Globale Gesundheit

Milliardengeschenk für Milliardäre

19.06.2024   Lesezeit: 5 min

Wie die Pharmaindustrie satte Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit einfährt.

Von Felix Litschauer

Vergangene Woche ging ein Aufschrei durch die Community des globalen Gesundheitsaktivismus, als die Journalist:innen von Investigate Europe die Ergebnisse einer monatelangen Recherche zu Medikamentenpreisen in Europa veröffentlichten. Über zwanzig Journalist:innen, unter anderem von SZ, WDR, NDR, Arte und Der Standard, analysierten die Erstattungspreise für seit 2019 neu in der EU zugelassene patentgeschützte Medikamente. Also den Preis, den beitragsfinanzierte Krankenkassen für patentgeschützte Medikamente an Pharma-Unternehmen zahlen.

Keine leichte Aufgabe, denn die Preise, die Gesundheitsbehörden mit den Herstellern aushandeln, unterliegen in den meisten Ländern höchster Geheimhaltung. Welche Abschläge Pharmaunternehmen den Staaten gegenüber dem Listenpreis eines Medikaments gewähren, bleibt verborgen. Gleichzeitig wird die Öffentlichkeit über die immensen Kosten für die Gesundheitssysteme im Unklaren gelassen. Ohne Vergleichswerte verhandeln die Staaten mehr oder weniger blind – die einzige Referenz ist zurzeit Deutschland, eines der wenigen Länder, in dem noch Transparenz über die oft sehr hoch angesetzten Erstattungspreise besteht.

So teuer wie Gold und Diamanten

Da sich wohlhabende Länder höhere Abnahmemengen leisten können, die mit größeren Abschlägen verbunden sind, zahlen in der EU die ärmeren osteuropäischen Länder zum Teil mehr als doppelt so viel für dasselbe Medikament wie Länder im reicheren Westeuropa. Das ist ein Problem, auf das Gesundheitsaktivist:innen wie die BUKO Pharma-Kampagne seit Jahren aufmerksam machen. Ein wirklicher Skandal aber ist, dass viele neue – zum Teil lebenswichtige – Medikamente in den ärmeren Ländern Europas aufgrund der hohen Preise überhaupt nicht verfügbar sind. Die öffentlichen Gesundheitsdienste dieser Staaten können sich die teuren Medikamente schlichtweg nicht leisten. Innerhalb der EU gilt also das gleiche Prinzip, das wir während der Covid-19-Pandemie schmerzhaft erlebt haben: Wohnort und Geldbeutel entscheiden darüber, ob Patient:innen Medikamente erhalten, die ihr Leben verlängern oder gar retten können.

In Litauen etwa müssen Menschen, die unter der angeborenen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose leiden, die Behandlungskosten mit dem äußerst wirksamen Medikament Kaftrio des US-Pharmakonzerns Vertex selbst tragen: ca. 175.000 Euro pro Jahr. In Frankreich werden die Behandlungskosten vom Gesundheitssystem erstattet. Frankreich hat sich dafür mit Vertex auf eine Summe von 71.000 Euro pro Jahr geeinigt. Diese im schlimmsten Fall tödliche Ungleichheit ist im globalen Maßstab noch weitaus eklatanter. Von weltweit 36 Ländern, in denen 2023 die Behandlung mit Kaftrio erstattet wurde, liegen 35 im Globalen Norden. Ein weiteres prominentes Beispiel ist das neu entwickelte HIV-Medikament Lenacapavir des US-Konzerns Gilead. Dieses ist in der EU und den USA längst zur Behandlung zugelassen und gilt als game changer im Kampf gegen die Krankheit, denn es wirkt auch bei Patient:innen, die Resistenzen gegen ältere Medikamente entwickelt haben. Im östlichen und südlichen Afrika, wo weltweit mehr als die Hälfte der Menschen mit einer HIV-Infektion lebt, ist das Medikament nicht erhältlich. Dagegen formiert sich gerade breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand.

Öffentliche Investitionen und private Gewinne

Worum es bei der Debatte um die Marktmacht der Pharmahersteller im Kern geht, darauf hat medico zuletzt auch während der Covid-19-Pandemie mit der Kampagne „Patente töten“ hingewiesen: Die Hersteller können diese exorbitanten Preise für ihre Medikamente nur verlangen, weil sie durch den Patentschutz eine mindestens 20-jährige Monopolstellung auf dem Markt haben. Bisweilen verhängen Länder zwar sogenannte Zwangslizenzen, mit denen sie Medikamente günstiger herstellen können. Dies passiert aber äußert selten und nur gegen immensen politischen Druck der Hersteller und der Länder, in denen diese ihren Sitz haben – neben den USA vor allem auch Deutschland. Dabei führen die Unternehmen gebetsmühlenartig das Argument der wirtschaftlichen Notwendigkeit an, welches die hohen Preise rechtfertige. Sie unterschlagen dabei, dass die Entwicklung neuer Medikamente maßgeblich auf teilweise jahrzehntelanger öffentlich finanzierter Forschung basiert. Pharmafirmen geben fast doppelt so viel für Werbung aus wie für Forschung. Doch solange die Hersteller durch das Patentsystem geschützt sind, helfen auch gute Argumente nichts.

Die Leidtragenden sind nicht nur diejenigen, die das Pech haben, in einem Land mit einem finanzschwachen Gesundheitssystem zu leben, das sie mit ihrer Krankheit im Stich lässt. Auch in Deutschland könnten die Milliarden Euro, die die Allgemeinheit jährlich für „Blockbuster-Medikamente“ ausgibt und damit Pharmafirmen mit durchschnittlich 36 Prozent die höchsten Gewinnmargen aller Wirtschaftssektoren beschert, sehr gut woanders gebraucht werden. Etwa zur Zahlung besserer Löhne für Pfleger:innen oder den flächendeckenden Ausbau niedrigschwelliger Programme zur Gesundheitsprävention.  

Patentrecht abschaffen

Es ist höchste Zeit, auch hierzulande gegen die Auswüchse der Kommodifizierung von Gesundheit zu kämpfen. Auch in Deutschland soll die Transparenzpflicht für Erstattungsbeträge für neue Medikamente demnächst wegfallen. Das entsprechende, als „Lex Lilly“ bekannte Medizinforschungsgesetz wird gerade im Bundestag verhandelt. Es liest sich wie ein Geschenk an den Pharmakonzern Lilly, der in Alzey die Produktion zweier Medikamente plant: Eines gegen Diabetes und eine sogenannte Abnehmspritze. Das besondere daran: bei den Medikamenten handelt es sich um ein und dasselbe Arzneimittel. Nur: als Diabetesmittel wird es von der Krankenkasse bezahlt, als Abnehmspritze müssen Patient:innen die Kosten selbst tragen.

Hier zeigt sich die Wichtigkeit von Preistransparenz: Wenn Selbstzahlende nicht wissen, was die Kassen für das Diabetesmittel zahlen, gibt es keine Verhandlungsbasis für die Preise des Abnehmmittels, die vom Hersteller viel höher angesetzt werden können. Das zweifelhafte Argument von Gesundheitsminister Lauterbach („Höhere Rabatte durch weniger Transparenz“) funktioniert nicht und die Wurzel des Problems – das Patentsystem – bleibt weiterhin unberührt. Höchste Zeit , dass sich der Aufschrei der Gesundheitscommunity auf die Gesellschaft überträgt.

Mit unseren Partnerorganisationen in aller Welt kämpfen wir gegen krankmachende Verhältnisse sowie für das Recht auf ein gesundes und gutes Leben. Eine große Hürde dafür ist das Patentsystem.

Felix Litschauer

Felix Litschauer ist Referent für Globale Gesundheit bei medico international. Er ist Friedens- und Konfliktforscher und war lange aktiv in der Medinetz-Bewegung, die für das Recht auf Gesundheit von Geflüchteten kämpft. Zurzeit beschäftigen ihn besonders die Zusammenhänge von Klima- und Gesundheitsgerechtigkeit.

Twitter: @LitschauerFelix


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