Covid-19

Musterland Sri Lanka?

10.02.2021   Lesezeit: 4 min

Sri Lankas Corona-Politik wird international immer wieder gefeiert. Ein Interview mit der feministischen Menschenrechtsaktivistin Shreen Saroor über den Preis des vorgeblichen Erfolgs.

medico: Wenn von einer erfolgreichen Politik gegen die Covid-19-Pandemie die Rede ist, wird immer auch Sri Lanka genannt: Ein harter Lockdown hielt die Infektionen und damit die Todesfälle auf einem niedrigen Niveau.

Shreen Saroor: Ja, man lobt uns überall auf der Welt. Die tatsächliche Situation aber ist anders, und das spiegelt sich auch in der steigenden Zahl der Todesfälle wider: wir haben pro Tag 5 bis 6 Todesfälle. Die Pandemie breitet sich jetzt auch in den Dörfern aus, wird aber von der Regierung verleugnet, die das Land wieder für den Tourismus öffnen will. Wahr ist allerdings, dass wir hier mit einer Politik der Härte konfrontiert sind. Der Kampf gegen die Pandemie obliegt Militär und Polizei, so wie bei uns jeder Bereich der Politik und des gesellschaftlichen Lebens militarisiert wird. Sie bilden „Cluster“ (Bekleidungsfabrik-Cluster, Fischmarkt-Cluster, Kirchen-Cluster, Moschee-Cluster, Migrationsrückkehrer-Cluster usw.), die auf die Ärmsten der Armen, auf Arbeiter und religiöse Minderheiten abzielen und sie spezifische Tests unterwerfen. Wer positiv oder mit uneindeutigem Ergebnis getestet wird, kommt in spezielle Behandlungszentren des Militärs. Da es dort gar keine Behandlung gibt, die Bedingungen oft unhygienisch sind und die Internierten sich zwangsläufig gegenseitig anstecken, sind gerade diese Zentren zu Hotspots der Pandemie geworden. Da die Menschen davon wissen, breitet sich überall Angst aus; man schickt sich gegenseitig über Whatsapp und soziale Medien Nachrichten, wo Polizei und Militär gerade Tests durchführen.

Da die Infizierten der Behandlungszentren nach Ausbruch der Krankheit in die Hospitäler verbracht werden, vermeiden immer mehr Leute den Gang ins Krankenhaus: jede und jeder, die oder der dort um welche Behandlung auch immer nachsucht, muss zunächst einen Test absolvieren. Aus Furcht vor der drohenden Isolation gehen viele Menschen, besonders aber schwangere Frauen, alte Menschen und Menschen mit chronischen Krankheiten, gar nicht mehr zum Arzt.

Dabei ist die Angst unter Muslimen am größten, weil Menschen, die tatsächlich oder vorgeblich an Corona sterben, sofort verbrannt werden. Muslimen ist es jedoch aus religiösen Gründen verboten, verbrannt zu werden: die Verbrennung ist ein Sakrileg. Tatsächlich lässt der sri lankische Staat nicht nur Menschen zwangsverbrennen, die an Corona gestorben sind, sondern auch Leute, die an ganz anderen Krankheiten gestorben sind, damit aber automatisch unter den Verdacht gestellt werden, an Corona gelitten zu haben. Die Verbrennungen werden fortgesetzt, obwohl die Weltgesundheitsorganisation, das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte und unabhängige UN-Expert*innen diese Praxis ausdrücklich kritisiert haben und die lokalen Virolog*innen und Gesundheitsfachgremien sich dafür ausgesprochen haben, auf Wunsch auch Begräbnisse zuzulassen.

Richtet sich das gezielt gegen Muslime, oder ist der Regierung das besondere Leid, das sie Muslimen zufügt, einfach egal?

Seit 2009, seit die Regierung des Präsidenten Rajapaksa und der Rassismus der singhalesisch-buddhistischen Mehrheitsgesellschaft ihren Krieg gegen die tamilisch-hinduistische Minderheit des Landes gewonnen haben, sind die Muslime zum neuen Feind geworden. Mit den Osterattacken 2019 ist das weiter eskaliert. Wiederholt haben singhalesische Mobs Häuser von Muslimen, muslimische Geschäfte und Moscheen angegriffen, verwüstet und verbrannt. Jetzt geben die Regierungsmedien uns die Schuld an der Pandemie: es seien Muslime gewesen, die das Virus eingeschleppt hätten. Das bedeutet übrigens nicht, dass die Diskriminierung von Tamil*innen nachgelassen hätte, im Gegenteil: angegriffen werden alle, die nicht zur singhalesischen Mehrheitsgesellschaft gehören. Die Pandemie bringt das jetzt auf den Punkt.

Wie kann Sri Lanka dann als Positivmodell der Pandemiebekämpfung gepriesen werden?

Ende Januar hat die UNO einen dramatischen Bericht über die Menschenrechtssituation in Sri Lanka vorgelegt, in dem sie auflistet, was hier alles geschieht: die Militarisierung der gesamten Verwaltung und des öffentlichen Lebens, die Besetzung von immer mehr staatlichen Ämtern durch Militäroffiziere, die persönlich schwerer Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen beschuldigt werden, die zunehmende Kontrolle aller zivilgesellschaftlichen Aktivitäten - dass zum Beispiel nicht weniger als 40 NGOs von Polizei, Regierungsbeamt*innen, Geheimpolizei und Armee gezielt eingeschüchtert wurden.

Besonders kritisiert wird, dass sich die Regierung nicht mehr nur faktisch, sondern auch erklärtermaßen ihrer Verantwortung für die Aufarbeitung der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkriegs entzieht. Doch die Europäische Union und insbesondere die Bundesrepublik wehren sich gegen alle Versuche, die Regierung zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. Es gibt Forderungen, sich im UN-Sicherheitsrat mit der Situation in Sri Lanka zu befassen und extraterritoriale Gerichte zu nutzen. Die EU aber will weiterhin mit einem Staat zusammenarbeiten, der arrogant erklärt, sich weder an UN-Resolutionen noch an Empfehlungen unabhängiger UN-Expert*innen zu halten. Nach den Kämpfen, die wir Überlebenden und Zeug*innen ihrer Verbrechen dort um Wahrheit, Rechenschaft und Gerechtigkeit geführt haben, plant die von China und neuerdings auch von Pakistan unterstützte Regierung Sri Lankas jetzt, den UN-Menschenrechtsrat ganz zu verlassen. Dabei hat sich hier im Land nichts verbessert – auch weil sich die Regierung auch den Obersten Gerichtshof und die Menschenrechtskommission Sri Lankas politisch untergeordnet hat.

Das Interview führte Thomas Rudhof-Seibert.


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