Präsident Zelensky erklärt seit Beginn des Krieges, dass es keine Alternative zum Sieg der Ukraine gibt. Deshalb ruft er nach Waffen, Waffen, Waffen. Spätestens seit seiner Rede in Warschau am 26. März, wo er sagte, dass "Putin nicht an der Macht bleiben kann", verfolgt Joe Biden dieselbe Linie und gibt einen Regimewechsel als weiteres Ziel aus – in einem Russland, so wird es aus den Reihen der US-Regierung deutlich gemacht, das grundlegend "geschwächt" werden müsse. Zu Putins Kriegsführung gehört der Völkermord, und mit einem Völkermörder kann man nicht verhandeln. Also Waffen für die Ukraine. Und da im Angesicht eines Aggressors jede Waffe der Verteidigung dient, sollten sie dann auch, so argumentieren die Briten, ebenfalls eingesetzt werden, um Russland auf seinem Gebiet anzugreifen.
Dies ist die Kurzfassung des Katalogs der "Kriegsziele" der Ukraine und des anglo-amerikanisch geführten Westens, der von Tag zu Tag eindeutiger wird. Die in Europa geführte Debatte über die Lieferung von Waffen in die Ukraine ist daher höchst fadenscheinig und ihre Begründungen halten einer genaueren Überprüfung oftmals nicht stand: Waffen zur "Verteidigung" und "um nicht zu sterben", Waffen für den "Volkswiderstand"? Weder das eine noch das andere scheint der Fall zu sein. Die bestehende ukrainische Armee – wie wir in den ersten Tagen des Krieges gesehen haben – wurde von den USA und der NATO seit mindestens 2015 bewaffnet und ausgebildet und ist durchaus in der Lage, einen Verteidigungskrieg zu führen. Die Waffen, auf die jetzt Anspruch erhoben wird, dienen der Führung eines offensiven Stellvertreterkriegs mit den von Biden und seiner Regierung genannten Zielen: Regimewechsel und strategische Schwächung Russlands.
Aber was würde es für die Ukraine und für den Westen bedeuten, den Krieg zu gewinnen? Das scheint mir heute die entscheidende Frage zu sein. Diese Frage dürften sich die Vereinigten Staaten in den letzten zwanzig Jahren ebenfalls gestellt haben, nachdem George W. Bush am 1. Mai 2003 die denkwürdigen Worte zur Invasion des Irak ausgesprochen hatte: "Mission complete". Die Pax Americana hat sich in diesem Land jedoch nicht gerade durchgesetzt, von Afghanistan ganz zu schweigen. Doch der Krieg in der Ukraine bringt weitere Komplikationen mit sich, denn Russland ist die zweitgrößte Atommacht der Welt. Und Jürgen Habermas ist es zu verdanken, uns aus der Höhe seines ehrwürdigen Alters an eine Lehre erinnert zu haben, die man in den langen Jahrzehnten des Kalten Krieges endgültig gelernt zu haben glaubte: nämlich dass "ein Krieg gegen eine Atommacht in keinem rationalen Sinne mehr 'gewonnen' werden kann".
Die nukleare Bedrohung bleibt also der bedeutende Hintergrund des Krieges. Können wir diese als ein "kalkulierbares Risiko" betrachten? Wir wissen zumindest, wie die Haltung der Kalkulierbarkeit von Kriegsrisiken im Fall des Ersten Weltkriegs scheiterte, und zwar gerade wegen der zunehmenden Verengung der Verhandlungsspielräume. Das Gespenst von Sarajevo kann im heutigen Kriegsszenario viele Formen annehmen. Eine Eskalation, die zu einer Ausweitung des Konflikts führt, ein direktes Eingreifen der NATO und der Einsatz von Atomwaffen vor Ort, vielleicht zunächst "taktisch" (aber wir wissen, dass das Verhältnis zwischen Taktik und Strategie in der heutigen Kriegsführung verworren ist), sind daher keineswegs auszuschließen. Doch diese Möglichkeit bietet sich nun in einem Szenario, das sich immer deutlicher abzeichnet und das längst nicht mehr bloß von Putin bestimmt wird: das Szenario eines langen Krieges, eines Zermürbungskrieges (der "Schwächung") Russlands, an dem die Vereinigten Staaten voll beteiligt sind, ebenso wie diejenigen, die ihrer Politik innerhalb der NATO folgen. Wie Jeffrey Sachs treffend erklärt hat, kämpft die Ukraine jetzt, um die Vorrechte der letzteren zu "schützen" – in einem Szenario, das auf einen langen Zermürbungskrieg hinausläuft, in dem die Zerstörung des Landes droht, mit den unerträglichen menschlichen Kosten, die dies mit sich bringen würde.
Diese Argumentation soll keineswegs die Verantwortung Russlands und seines Präsidenten schmälern. Ein Angriffskrieg mit der damit verbundenen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist nicht zu rechtfertigen. Außenminister Sergej Lawrow erklärte gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua (30.4.), dass es für den Westen an der Zeit sei, "die neuen geopolitischen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen" und dass die "Sonderoperation" in der Ukraine darauf abziele, den "Prozess der Befreiung der neuen Welt von der neokolonialen Unterdrückung des Westens, die stark von Rassismus und einem Überlegenheitskomplex geprägt ist", zu unterstützen. Wahrlich einzigartige Worte, die einerseits reale Daten interpretieren und es andererseits nicht scheuen, eine Macht mit imperialem Anspruch, deren "brüderlicher" Charakter den Tschetschenen, Georgiern und nun auch den Ukrainern schmerzlich bewusst geworden ist, als Vorkämpferin des Antikolonialismus zu inszenieren. Das Japan der 1930er Jahren kommt mir bei solchen Worthülsen in den Sinn ... Und es lohnt sich an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Putins Russland durch politischen und sozialen Autoritarismus, die Unterdrückung jeglicher Form von (Klassen)kämpfen und den Widerstand gegen wirtschaftliche und kulturelle Innovationen gekennzeichnet ist, was es zu einem politischen Feind jeder emanzipatorischen Idee einer anderen Welt macht.
Der Verweis auf "neue geopolitische Realitäten" hat jedoch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges auch einen wahren Kern. In erster Linie stellt sie die Rolle Chinas in Frage, das weiterhin eine zurückhaltende Position einnimmt, vorsichtig gegenüber Russland, aber auch zurückhaltend gegenüber der Aussicht auf eine direkte diplomatische Intervention. Es hat den Anschein, als ob der lange Zeitrahmen, der für die Dauer des Krieg mittlerweile erwartbar ist, der chinesischen Führung ganz willkommen ist, da sie ihn nutzen kann, ihre Position im indopazifischen Raum zu festigen und gleichzeitig die internen Probleme zu bewältigen, die sich insbesondere bei der Bewältigung der neuen Phase der Pandemie in Shanghai ergeben. Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass die Verschiebung der Weltmachtverhältnisse mit dem relativen Rückgang der globalen Hegemonie der USA die grundlegende Tatsache ist, die dem Krieg zugrunde liegt. Und es geht dabei nicht zuletzt um ein geopolitisches Gefüge zur Steuerung einer gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit, die sich selbst in den letzten Monaten (trotz der widersprüchlichen Ergebnisse der Sanktionen gegen Russland) als unumkehrbar erwiesen hat.
Nochmals: Es ist zweifelhaft, dass Putins Russland für eine führende Rolle in diesem Erneuerungsprozess der Weltordnung in Frage kommt. Andererseits spielt die Haltung der USA, die darauf abzielt, eine Beziehung der Stärke zu Russland (und damit zu China) wiederherzustellen und gleichzeitig die Anrufung und Verfestigung des "Westens" zu bekräftigen (von der die "globale" Projektion der NATO in den Indopazifik ein integraler Bestandteil ist), auf die Ausweitung des Krieges an, die zwangsläufig das Gespenst einer nuklearen Katastrophe heraufbeschwört. Das Ergebnis kann bestenfalls eine Sackgasse sein, in der sich der oben erwähnte Zermürbungskrieg fortsetzt. Es liegt auf der Hand, dass den Preis – nach der ukrainischen Bevölkerung – das restliche Europa zu zahlen hätte, das bereits jetzt spürbaren schweren wirtschaftlichen Folgen ausgesetzt wäre und auf dessen innere Stabilität in der Europäischen Union (wo Länder wie Polen und die baltischen Staaten bereits die Prioritäten der NATO als allgemeines Kriterium für die Ausrichtung des politischen Handelns durchsetzen) heftiger Druck ausgeübt würde.
Es ist daher eine bedeutsame Frage, ob in den kommenden Monaten in den wichtigsten EU-Ländern Positionen aufkommen werden, die ein europäisches Interesse bekräftigen, das sich von dem der USA und der NATO unterscheidet. Sicher ist, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Kriegsziele der letzteren beiden ganz andere sind als die, die in den ersten Wochen des Konflikts verkündet wurden. Den Krieg zu "gewinnen" bedeutet, die Stärke Russlands zu minimieren, was derzeit nur durch eine Verlängerung des Krieges möglich zu sein scheint. Dafür sind die Waffen, die an die Ukrainer geliefert werden, gedacht. Vor diesem Hintergrund muss die politische Mobilisierung wieder in Gang gebracht und ausgeweitet werden – um diesen Krieg zu beenden, aber auch, um dafür zu sorgen, dass es in der Situation des sich verändernden Weltgleichgewichts, in der wir uns befinden, keine Kriege mehr gibt. In Europa geht es vor allem darum, Druck auf die Regierungen und Institutionen der Union auszuüben, damit sie eigenständige Positionen entwickeln und alles tun, um eine Verhandlung zu erreichen, bei der die Verantwortung von Putin sicherlich nicht vergessen werden darf, aber doch ein belastbares Gleichgewicht der Kräfte erzielt wird. Wir wissen, dass selbst wenn sich in Europa geopolitisch autonome Positionen entwickeln sollten, diese nicht die unseren wären. Aber je stärker wir mobilisieren, um den Krieg zu stoppen, desto mehr Raum wird es in naher Zukunft für Kämpfe und soziale Bewegungen geben. Und das ist es, was "gewinnen" für uns in dieser Lage bedeuten sollte.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 2. Mai 2022 auf dem Portal EuroNomade.