Globale Feminismen

Protest meets pandemic

24.03.2021   Lesezeit: 7 min

Der 8. März hat es wieder einmal bestätigt: Der Feminismus ist eine wirkliche globale Bewegung. Das bedeutet auch, dass seine Unterschiedlichkeiten verstanden werden sollten. Sie werden in der Pandemie sichtbarer denn je.

Von Julia Manek

Gemeinsam fluten Tausende die Straßen aller Länder. In lila. In grün. In bunt. Ihre Schreie artikulieren überall die gemeinsamen Forderungen nach einem Leben frei von Gewalt. Doch die Idee eines globalen Feminismus ist so heterogen wie die Welt, der sie entstammt. Sie ist das Gemeinsame von vielen globalen Feminismen.

Die Schriftstellerin Yvonne A. Owour nimmt von Kenia aus einen schonungslosen Normalitätscheck vor: „Wer? Warum? Wofür? Wer sollte denn diese Welt ‚reparieren‘? Warum und wofür sollte sie ‚repariert‘ werden? Für die Zukunft etwa?“Auf der Suche nach einem Ausgangspunkt der Rekonstruktion und der Reparatur der Welt werden „alternative Archive“ gesucht: Praxen und Wissensformen wider die bestehenden Verhältnisse. Orte, die oftmals bereits im Lokalen existieren und die ebenjenen, wie Rita Segato ihn nennt, „kartesianischen Extremismus“ des patriarchalen Denkens herausfordern, der Natur und Körper zu bloßen Dingen degradiert – und damit ultimative Kontrolle über das Leben selbst ausübt.

Solche Orte sind „Inseln der Vernunft“: Welten in der Welt. Die nicht perfekt sind. Aber real. Orte der Fürsorge, die es uns ermöglichen, widerständig zu sein und zu bleiben. Wie die Zentren der medico-Partner:innen der Gays and Lesbians of Zimbabwe (GALZ). Dort, wo Ökosysteme intakt gelassen oder repariert werden. Wie in den Dachgärten im palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Dort, wo Ressourcen und Arbeit kommunal ver- und geteilt werden und anerkannt wird, dass „alles allen“ sein kann. Wie bei den internationalen Treffen der „Mujeres que Luchan“ in den zapatistischen Gebieten. Oder das Widerstandscamp im Danneröder Forst. Es gilt, voneinander zu lernen. Von diesen „Inseln der Vernunft“, die nicht ohne die Forderungen dekolonialer feministischer Stimmen auskommen: „A despatriarcar!De-patriarchalisieren!“

Femi(ni)zide und Feminismen in Lateinamerika

Insbesondere die feministischen Kämpfe in Lateinamerika haben der Welt (wieder) gezeigt, dass selbst eine neoliberale Gesellschaft „von unten“ veränderbar ist. „¡Es ley!“ In Argentinien ist sie nach jahrelangen Kämpfen nun Gesetz: Die Legalisierung von Abtreibungen. Zum Vergleich: Das Recht auf Abtreibung ist hierzulande – entgegen aller Annahmen – anders als in Argentinien eben nicht rechtlich verankert. Auch in Chile wurde es hart – aber erfolgreich – erkämpft. Und von Santiago de Chile aus verbreitete sich im vergangenen Jahr eine Performance wie ein Lauffeuer, in der Feminist:innen mit dem Finger auf die Täter sexualisierter Gewalt zeigen: „El violador eres tú. – Der Vergewaltiger bist du.“

Unmissverständlich machten sie deutlich, dass es sich bei sexualisierter Gewalt weder um einen Einzelfall handelt. Noch, dass der Staat seine Hände in Unschuld waschen kann: El patriarcado es un juez que nos juzga por nacer. – Das Patriarchat ist ein Richter, der uns schon bei der Geburt verurteilt.“ Auch jenseits der Performance hat es die feministische Bewegung in Chile geschafft, starke Zeichen gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum zu setzen: Nicht nur unerwünschte Berührungen, sondern auch verbale Übergriffe können nun juristisch geahndet werden. Zum Vergleich: Das deutsche Strafrecht bietet kaum bis gar keinen Schutz gegen irgendeine Form sexueller Belästigung im öffentlichen Raum.

Die strukturelle Dimension sexualisierter Gewalt wird auch von Mexiko aus bloßgestellt: Während andernorts noch darum gerungen wird, Femizide überhaupt als solche zu benennen, haben jahrelange Kämpfe erstritten, dass in das mexikanische Strafgesetzbuch der Begriff Feminizid integriert wurde. Das „ni“ unterstreicht die Mitschuld des Staates an den Morden: durch Straflosigkeit, Viktimisierung der Opfer oder die Forcierung frauenfeindlicher Diskurse. Zum Vergleich: In der medialen Repräsentation wird hierzulande statt von Femi(ni)ziden immer noch von „Beziehungsdramen“ und Einzelfällen gesprochen.

Doch Femi(ni)zide durchziehen alle gesellschaftlichen Schichten und Kontinente. Der Kampf gegen sie ist ein Kampf gegen das Patriarchat, der weit über Lateinamerika hinausgeht: Patriarchalen Verhältnissen ist ein männlicher Besitzanspruch auf feminisierte Körper eingeschrieben. Letztere werden nicht nur normiert, sondern auch „territorialisiert“: Unterworfen und ausgebeutet, gerade so als seien sie ein zweidimensionales Territorium, das vermessen und besessen werden könne. Diese Sprache der Kolonialisierung des Dreidimensionalen sprechen vor allem Femi(ni)zide: Täter töten ihre Opfer – Partner:innen, von denen sie verlassen wurden oder die sie verlassen wollen. Oder eben auch „ihre“ Hausarbeiter:innen, die eingesperrt und misshandelt werden können, da weder „Vater Staat“ noch die patriarchale Gesellschaft sie schützen.

Feministische Zerklüftungen in Zeiten der Pandemie

Von Lateinamerika aus umspülen die Ausläufer der marea verde – der feministischen Flutwelle, in der grünen Farbe des Kampfes für reproduktive Gerechtigkeit – den Planeten. Mit ihr wird auch der Kampf gegen Femi(ni)zide nach Europa getragen. Eine Brücke zwischen „hier“ und „dort“ haben die sogenannten feministischen Streiks des 8. März gebaut. Der globale feministische Streik sollte wahrlich Generalstreik sein: „Wir sind alle Arbeiter:innen.“ Egal, ob in der Care Arbeit, im informellen, Produktions-, Dienstleistungs- oder Finanzsektor. (Nicht nur) in Argentinien, im Libanon, in Kenia, in Ägypten, in Südafrika, in Deutschland. Doch ist es wirklich so einfach?

Nein, natürlich nicht: Feminismen sind verbunden und zerklüftet. Wer eine Einheitsfront der Arbeiter:innen imaginiert, sieht sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie einst die „Arbeitereinheitsfront“. Die Pandemie ist es, die all jene Zerklüftungen der Welt erbarmungslos aufdeckt, die auch – und insbesondere – die Lebensrealtäten von Frauen und der LGBTIQ-Community durchziehen. Das zeigt sich schon daran, wie unterschiedlich die Idee von „Normalität“ an verschiedenen Enden der Welt klingt: „Euer Lockdown ist unsere Normalität“ sagten beispielsweise migrantische Hausarbeiter:innen im Libanon, die oftmals unter Bedingungen moderner Sklaverei in den Haushalten eingesperrt werden. Zusammen mit den medico-Partner:innen des Anti‑Racism‑Movementfordern sie die Anerkennung ihrer Rechte. Sie migrierten in das sogenannte Kafala-System, in dem sie als Hausarbeiter:innen den Hausherr:innen ausgeliefert sind und ihnen die Pässe oftmals abgenommen werden. Sie werden diskriminiert, geschlagen, vergewaltigt, ermordet. Im perpetuierten Lockdown des Kafala-Systems kann all dies in einem rechtsfreien Raum geschehen.

Doch die Corona-Pandemie hat auch sichtbar gemacht, was gerne übersehen wurde und was die globalen Erfahrungen verbindet: Strukturen des sozialen Miteinanders und der Fürsorge brachen vielfach weg. Wenn die Folgen überhaupt aufgefangen wurden, dann dort, wo dies „immer schon“ geleistet worden ist: Im engen Beziehungs- und Familienrahmen. Mehrheitlich von Frauen. Weltweit brechen Gesundheitssysteme zusammen, selbst das deutsche Gesundheitssystem wankt. Die medizinischen Pflegekräfte müssen es ausgleichen: Mehrheitlich Frauen. Im Lockdown verschärft sich häusliche Gewalt. Betroffen: Fast ausschließlich Frauen. Die Aufzählung ließe sich fortführen. Aber hier geht es uns nicht um Gender-Quoten. Es geht uns ums (patriarchale) Prinzip.

(Keine) Global Sisterhood im postkolonialen Kapitalismus?

Was aber bedeutet die Idee eines globalen Feminismus für die globale Emanzipationsbewegung? Wo lassen sich Verbindungen herstellen, beispielsweise zu den antirassistischen Kämpfen der letzten Jahre? Vielleicht lässt sich diese Frage auch umdrehen: gehören sie nicht ohnehin organisch zusammen, wie es dekoloniale feministische Stimmen formulieren? Denn längst erzeugen soziale Kategorien keine „sauberen“ Trennlinien mehr. Unterdrückungsmechanismen sind viel komplexer als ein Entweder-Oder: (Post‑)kolonialer Kapitalismus ist „dirty“: Auch Depriviligierte können privilegiert sein. Unterdrückte können auch Unterdrücker:innen sein. Dies bedeutet auch, dass Anrufungen einer „Global Sisterhood“ unhaltbar sind: Sie romantisieren eine scheinbare Gleichheit. Doch gleichzeitig ist es die globale Arbeitsteilung, die uns trennt: Nicht alle hungern, wenn ein Lockdown verhängt wird. Nicht alle erleben häusliche Gewalt. Nicht alle arbeiten unter menschenverachtenden Bedingungen im Produktionssektor (beispielsweise in der Textilindustrie oder Pharmaproduktion). Dass es Arbeitsbedingungen gibt, die nicht menschenverachtend sind, ist gut so. Doch im sicheren Home Office können sich viele derartige (Über‑)Lebensbedingungen gar nicht erst vorstellen.Angesichts dessen muss der transnationale feministische Streik solidarisch und empathisch sein. Wissend darum, dass die Kämpfe bürgerlicher Frauen um den Eintritt in die Lohnarbeitssphäre sogar negative Folgen für nicht-bürgerliche Frauen haben können. Wissend darum, dass der Streik weißer Frauen an den Lebensrealitäten Schwarzer Frauen vorbeigehen kann. Wissend, dass der Streik von FLINT* die Realität von A vergessen kann.

Fest steht: Die alte Normalität gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Doch welche neue Normalität soll sie ersetzen? Die Utopie kennt keinen Ort. Sie kennt nur Umwege – über die Reparatur des Bestehenden hin zur besten aller möglichen Welten. Es bleibt nichts anderes, als aus den Trümmern der pandemischen Krise einen Ausgangspunkt zu suchen, für eine Rekonstruktion der Welt, die mit der Phantasie des Beginnes einer Zukunft in Gleichheit, Teilhabe und Nachhaltigkeit verbunden sind. Die Idee einer Normalität, die sich zurückgewünscht werden kann, wird ultimativ herausgefordert. Zuallererst aus dem Süden.

Julia Manek

Julia Manek ist Psychologin und Humangeographin. In der Öffentlichkeitsarbeit von medico international ist sie als Referentin für psychosoziale Arbeit tätig.

Twitter: @ju_manek


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