Brasilien: Jorge Rastas Prävention - Das Kinderkulturhaus in Itacaré

20.08.2004   Lesezeit: 3 min

Auch wenn die persönliche Geschichte von Antonio Jorge, genannt Jorge Rasta, geprägt ist von Drill und Disziplin, die Kinder, mit denen er im brasilianischen Itacaré Theater spielt, kommen ganz und gar freiwillig zu den Proben. Das Stück, das sie mit Puppen aufführen, erzählt von einer alten Kulturtechnik in der Region – dem »Puxa rede«, dem gemeinsamen Netzfischen. Nicht um leere Traditionspflege geht es dabei, sondern um Werte wie Solidarität, Verantwortung und gegenseitige Hilfe. Erarbeitet haben sich die Kinder das Stück gemeinsam mit Jorge Rasta in der Kulturinitiative »Casa dos Bonecos«, eine Art Kulturhaus für die Kinder aus den Armenvierteln Itacarés in der Provinz Bahia. Jorge versteht seine Kulturarbeit mit den Kindern als »Sicherheitspolitik«. Wenn er das sagt, weiß er, wovon er redet. Denn er war selbst jahrelang beim Militär, wurde in einer Spezialeinheit im Amazonas-Gebiet gegen Drogenkartelle eingesetzt und für den städtischen Häuserkampf ausgebildet. Mit dieser Profession hätte er in der Sicherheitsindustrie, einer der lukrativsten Wachstumsbranchen Brasiliens, eine große Karriere und viel Geld machen können.

Er hat sich anders entschieden: »Ich hasse Handys und Kokain: Erst schenken sie den Leuten das fast, dann werden sie süchtig, dann können sie die Rechnung nicht zahlen. Sie werden kriminell, und die Sicherheitsindustrie verdient noch mehr. Ich hatte keine Lust mehr, kleine Gangster zu jagen und Riesenvillen zu bewachen, und ich hatte keine Lust mehr auf die kurzen Haare.« Seit 1987 hat kein Friseur mehr sein Haar angefasst. Rasta setzt seitdem mit Namen und Frisur ein symbolisches Zeichen gegen die stiernackigen Bullen, die bei der Sicherheitsindustrie arbeiten. Und er gründete die Assoziation des »Casa dos Bonecos« von Itacaré gegen eine Marginalisierungspolitik, die in Armen nichts weiter als ein »Sicherheitsproblem« sieht. Das Kinderkulturhaus befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den schnell wachsenden ärmeren Stadtvierteln. Hier können die Kinder spielen, auf Bäume steigen, Origami basteln, Geschichten für das Marionettentheater erfinden und, für viele wichtig: Mittagessen, wenn etwas da ist. In nachbarlicher Selbstunterstützung bringt der Bäcker altes, nicht mehr verkaufbares Brot, andere ein Kilo Zucker oder überschüssige Früchte. Immer häufiger erhält das Theater Einladungen, um in den nahegelegenen Touristenhotels aufzutreten. Das erwirtschaftete Geld wird für Miete, Wasser und Strom ausgegeben. Der größte Moment aber für alle Kinder kommt, wenn sie ihre Gage von drei oder vier Reais (entspricht ca. 1€) entgegennehmen. Für viele bedeutet das die Brotration für eine ganze Familie für vier Tage. »Es ist schon komisch wenn wir vor jenen auftreten, die vor unseren ‚süßen‘ Kindern weglaufen würden, wenn sie ihnen etwa in Rio oder Sao Paolo begegneten«, meint Jorge Rasta. Vielleicht werden viele von ihnen einmal wirklich Künstler, vielleicht aber wird auch einigen nichts anderes übrigbleiben, als mit anderen Produktionsmitteln ihr Geld zu verdienen, egal ob bei einem Sicherheitsdienst oder in einer Straßengang.

Christoph Goldmann

Die »Sicherheitspolitik« von Jorge Rasta und weitere Projekte in Brasilien können Sie fördern unter dem Spendenstichwort »Brasilien«.


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