„Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für den Terrorismus.“ Mit diesen Worten läutete der ehemalige US-Präsident George W. Bush im September 2001 den globalen „war on terror“ ein. Es folgten, mit deutscher Beteiligung, zwanzig Jahre Krieg und Besatzung in Afghanistan. Zwanzig Jahre Mobilmachung, die auf einem manichäischen Weltbild beruhte. Zwanzig Jahre Kriegspropaganda, die die Grundlage für den massiven Ausbau westlicher Sicherheitsapparate, die Verbreitung antimuslimischer Narrative sowie die Normalisierung von Kriegen in aller Welt bedeutete.
Heute, bald drei Jahre nach der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, spricht kaum noch jemand über das Land. Die Folgen des überstürzten Abzugs für die ohnehin schlechte Menschenrechtslage interessieren kaum mehr. Die Versprechen, eine Demokratie aufzubauen und Freiheitsrechte zu garantieren, haben sich als hohle Phrase erwiesen. Der Westen steht vor dem Scherbenhaufen seiner eigenen Hybris.
In Deutschland riefen selbst das Erdbeben Ende 2023 mit mehr als 1.400 Toten und das aktuelle Hochwasser in Teilen des Landes kaum mehr Betroffenheit hervor. Und In den Nachrichtenspalten der großen Medienhäuser findet auch die aktuelle Hochwasser-Katastrophe kaum statt. Schwerer wiegt aber das politische Versagen Deutschlands bei der Aufarbeitung seiner eigenen Rolle im Afghanistan-Krieg. Der Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages zur deutschen Beteiligung kritisiert zwar handwerkliche Fehler des Einsatzes, politisch bleibt er aber dem Ansatz treu, dass deutsche Interessen weiterhin mit militärischen Mitteln durchzusetzen sind.
Hinzu kommt, dass Afghan:innen auf der Flucht vor dem Taliban-Regime gefährliche Fluchtrouten durch Iran und die Türkei nehmen müssen, wo sie oftmals willkürlichen Verhaftungen und Folter ausgesetzt sind. Das groß angekündigte Bundesaufnahmeprogramm für Afghan:innen könnte für Schutz sorgen – doch das Bürokratiemonster ist lediglich ein Feigenblatt. Nur wenige Hundert Menschen aus Afghanistan durften seit Oktober 2022 einreisen. Das Schicksal der Menschen in Afghanistan scheint hierzulande nur dann zu interessieren, wenn man damit Kriegseinsätze begründen kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 2/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!