Israel/Palästina

Der Brief, der uns empört

06.11.2023   Lesezeit: 3 min

Dutzende israelische Ärzt:innen unterzeichneten einen Brief, der das Militär auffordert, "Hornissennester und die sie schützenden Krankenhäuser" im Gazastreifen zu zerstören. medico-Partner antworten.

Die Verfasser:innen des Briefes betrachten die Zivilist:innen in diesen Krankenhäusern als legitime Ziele – als ob diese sich entscheiden könnten, das Krankenhaus zu verlassen; als ob es einen sicheren Weg aus Gaza gäbe und als ob andere Krankenhäuser sie aufnehmen könnten. In Reaktion auf diesen Brief haben wir nachstehende Antwort verfasst, die von Ärzt:innen und Gesundheitsarbeiter:innen aus Krankenhäusern und Basisgesundheitseinrichtungen unterzeichnet wurde:

Von Physicians for Human Rights – Israel 

Als Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräfte, die in Krankenhäusern und der Community arbeiten, sind wir zurzeit täglich mit den Belastungen durch den Krieg in Gaza konfrontiert. Dazu gehören auch die körperlichen und psychischen Verletzungen, vermisste Kolleg:innen und andere, die selbst schwere Traumata erlitten haben, deren Familienangehörige und Freund:innen ermordet und entführt wurden. Was uns selbst in diesen schwierigen und schrecklichen Tagen weiter machen lässt, ist die oberste Mission, Leben zu retten und zu versuchen, Zivilist:innen sowie medizinische Einrichtungen aus dem Konflikt herauszuhalten. Daher halten wir es für notwendig, den Brief einiger Ärzt:innen zu thematisieren, in dem die Zerstörung des Shifa-Krankenhauses gefordert wird.

Kein gewissenshafter Menschen kann angesichts des Massakers an Zivilist:innen, an Männern, Frauen und Kindern vom 7. Oktober 2023 durch die Hamas-Kämpfer gleichgültig bleiben. Sein Ausmaß ist noch immer nicht vollständig abschätzbar. Dennoch darf dieser tiefe Schock nicht zu einem Freifahrtschein zur Tötung von Zivilist:innen im Gazastreifen werden, wo es genauso Tote und Verwundete gibt. Schon gar nicht, wenn ein solcher Freifahrtschein von Ärzt:innen ausgestellt wird. Glücklicherweise ist das nur eine Minderheit der Gesundheitscommunity. Die überwiegende Mehrheit rettet Menschenleben, wo immer es geht.

Die Ärzt:innen, die den Brief unterzeichnet haben, wenden sich mit ihrer Vernichtungsrhetorik nicht nur gegen Hamas-Kämpfer, sondern auch gegen Männer, Frauen und Kinder, die sich in den Gebäuden aufhalten, in denen sich die Hamas angeblich versteckt, selbst wenn es sich hierbei um Krankenhäuser handelt. Ja, die Hamas trägt eine große Verantwortung dafür, dass sie sich hinter Zivilist:innen versteckt und in einigen Fällen sogar von diesen Orten aus kämpft. Doch die Ärzt:innen, die den Brief unterzeichnet haben, gehen nicht einmal auf die Mindestanforderung des internationalen Rechts ein, nicht nur Warnungen auszusprechen, sondern alle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verringern, wenn auf Bedrohungen aus Krankenhäusern reagiert wird. Sie fordern deutlich und unverhohlen nichts weniger als die Zerstörung des Krankenhauses.

Was hat ein Neugeborenes im Brutkasten oder jemand, dessen Beine nach der Bombardierung seiner Wohnung amputiert wurden, getan, dass sie es verdient hätten, getötet zu werden? Die Unterzeichnenden behaupten, Patent:innen könnten an einen anderen Ort im Süden gehen. Doch im Gazastreifen – ob im Norden oder im Süden – gibt es keine Krankenhäuser, die sie aufnehmen können, keine Krankenwagen, die für den Transport komplexer Verletzungen ausgerüstet sind, keine Inkubatoren für Frühgeborene und keine Ärzt:innen, die sie begleiten. Ohne all dies ist der Aufruf zur Evakuierung von Patient:innen kein humanitärer Appell. Es ist ein Todesurteil für die Patient:innen.

Die Verfasser:innen des Schreibens geben nicht nur der Hamas die Schuld, sondern allen Bewohner:innen des Gazastreifens, "die es für richtig hielten, Krankenhäuser in Terrornester zu verwandeln" und damit, so behaupten sie, "ihre Vernichtung selbst verschuldet haben". Dies ist nicht die Logik von Ärzt:innen, es ist nicht einmal die Logik von Menschen. Es ist die Logik der Vernichtung.

Es ist auf vielfältige Weise möglich und erforderlich, die Bürger:innen Israels zu schützen. Aber die Vernichtung der Zivilbevölkerung in Gaza gehört nicht dazu. Es sind schreckliche Wochen mit einem hohen Preis an Menschenleben. Menschliche Werte wurden angesichts einer so blutigen Realität erschüttert. Die medizinische Gemeinschaft wird diesen dunklen Bruch in der Geschichte überstehen, ohne zuzulassen, dass ihre Grundwerte zerstört werden.

Der Beitrag findet sich auf Englisch und Hebräisch auf der Seite von PHR-I.


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