Seit seinem Amtsantritt führt Trump der Welt vor Augen, wie eng der Abbau des Rechtsstaats mit einer Anti-Einwanderungspolitik und rassistischer Hetze verwoben ist. Als erste Amtshandlungen verwandelte er die Grenze in eine Notstandsregion, setzte den Zugang zum Asylrecht aus und versprach eine Abschiebeoffensive. Gleichzeitig erging ein Dekret gegen Diversitätsprogramme in öffentlichen Institutionen und dem Bildungssystem – über Nacht verloren Hunderttausende Migrant:innen ihre Lebensperspektive in den USA, Millionen Jobs sind gefährdet, während das Militär, die Grenzbehörde und paramilitärische Gruppen entlang der Grenze aufgerüstet werden sollen. Und dies ist erst der Anfang des versprochenen autoritären Staatsumbaus.
Doch auch Europa steht an der Schwelle einer autoritären Transformation. Und das nicht erst seit der letzten Empörungsspirale, mit der einmal mehr die Amoktat eines psychisch erkrankten Geflüchteten mit zwei Todesopfern aufgegriffen wird. Anstatt die Ursachen solch erschreckender Taten anzugehen, müssen die Opfer als neuerliche Munition für das Mantra „Jetzt ist es aber genug! Jetzt muss gehandelt werden!“ herhalten. Denn dieses Mantra erlaubt es, nicht genau hinzuschauen, Menschen unter Generalverdacht zu stellen und die falschen Maßnahmen zu ergreifen. Die oft nur geheuchelte Empörung hat mit der Realität wenig zu tun. Die Migrationszahlen sinken, das Recht auf Asyl wird seit Jahren immer weiter beschränkt und Gewalttaten werden ebenso von weißen deutschen Staatsbürgern verübt.
Die extreme Rechte versucht seit Jahren, ihre Narrative auf dem Feld der Migrationspolitik zu setzen. Und sie kommt der Macht immer näher. Die Skandalisierung von Migration stellt die Brücke zur Mitte dar und ebnet den Weg, um rechtsstaatliche Prinzipien dem politischen Entrechtungswillen unterzuordnen. Davor warnen Studien zu Rechtspopulismus und autoritären Kipppunkten seit Jahren. Nun scheint ihre Strategie aufzugehen. Insbesondere Friedrich Merz und Christian Lindner scheinen Gefallen am Gebaren der Trump-Clique gefunden zu haben. Merz gibt den Trump und schwenkt auf einen autoritären Kurs: Noch vor einer möglichen Kanzlerschaft will er Tatsachen schaffen und bringt zwei Anträge und das sogenannte „Zustromsbegrenzungsgesetz“ in den Bundestag ein. Dem Trumpschen Skript folgend verspricht er, ab Tag eins seiner Amtszeit per Dekret die Grenzen dicht zu machen, eine zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft einzuführen und die Kompetenzen der Bundespolizei massiv auszuweiten: Sie soll das Recht bekommen, Haftbefehle zu beantragen und die Arbeit der Länder-Polizeien übernehmen.
Der Vorschlag eines „faktischen Einreiseverbots“, das ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch gelten soll, untergräbt die Genfer Flüchtlingskonvention, Schengen-Regelung und EU-Recht. Dieses Germany-First-Prinzip wäre nur umsetzbar, wenn Merz dauerhaft den nationalen Notstand ausruft, um den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht zu brechen. Mit diesem Ansatz reiht er sich nicht nur in die rechte Politik Viktor Orbans und Giorgia Melonis ein, die das europäische Projekt zu Grabe tragen wollen, sondern stellt sich auch neben autoritäre Herrscher, die Grundrechte über Notstandsverordnungen außer Kraft setzen. Auch die anderen Punkte seiner Pläne rütteln an den Grundfesten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – gerade in Deutschland. Es hat historische Gründe, dass Anträge auf Haftbefehle nicht von Polizeien, sondern von Staatsanwält:innen gestellt und von Gerichten bestätigt werden müssen. Es ist eine Lehre des Nationalsozialismus, dass Menschen nicht zeitlich unbefristet in Haft genommen werden können. Die Illegalisierung der Einreise hätte zur Folge, jegliche asylsuchende Menschen systematisch zu kriminalisieren.
Frontalangriff auf die Demokratie
Und als ob dies alles noch nicht genüge, streckt Merz der AfD die Hand aus, seinen Antrag zu unterstützen. Auch Lindner befindet, es sei „gänzlich unerheblich“, wenn die AfD die Gesetzespakete unterstütze. Diese offene Einladung zu einer rechts-autoritären, völkischen Allianz ist der nächste eklatante Schritt hin zu einem autoritären Staatsumbau aus der Mitte. Er untergräbt nicht nur jegliches Vertrauen in das Versprechen einer Brandmauer, sondern ist ein Frontalangriff auf die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft. Es ist kein „taktischer Kniff“, wie es manche Kommentator:innen bewerten, die AfD rechts zu überholen – es ist die Fortführung der AfD-Politik durch eine sich selbst als konservativ-demokratisch bezeichnende Partei. Schuld am gegenwärtigen migrationsfeindlichen Klima ist jedoch nicht allein die CDU. Auch die Ampel-Koalition hat Einwanderung in den letzten Jahren immer wieder als Sicherheitsproblem adressiert und mit markigen Sprüchen „Härte“ und „Abschiebungen im großen Stil“ angekündigt.
Es ist ebenso vorhersehbar wie traurig, dass tragische Ereignisse wie in Aschaffenburg einmal mehr für einen autoritären Vorstoß genutzt werden. Während Björn Höcke und rechte Netzwerke den Tod „des Mädchens“ (es war ein Junge) für ihre Hetze instrumentalisieren und falsche Bilder von einem Mann im Netz kursieren, der beim Rettungsversuch der Kinder ermordet worden sein soll, geht es längst nicht mehr um das ermordete Kind marokkanischer Eltern oder den getöteten Mann.
Selbstverständlich wirft die Tat Fragen auf. Zum Beispiel, wieso es in Deutschland gerade eine derartige Häufung von Gewalttaten hochgradig psychisch beeinträchtigter Personen gibt, die an der einen oder andere Ecke dem Hilfesystems oder der Asylbürokratie bekannt waren. Doch kein Einreiseverbot, keine noch so militarisierte Grenze wird diese Taten verhindern können. Das zeigen alle Erfahrungen mit hochgerüsteten Grenzsystemen, sowohl in Europa als auch den USA. Deshalb müsste die Frage eigentlich lauten, welche Bedingungen zu diesen Gewalttaten führen. Schauen wir auf die Asylpolitik, zeigt sich ein System, das seit Jahren durch eine Gesetzesverschärfung nach der anderen die Schlinge um den Hals von Schutzsuchenden enger zieht. Zukunftsperspektiven werden den Menschen systematisch genommen. Dazu kommt eine systematische Prekarisierung in der Unterbringung von Geflüchteten, auch rechtliche und psychosoziale Beratungsstellen werden weiter eingespart, ganz zu schweigen von den Restriktionen des Asylbewerberleistungsgesetztes, das dezidiert nur Notversorgung garantiert. Seit Jahrzehnten fordern Mediziner:innen, Ärztevereinigungen und Flüchtlingsräte erfolglos gerade in Punkto Gesundheitsversorgung das Asylbewerberleistungsgesetz als Sondergesetz abzuschaffen.
Wenn die Sicherheit in der Gesellschaft erhöht werden soll, gilt es an genau dieser Stelle anzusetzen, anstatt die Schließung von Grenzen und ein faktisches Einwanderungsverbot für Menschen ohne gültige Einreisepapiere zu proklamieren – was eben nicht hilft – und zusätzlich im Inneren Überwachung und Strafe auszubauen. Die Politik der Verschärfungen, der Restriktionen, der Repressalien ist Teil des Problems. Sie schraubt selbst an der Empörungsspirale und leistet keinen Beitrag zur Abhilfe; sie untergräbt nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch ihr eigenes Wohlstandsmodell.
Merz‘ Vorstöße schaffen ein Klima, das den sozialen Frieden der Migrationsgesellschaft, deren Teil wir alle sind, bedroht. Ein Viertel der deutschen Gesellschaft hat einen Migrationshintergrund und ist direkt davon betroffen, wenn ein Klima geschaffen wird, das Menschen ausgrenzt und verängstigt. Mal abgesehen davon, dass dies der – auch von der CDU gewünschten – Einwanderung von Fachkräften gänzlich abträglich ist. Zudem legt eine derartige Politik ohne Not Hand an die Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit. Kurz vor den Bundestagswahlen ist es höchste Zeit zu verstehen, dass nicht die plurale Gesellschaft der Feind ist und dass dieser auch nicht an den deutschen Grenzen steht, um hier Asyl zu suchen. Die Gefahr für Menschenrechte und Demokratie kommt von innen. Von der autoritären Sehnsucht eines leider wachsenden Teils der Bevölkerung, der sich durch Alice Weidel, Donald Trump oder Friedrich Merz vertreten sieht.