Nordostsyrien

Wasser als Waffe

30.08.2022   Lesezeit: 5 min

Rojava droht auszutrocknen. Verantwortlich ist neben dem Klimawandel vor allem die Türkei, die Wasser in einem hybriden Krieg als Waffe einsetzt.

Von Lukas Spelkus

Rojava, vor allem mit seinem Kanton Cizire, dessen Landschaft durch endlos scheinende Weizenfelder gezeichnet ist, galt jahrzehntelang als Kornkammer Syriens. Die Region war bekannt für das größtenteils aus Afrin stammende Olivenöl, welches auch in die westliche Hemisphäre exportiert wurde. Dieser Status ist heute mehr denn je in Gefahr – eine ganze Region droht auszutrocknen und die Anzeichen einer humanitären Katastrophe werden deutlicher.

Die Trockenheit hat mehrere Ursachen. Zum einen sind es die durch den fossilen Kapitalismus zunehmenden und – mit Blick auf die weltweiten Waldbrände im wahrsten Sinne des Wortes – „befeuerten“ Auswirkungen des Klimawandels auf die Region. Syrien war bereits 2006 bis 2010 von einer der intensivsten und längsten Dürren seit vielen Jahrzehnten betroffen, über die Forscher:innen sagen, dass sie bereits eine Folge des Klimawandels gewesen sei. Dürren und damit einhergehende Ernteausfälle nehmen jährlich nicht nur zu, sondern werden allmählich zur Norm und damit existenzbedrohend für die dort lebende Bevölkerung. Dazu kommt, dass in Rojava durch global abgeschwächte Winde immer weniger Niederschlag fällt, was die Trockenheit weiter vorantreibt. So breitet sich die Wüste unaufhaltsam weiter aus und verwandelt die einst grüne Landschaft in eine ockerfarbene Einöde.

Dieser Prozess wird zudem seit einigen Jahren durch die Türkei vorangetrieben, die Wasser sprichwörtlich als Waffe einsetzt. Seitdem die damals noch mehrheitlich von Kurd:innen bewohnte Region im Nordosten Syriens begonnen hat, sich unabhängig vom Assad-Regime selbst zu verwalten und den IS nicht nur zu bekämpfen, sondern fast gänzlich zu besiegen, hat Ankara die Wassermenge des durch Rojava fließenden Flusses Euphrat stark reduziert. Der Atatürk-Staudamm in der Türkei muss laut einem 1987 geschlossenen Abkommen eigentlich mindestens 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Syrien durchlassen – jedoch wird diese Menge seit 2017 sukzessive weniger.

Der Pegel des im „Assad-Sees“ ankommenden Wassers ist seit 2020 um sechs Meter gesunken. Die Folgen für die Region sind verheerend: Bauern haben nicht ausreichend Wasser, um ihre Felder zu bewässern, Brunnen trocknen aus, Mücken vermehren sich auf dem stehenden Wasser und verbreiten Krankheiten wie Leishmaniose, es gibt zu wenig Strom für die Haushalte und es kommt regelmäßig zu Ausfällen. Vor allem aber mangelt es vielerorts, besonders in den Camps für Geflüchtete, an Trinkwasser.

Erdogan hat erkannt, dass er durch weitere Umwelttaktiken die Region destabilisieren kann: 2019 legten mit der Türkei verbündete islamistische und terroristische Milizen immer wieder Brände und zerstörten unzählige Hektar an Weizenfeldern, deren Ernte schätzungsweise zwei Millionen Menschen für ein Jahr hätte ernähren können. Darüber hinaus greift die Türkei mit Artillerie und Kampfdrohnen Äcker und Felder sowie kritische Infrastruktur an.

Dazu kommt die Problematik um das Alouk-Wasserwerk, das seit der Besetzung der Region Serê Kaniyê (Ras Al-Ayn) im Jahr 2019 unter der Kontrolle der Türkei und ihr verbündeter Milizen steht. Das Wasserwerk versorgt eigentlich über 400.000 Menschen in der Region Heseke (Hasakeh), aber seit es nicht mehr unter der Kontrolle der Selbstverwaltung steht, ist die Versorgung nicht mehr gewährleistet. Laut dem Rojava Information Center ist das Werk seit dem 20. Juli nicht mehr in Betrieb, weshalb sich eine erneute Wasserkrise in Heseke anbahnt.

Die Türkei kann mit diesem strategisch wichtigen Hebel ihren politischen Druck weiter erhöhen. Diese Form der gezielten Drangsalierung eines Nationalstaates, die sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung Rojavas richtet, muss als Kriegsführung bezeichnet und in einem internationalen Kontext betrachtet werden: Putin verwendet im Rahmen des Krieges in der Ukraine Gasexporte als Waffe, Erdogan wendet die gleiche Methode in Form von Wasser an – nur muss beachtet werden, dass die von Erdogan zu „Feinden“ Erklärten nicht auf internationale Solidarität hoffen können und die Menschen Rojavas auf sich allein gestellt sind.

Rojava war nicht nur grün, sondern ist auch reich an Öl. Aufgrund der fehlenden Anerkennung der internationalen Staatengemeinschaft einerseits sowie der Grenzschließung der Türkei zu Rojava andererseits, wodurch sowohl die Ein- als auch Ausfuhr von Gütern unmöglich gemacht wird, fehlt es jedoch an technischen Mitteln, um die Raffinerien, die entweder in sehr schlechten Zustand sind oder gar nicht funktionieren, zu reparieren. Deshalb kann nicht so viel Öl gefördert, eingesetzt oder verkauft werden, wie theoretisch möglich. Schlimmer noch: aus den defekten Anlagen entweicht Rohöl in die Natur und verseucht eine Region, in der Menschen leben. Weil zusätzlich Filter für die Anlagen fehlen und es so zu einer verstärkten Luftverschmutzung kommt, nehmen Lungenerkrankungen und Krebsdiagnosen in den betroffenen Gebieten immer mehr zu.

Die Gesundheit der Menschen in Rojava ist nicht nur gefährdet, sondern flächendeckend bereits sehr prekär – sei es durch die bereits erwähnten Krankheiten, aber auch durch die triviale Tatsache, dass sauberes Wasser zum Überleben fehlt. Dieser Aspekt schließt direkt an die Verletzung der Menschenrechte an: Resolution 64/292 der UN garantiert zwar allen Menschen den Zugang zu sauberem Wasser, aber, wie in vielen anderen Regionen der Welt auch, sieht die Realität anders aus. Die zunehmende Veränderung der Natur, die ausfallenden Ernten, der wachsende Hunger und Durst sind Auslöser für Fluchtbewegungen von Tausenden Menschen im Inland, aber auch nach Europa. Viele von ihnen sind durch die seit Jahren anhaltenden und in den letzten Wochen und Monaten weiter zunehmenden Angriffe der Türkei durch Kampfdrohnen und Artillerie bereits traumatisiert und bräuchten psychosoziale Betreuung. Auch eine Aufarbeitung der Gewalt braucht aber Raum und Ressourcen, die den Menschen in Rojava aktiv verwehrt werden.

Lukas Spelkus studiert Social Sciences in Giessen, engagiert sich in der internationalen Solidaritätsbewegung und macht zurzeit ein Praktikum bei medico.


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