die Menschenrechte jetzt erst recht gegen diejenigen verteidigen, die Rechtsansprüche von Geflüchteten aus rassistischen und nationalistischen Gründen ablehnen; genauso gegen diejenigen, die minimale humanitäre Gesten für hinreichend halten. Wenn Corona eines lehren sollte, dann das: Wir leben in einer unentrinnbar verflochtenen Welt und können uns durch Abschottung weder schützen noch der Verantwortung füreinander entledigen.

Ramona Lenz (Foto: medico)

Ramona Lenz ist Sprecherin der Stiftung medico. Über viele Jahre war die Kulturanthropologin in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Flucht und Migration.

Twitter: @LenzRamona


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