Diktatur der Parolen

18.08.2006   Lesezeit: 7 min

Was nach dem "Krieg gegen den Terror" kommt. Der Rundschreiben-Kommentar von Thomas Gebauer

Es gibt Jahrestage, die erfordern ein Innehalten. Der 11. September gehört fraglos dazu. In den fünf Jahren seit den Terroranschlägen auf New York und Washington hat sich die Welt verändert. Schon der Blick in die morgendlichen Zeitungen lässt nichts Gutes erahnen. Allenthalben Meldungen von eskalierender Gewalt und Unsicherheit ausgerechnet dort, wo dem Terrorismus begegnet werden sollte; Nachrichten von einer zum Alltag gewordenen Terrorisierung von Zivilisten, wo einem brutalen Diktatur das Handwerk gelegt wurde; Berichte über zunehmende Polarisierung, wo sozialer Ausgleich und gegenseitige Anerkennung notwendig wären.

Afghanistan, Irak, der Nahe Osten - auf breiter Front entpuppt sich der "Krieg gegen den Terror" als Debakel. Nirgendwo sind seine angekündigten Ziele erreicht worden. Auch zuletzt nicht, als die israelische Armee den Libanon bombardierte und dabei den Gegner, die Hisbollah, sogar noch stärkte. Fünf Jahre einer unter dem Primat militärischer Stärke stehenden Politik haben die Welt nicht sicherer gemacht.

Unmittelbar nach dem 11.9. appellierten europäische NGOs in einem von medico initiierten Offenen Brief an Parlamentarier der NATO-Staaten, zunächst den Ursachen der Gewalt nachzuspüren, statt durch unbedachte militärische Reaktionen nur weiteren Hass und Ignoranz zu schüren. "Kriege sind kein Mittel, das man rasch zur Hand nimmt, um es nach Gebrauch wieder zurückzulegen; Kriege transformieren Gesellschaften tiefgreifend und dauerhaft." In bemerkenswerter Allianz verwiesen Friedensforscher, Geheimdienstler und Hilfsorganisationen darauf, dass dem Terror nicht mit Krieg und Ausnahmezustand, sondern nur mit Recht und Gerechtigkeit zu begegnen sei. Frieden und Sicherheit bedürfen politischer, nicht militärischer Eingriffe; Frieden muss von unten wachsen.

Die Beharrlichkeit, mit der allen Warnungen zum Trotz der Krieg geführt worden ist, zeugt von Inkompetenz oder Kalkül. Beides ist gleichermaßen beunruhigend - und in der Konsequenz auch für demokratisch verfasste Gesellschaften verheerend. Denn ein permanenter Kriegszustand, in dem selbst noch Phasen der Ruhe als Ausdruck terroristischer Heimtücke gedeutet werden können, fördert ein Klima allgegenwärtiger Angst. Von jedem Koffer und jedem irgendwie "islamisch" aussehenden jungen Mann könnte schließlich Gefahr ausgehen. Das Gefühl ständiger Bedrohung, von so manchem Politiker noch kräftig geschürt, schweißt Gesellschaften im Inneren zusammen und schottet sie nach außen ab. Auf bemerkenswerte Weise sind die "Solidargemeinschaften" des reichen Nordens nicht mehr an sozialer Gerechtigkeit, sondern an Sicherheit orientiert. Wer unter diesen Umständen gar noch an eine globale Friedensdividende erinnert, wie sie mit dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation erhofft wurde, erntet Unverständnis.

Innenpolitisch hat der "Krieg gegen den Terror" seine Ziele erreicht, schreibt der britische Politologe Richard Jackson. In den USA, aber auch in weiten Teilen Europas ist eine Atmosphäre entstanden, in der - wie in der Periode des kalten Krieges in den 50er Jahren - der Raum für offene Debatten, für die kritische Reflexion des eigenen Handels und die Suche nach alternativen Konzepten immer enger wird. Im Windschatten des "Krieges gegen den Terror" ist das unter Druck geraten, was eigentlich verteidigt werden sollte: die Demokratie.

Angesichts des Chaos, in das die US-Außenpolitik den Nahen und Mittleren Osten gestürzt hat, hat die Parole des "Krieges gegen den Terror" unterdessen an Überzeugungskraft verloren. Eine neue wurde gefunden, die George W. Bush kürzlich verkündigte: "Unsere Nation befindet sich im Kampf gegen islamische Faschisten." Auch der Begriff des "Islamo-Faschismus" appelliert an Gefühle. "Er soll uns dazu bringen, weniger zu denken und mehr Angst zu haben", kommentiert die renommierte New Yorker Kolumnistin Katha Pollitt: "Er reduziert die verwirrend komplexen, politischen Realitäten in den muslimischen Ländern auf ein simples Schema: Wir gegen sie."

Aber wer könnten die "Islamo-Faschisten" sein? Die fundamentalistisch-sunnitischen Taliban, die mit der islamischen Atommacht Pakistan in Verbindung stehen und nicht nur in den USA den Feind sehen, sondern schon immer auch in den schiitischen Mullahs des Iran, die wiederum Erzfeind der USA sind? Oder sind es die Schiiten im Irak, die von saddamistischen Gruppen terrorisiert werden, weil sie bereit sind, in einem denkwürdigen Arrangement mit den Besatzern aus den USA den Irak aus dem Chaos herauszuführen. Oder ist es das mit den USA verbündete repressive Regime in Saudi-Arabien, das mit aggressiven Mitteln den Export einer allerdings radikal-orthodoxen Ausprägung des Islam, des Wahhabismus, in alle Welt betreibt? Oder sind die "Faschisten" am Ende die religiösen Fanatiker, die das Regime in Saudi-Arabien gerade wegen seiner Bindung an die USA mit terroristischen Mitteln bekämpfen?

Die Dinge liegen um einiges komplizierter, als es sich der Präsident im Weißen Haus vorstellen vermag. Den Begriff des Faschismus aber hat er absichtsvoll gewählt. Er soll auf das nächste Kapitel im "Krieg gegen das Böse" einstimmen und deutlich machen, dass alles Bemühen um politische Lösungen hilfloses Appeasement ist, das - wie damals im Kampf gegen das Nazi-Regime - notwendig scheitern muss, so Katha Politt.

Mehr denn je stehen im Nahen und Mittleren Osten die Zeichen auf Krieg. Unter allen Umständen will die Bush Administration an der Idee eines von den USA kontrollierten "Greater Middle East" festhalten. Militärische Auseinandersetzungen, die Leid und Zerstörungen hinterlassen, wie in diesem Sommer im Libanon, seien nur die "Geburtswehen" für einen neuen Mittleren Osten, erklärte Condolezza Rice. Und wie das "Baby" einmal aussehen könnte, das kann schon heute studiert werden: nicht zuletzt im Irak.

Denn im Schatten des Krieges ist das Land am Tigris zu einem der offensten Länder der Welt geworden, zu einem Paradies für ausländische Investoren und Geschäftsleute. Gewinne können jederzeit und ungeschmälert ausgeführt werden, von souveräner irakischer Kontrolle keine Spur. Und damit dem Marktfundamentalismus auch das passende Gesellschaftssystem zur Seite steht, wurde mit der Wiederaufbauhilfe - nicht selten in den technischen Ausführungsbestimmungen versteckt - die notwendige "Software" gleich mitgeliefert. US-Firmen, wie das Research Triangle Institute, wie Abt Associates, Creative Associates International, Development Alternatives Inc. machten sich an die Reform der Gemeindeverwaltung, lieferten Blaupausen für die Privatisierung des Gesundheitswesens, sorgten für neue schulische Kurrikula und Lehrbücher und dafür, dass auch in den ländlichen Gebiete die Marktökonomie Fuß fassen kann. Einige hundert Milliarden Dollar sind bereits investiert worden, die vor allem der US-Wirtschaft selbst zu gute gekommen sind.

Der fortgesetzte "Krieg gegen das Böse" ist für George W. Bush von gleich doppeltem Nutzen. Er hilft bei der Überwindung politischer Legitimationsdefizite und sichert obendrein der eigenen Klientel einträgliche Geschäfte. Ob in Afghanistan, dem Irak oder im Hurrikan geschädigten Louisiana - es sind mit Halliburton oder der Bechtel Group immer dieselben Firmen, die meist ohne Ausschreibung und bei garantierten Gewinnen einträgliche Aufträge zugeschanzt bekommen.

Allein der rasche Profit zählt, nicht aber die Wiedererlangung von Souveränität und soziale Entwicklung. Solches gelingt bekanntlich nur mit den Leuten, nicht aber gegen sie. Die sozialen und politischen Rechte der Menschen in der Region sind dem Konzept des "Greater Middle East" aber nur von zweitrangiger Bedeutung. Wie groß die Heuchelei des Westens ist, das war in diesem Sommer im Libanon zu lernen. Weil der Krieg offenbar nicht enden darf, wurde selbst noch der schmale Hoffnungsfunke, der mit dem demokratischen Aufbruch des Libanon verbunden war, einem neuerlichen unsinnigen Waffengang geopfert, der nur eines erreicht hat: eine weitere Stärkung der antidemokratischen Tendenzen in der Region.

Und schon macht das Wort von den radikalisierten Massen wieder die Runde - und von der Notwendigkeit einer "demographischen Abrüstung". Ganz so, als läge das Problem der Länder im Mittleren Osten nicht im Mangel an Souveränität, sondern daran, dass über Impfprogramme und Nahrungsmittelhilfen ein "genozidschwangerer Überschuss an jungen Männern" (Sloterdijk) entstanden sei, die in ihrer Perspektivlosigkeit gar nicht anders könnten, als gewalttätig die eigene Existenz zu sichern.

Wie der Weg zum Frieden tatsächlich zu beschreiten wäre, das wusste schon Immanuel Kant 1795, als er mit den "Staatsoberhäuptern, die des Krieges nie satt werden können" ins Gericht ging. Seine Präliminar- und Definitivartikel "Zum ewigen Frieden" haben nichts an Aktualität verloren: "Kein Friedensschluss darf Stoff zu einem künftigen Krieg bergen". Nicht militärische Auseinandersetzungen "stiften" Frieden, sondern nur das praktische Bemühen um gesellschaftliche Übereinkünfte, wie es in republikanischen Verfassungen, dem Völkerrecht und schließlich einem Weltbürgerrecht zum Ausdruck kommt, das dafür Sorge trägt, "dass die Rechtsverletzung an einem Platze der Erde von allen gefühlt wird."


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