Weltgesundheitsversammlung

Lost in (virtual) space

31.05.2021   Lesezeit: 5 min

Wie weiter in der Pandemie? Geopolitische Konflikte, die Interessen der reichen Länder und der Ausschluss der Zivilgesellschaft erschweren ein Zusammengehen der Welt.

Von Dr. Andreas Wulf

Schon zum dritten Mal trafen sich nun die 194 Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) virtuell zur Weltgesundheitsversammlung (WHA). Auch diesmal wie schon im Mai und November 2020 stand die Covid-19-Pandemie im Zentrum des Geschehens. Zugleich wurde vielleicht mehr noch als in den Vorjahren deutlich, dass die geopolitischen Verwerfungen auch nach der Rückkehr der USA unter Biden zur WHO nicht behoben sind. Und die Rolle einer kritischen Zivilgesellschaft ist auch durch das virtuelle Format noch prekärer als bisher.

Doch der Reihe nach: Lange erwartet waren die Evaluierungsberichte des Independent Panel for Pandemic Preparendness and Response (IPPPR)[1] und des Review Committee on the Functioning of the International Health Regulations (IHR)[2] zur Internationalen Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und der daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Beide Berichte identifizierten wesentliche Schwächen der globalen Antwort auf die Pandemie, sowohl auf Ebene der Mitgliedsstaaten als auch der WHO selbst, besonders auch die mangelnde Bereitschaft zu transparenter Informationsweitergabe und unabhängigen Überwachungsmechanismen, mit denen die WHO eine stärkere Rolle in der Pandemiebekämpfung bekommen könnte. Beide Berichte vermieden es aber, Mitgliedsstaaten deutlich zu kritisieren für Menschenrechtsverletzungen, die in vielen Ländern vor allem durch die Verhängung und repressive Durchsetzung von Lockdowns und Ausgangssperren seit über einem Jahr zum Alltag gehören und besonders die auf informelle Arbeit und Mobilität angewiesenen prekär Beschäftigten betreffen.

Business as usual

Auch zum Thema Zugang zu den lebensrettenden Impfstoffen und anderen für Covid-19 relevanten medizinischen Güter (Medikamente, Diagnostika, Geräte) bleiben die hochrangig besetzten Kommissionen beim „business as usual“: Die Covax Initiative zur Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen insbesondere für einkommensschwache Länder wird gepriesen, auch die reichen Länder aufgefordert, von ihren vorbestellten Dosen, die oft ein Mehrfaches Ihres Bedarfes umfassen, substantielle Anteile abzugeben. Die strukturellen Voraussetzungen für eine perspektivische Ausweitung der globalen Produktion durch die Aussetzung der Patente und einen raschen Technologietransfer bleiben jedoch unerwähnt: der Modus Operandi der Weltgemeinschaft bleibt „Impfstoff Wohltätigkeit“ statt „Impfstoff Gerechtigkeit“, wie der kanadisch-indische Wissenschaftler Madhukar Pai bei der Präsentation des IPPPR-Berichts zu Recht kritisierte.

Durch das virtuelle Format der WHA sind zusätzlich die Prozesse, die in den Verhandlungen um Resolutionen und Entscheidungen hinter den Kulissen stattfinden, noch weniger transparent als ohnehin schon bei den üblichen Versammlungen im Genfer Palais des Nations. Denn die vielen Begegnungen mit Delegationen, von denen die kritische Arbeit der zivilgesellschaftlichen „Watchdogs“ in diesen Korridoren der Macht lebt, fallen im virtuellen Raum komplett weg. Und auch die Gelegenheiten zu eigenen Statements in den Sitzungen wird für die vielen zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich kompetent und kritisch zu Wort melden wollen, immer kleiner. Unterschiedliche Tagesordnungspunkte werden zusammen beraten und Stellungnahmen der „nichtstaatlichen Akteure in offizieller Beziehung zur WHO“, durch die sich beispielsweise auch die Mitglieder des Geneva Global Health Hub[3], dem medico angehört, sich Gehör verschaffen können, werden auf minimale Längen von einer Minute gekürzt.

Zugleich nutzen die Mitgliedstaaten die Beratungen für politische Schlagabtausche auf der globalen Bühne, die besser in die UN-Versammlung nach New York oder in den Sicherheitsrat gehörten, wie die aktuelle Eskalation des Israel-Palästina-Konfliktes, aber auch die Kontroverse der Ukraine und Russland um die Krim oder der Status von Taiwan, das von China nicht als selbständiger Beobachter in der WHA akzeptiert wird.

Die Zivilgesellschaft ist nicht formell beteiligt

Am meisten internationale Aufmerksamkeit bekam schließlich die vom Generaldirektor der WHO unterstützte Initiative der EU und anderer Staaten vom Dezember 2020 für einen Pandemie-Vertrag (Pandemic Preparedness Treaty), der das existierende Abkommen der erwähnten IHR ergänzen und stärken soll. In informellen Gesprächen äußerten besonders Delegationen und Akteure aus dem globalen Süden Skepsis gegenüber der Intention dieses Vorschlags, sie vermuteten darin eher ein Ablenkungsmanöver von den dringlichen Themen der Patentaussetzung und des Teilens von relevanten Technologien und Wissen. So wurde zunächst nur eine „inklusive“ Arbeitsgruppe der Mitgliedstaaten eingesetzt, die bis zum kommenden November einen ersten Vorschlag erarbeiten soll, der dann in einer weiteren Sondersitzung der WHA verhandelt werden soll. „Inklusiv“ meint allerdings nur, dass sie allen Mitgliedstaaten offensteht – an eine formelle Beteiligung der Zivilgesellschaft ist nicht gedacht.

Dies muss sich dringend ändern, wenn sich die WHO nicht weiter allein in den diplomatischen Fallstricken ihrer Mitgliedstaaten verheddern will. Informelle Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Akteuren werden von der aktuellen WHO-Spitze um Generaldirektor Dr. Tedros zwar gerne wahrgenommen und gesucht, wichtig wären aber formale Beteiligungsformate, wie sie zum Beispiel bei UNAIDS lange schon Realität sind.

Freiwilligkeit wird nicht funktionieren

Und die Rolle der deutschen Delegation? Sie hält sich (zu Recht) zu Gute, dass sie von der WHO selbst als Verfechterin des Multilateralismus und als großzügige Geberin für die WHO gepriesen wird und sich auch für eine deutliche Verstärkung der verpflichtenden und ungebundenen Mitgliedsbeiträge zur Basisfinanzierung dieser Weltbehörde einsetzt.

Zugleich steht sie nicht nur bei allen aktuellen Patentfragen auf der Bremse und hofft, allein mit freiwilligen Abkommen, wie dem gerade vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angekündigten Technologietransfer für Impfstoffproduktion in Südafrika aus der Kritik zu kommen. Dabei sehen wir auch bei dem aktuell verabschiedeten Lieferkettengesetz, dass das Setzen auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie in die Irre führt. Nur verbindliche Vorgaben können substantielle Änderungen über werbewirksame Einzelmaßnahmen hinaus bewirken. Eine verbindliche Verpflichtung zum Teilen des Wissens bei öffentlich geförderten Impfstoffen und anderen essentiellen Gesundheitsgütern ist dringend erforderlich: der nach nunmehr einen ganzen Jahr weiterhin leere Covid19 Technology Access Pool bei der WHO macht das schlagend deutlich.

[1] Das IPPPR wurde als unabhängiges WHO Expert*innen Gremium im Mai 2020 eingerichtet um die  globale Antwort auf die Covid19 Pandemie zu untersuchen und zu beurteilen. Geleitet wird es von der ehemaligen Präsidentin von Liberia, Ellen Johnson Sirleaf, und der ehemaligen Regierungschefin von Neuseeland, Helen Clark,https://theindependentpanel.org/

[2] Die International Health Regulations https://www.who.int/ihr/9789241596664/en/  sind das völkerrechtlich bindende Abkommen der WHO Mitgliedstaaten zum gemeinsamen Handeln in Zeiten von Gesundheitskrisen von internationaler Bedeutung. Entstanden aus den internationalen Abkommen zur globalen Bekämpfung von Infektionskrankheiten wie Cholera, Pocken, Pest, Typhus und Gelbfieber wurde es 2005 nach dem  SARS Ausbruch aktualisiert. Die WHO hat darin eine wesentliche Rolle bei der Überwachung und Bekämpfung von globalen Krankheitsausbrüchen.

[3] Die eigenen Debatten, die G2H2 unter dem Titel „Lost in the Pandemic“ im Vorfeld der WHA organisierte, sind hier zu finden: https://g2h2.org/posts/may2021/

 

Andreas Wulf

Andreas Wulf ist Arzt und seit 1998 bei medico international. Er ist Nothilfe-Referent und arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.


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