Auch das neue Jahr begann mit erschütternden Nachrichten. Dieses Mal kamen sie aber nicht nur aus dem fernen Ausland. Ein Bericht des Recherchezentrums Correctiv deckte auf, dass im November vergangenen Jahres ein geheimes Treffen von hochrangigen AfD-Politikern mit Unternehmern, Juristen, Ärzten und CDU-Politikern stattfand, auf dem Pläne zur Vertreibung und „Remigration“ von Migrant:innen vorgestellt und diskutiert wurden. Martin Sellner, Aktivist der rechtsextremen Identitären Bewegung, referierte unter anderem über die Idee, in einen nordafrikanischen „Musterstaat“ zwei Millionen Menschen „hinzubewegen“, sprich: zu deportieren.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung gingen und gehen in verschiedenen Städten des Landes zehntausende Menschen auf die Straße, in Berlin, Potsdam, Dresden, Leipzig, Köln und andernorts. Unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ reagierten sie mit Besorgnis und klarer Haltung auf die in jeder Hinsicht beängstigenden Enthüllungen, die eine weitere Kampfansage an die Realität einer postmigrantischen Gesellschaft darstellen. Die Anti-AfD-Mobilisierungen sind beeindruckend und gehen hoffentlich konsequent weiter.
AfD wirkt
Die Kundgebung am vergangenen Sonntag in Potsdam war dabei von besonderer symbolischer Bedeutung, weil hier das Treffen im vergangenen Jahr stattgefunden hatte. Wohl auch deswegen reihten sich dort medienwirksam mehrere Repräsentant:innen der Bundesregierung ein und ließen sich, umringt von Personenschützern, auf dem Alten Markt fotografieren.
Es ist gut, dass sich die Bundesregierung symbolisch gegen den Rechtsruck stellt. Doch ihre Verantwortung geht darüber hinaus. Statt mit betroffener Miene zu demonstrieren, könnte sie etwas an ihrer konkreten Politik verändern, die den Rechtsruck seit Jahren ebenfalls befördert und institutionalisiert. Denn die Politik der Bundesregierung ist in Migrationsfragen bisher davon geprägt, den Ideen der AfD nichts Substantielles entgegenzusetzen, sondern in anderer Tonlage die Klaviatur der Abschottung zu spielen. Von rechts überboten werden sie dabei nicht nur von der AfD: In ihrem aktuellen Grundsatzpapierentwurf fordert die CDU, alle Geflüchtete, die in der EU einen Asylantrag stellen, in „sichere Drittstaaten“ zu überführen und dort auch nach einem positiven Bescheid zu belassen.
Zugleich wurde am gestrigen Donnerstag im Bundestag über das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Bundesregierung abgestimmt, das einen massiven Eingriff in die ohnehin schon eingeschränkten Grundrechte von Geflüchteten darstellt. Die Abschiebehaft soll auf 28 Tage verlängert werden, Polizist:innen dürfen auf der Suche nach Menschen, die abgeschoben werden sollen, auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer der jeweiligen Person in Asylunterkünften betreten können. Einreise- und Aufenthaltsverbote sowie Einschränkungen bei der Wahl des Wohnsitzes sollen zukünftig sofort in Kraft treten, auch wenn die betroffene Person rechtmäßigen Widerspruch oder Klage einlegt.
Es handelt sich um weitreichende Eingriffe in das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf Privatsphäre. Und künftig könnten auch Seenotretter direkt in Deutschland wegen Beihilfe zur illegalen Einreise kriminalisiert werden – und zwar ausgerechnet dann, wenn es um die Rettung Minderjähriger geht. Zwei diese Woche veröffentlichte Gutachten kommen zu dem Schluss, dass mit dem beschlossenen Gesetzesentwurf ausgerechnet die Rettung von Kindern von einer geplanten Ausweitung der Strafbarkeit erfasst wäre.
„Im Gegensatz zur AfD braucht die Bundesregierung kein Geheimtreffen, um die massenhafte Entrechtung von Menschen zu diskutieren, sie schlägt das einfach als Gesetz vor. Die Rettung von Kindern aus Seenot und das Sichern von Grundbedürfnissen an den Grenzen mit Haft zu bedrohen ist einfach nur niederträchtig“, kommentiert Sea-Watch-Sprecher Oliver Kulikowski den Gesetzesbeschluss. Dass Anfang des Jahres auch noch der Abschiebestopp in den Iran ausgelaufen ist, stellt nur ein weiteres I-Tüpfelchen der restriktiven Asylpolitik der Ampel dar.
Abschottung ohne Ende
Erst am 20. Dezember 2023 hat die Bundesregierung die Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ [GEAS] und damit einer de facto Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl mit ihrer Zustimmung ermöglicht. Neben der massenhaften Internierung von Menschen an den Außengrenzen – mit bis zu 120.000 Menschen plant die EU pro Jahr – steht das Konzept vermeintlich „sicherer Drittstaaten“ im Mittelpunkt der Reform, die nun in Form von zehn Gesetzen noch vor den Europa-Wahlen beschlossen wurde. In diese sollen Menschen, denen ein individueller Asylantrag auf europäischem Boden verwehrt wird, massenhaft abgeschoben werden. Die Kriterien, wann ein Drittstaat als sicher geltend gemacht werden kann, wurden durch die Reform massiv gesenkt. So muss nicht mehr das ganze Gebiet für Abgeschobene als sicher gelten, sondern nur Teilbereiche – etwa einzelne Städte oder Regionen. Zudem kann nun auch zwischen einzelnen Personengruppen differenziert werden, die in zum Beispiel nur für Männer sichere Gebiete abgeschoben werden können.
Die Genfer Flüchtlingskonvention muss von den zukünftigen sicheren Drittstaaten auch nicht unterschrieben sein. Die Türkei zum Beispiel, bereits im Juni 2021 von Griechenland als sicher ausgegeben und durch den EU-Türkei-Deal von März 2016 auch von der EU als Zielort von Abschiebungen geadelt, brüstete sich Ende 2022 damit, im gesamten Jahr mehr als 60.000 Afghan:innen in das vom Taliban-Regime kontrollierte Land abgeschoben zu haben, hinzu kommen tausende Syrer:innen, die gegen ihren Willen in das Bürgerkriegsland zurückgeschickt wurden.
Dazu passend wurden Tunesien, mit seinem immer autokratischer regierenden Präsidenten Kais Saied im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Euro versprochen, um den Türsteher Europas zu spielen. Bundesinnenministerin Faeser reiste im Juni persönlich nach Tunis, um für die Zusammenarbeit zu werben. Dabei besuchte sie auch die deutsche Bundespolizei, die die tunesische Nationalgarde und Grenzpolizei in der „Bekämpfung irregulärer Migration“ ausbildet. Nur wenig später wurde bekannt, dass schwarze Geflüchtete und Migrant:innen bei mehr als 40 Grad von eben jener tunesischen Polizei in die Wüste nahe Libyen deportiert wurden. Das Bild einer am Boden liegenden verdursteten Frau und ihres Kindes gingen um die Welt.
Als Beatrix von Storch 2015 öffentlich darüber nachdachte, auf Flüchtlinge an der Grenze schießen zu lassen, war die Empörung noch groß. Das massenhafte Ertrinkenlassen im Mittelmeer und das Verdurstenlassen in den Wüsten Nordafrikas ist Teil einer Abschottungspolitik, an deren Brutalität sich zu viele gewöhnt haben. Es scheint, dass der an der AfD kritisierte Autoritarismus dann Zustimmung findet, wenn er in nettere Worte verpackt und vorwiegend außerhalb der EU oder in den isolierten Unterkünften und Ausländerbehörden praktiziert wird. Doch nicht nur: den Angriff auf das Staatsbürgerschaftsrecht – auf dem AfD-Geheimtreffen wurde diskutiert, das auch "nicht-assimilierte" Deutsche deportiert werden sollen – hatte es in den letzten Monaten auch aus der „Mitte“ der Politik gegeben. Vermeintlichen oder echten Antisemit:innen solle die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden, forderten nicht nur Unionspolitiker nach den Angriffen der Hamas auf Israel. Auch um sie dann leichter abschieben zu können.
Deutlich wird, dass die Ideen der AfD und der Identitären Bewegung oft nur eine Radikalisierung und Überspitzung des Geistes der herrschenden Asylpolitik sind. Zur Erinnerung: Der Bundeskanzler ließ sich erst im Oktober auf dem Spiegel-Cover mit dem Satz „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ zitieren. Und mit seiner kurzen Erklärung auf X zum Geheimtreffen der AfD und Konsorten verschlimmbesserte er es nur noch: „Wer hier lebt, hier arbeitet und sich zu den Grundwerten unserer Demokratie bekennt, gehört zu uns.“ Was mit denen ist, die arbeitslos sind oder sich nicht zur deutschen Staatsräson bekennen wollen bleibt unklar. Die „Lösungen“ dafür hat die AfD parat. Doch den „Rechtsruck bekämpft man nicht mit Rechtsruck“, wie Luisa Neubauer die Teilnahme der Bundesregierung an den Protesten kommentierte.
Es ist ein fatales Signal, dass die Bundesregierung mit ihrer jüngsten Verschärfung der Asyl- und Abschiebepolitik symbolisch belegt, dass sie auf der Seite des wachsenden Rassismus steht, anstatt sich schützend vor Migrat:innen zu stellen.