Editorial

18.08.2006   Lesezeit: 2 min

Liebe Leserinnen und Leser,

als wir dieses Heft produzierten, standen wir unter dem Eindruck des Libanon-Krieges. Bereits während der israelischen Luftangriffe waren unsere Kollegen Martin Glasenapp und Sabine Eckart in den Libanon gefahren, um mit unseren libanesischen und palästinensisch-libanesischen Partnern darüber zu beraten, wie sie die Kriegs-Flüchtlinge unterstützen könnten. In dieser dramatischen Situation spielten sich bemerkenswerte Szenen der Mitmenschlichkeit ab. Die palästinensischen Flüchtlingslager, die seit 1948 wie ein eigener unzugänglicher Planet im Libanon existieren, nahmen libanesische Flüchtlinge auf. Mobile palästinensische Ärzteteams machten sich auf den Weg, den Fliehenden medizinische Unterstützung zu leisten. Dafür riefen wir zu Spenden auf und konnten so den Kollegen zur Seite stehen. (Reisereportage von Martin Glasenapp)

Jedoch gibt es für einen politischen Konflikt keine humanitären Lösungen. Unser bescheidener Beitrag hierzu ist der Versuch, gegen die vermeintlich unabänderliche Polarisierung, das allgegenwärtige Herbeireden eines "Kulturkampfes" aufzutreten. Der in diesem Heft dokumentierte jüdisch-muslimische Aufruf, den wir unterstützten und dem wir Öffentlichkeit verschafften, ist ein Beispiel dafür. Auch im Gespräch mit Rolf Verleger und im Text von Abbas Beydoun wird offenkundig, dass es heute keinen besseren Platz gibt als den zwischen den Stühlen.

Den Auszug aus Kants "Zum ewigem Frieden" auf der Vorder- und Rückseite des Heftes haben wir in einer Zeit gewählt, die von diesem Zustand weit entfernt ist. Kants Vorstellung von der "continuirlichen Annäherung" an diesen bestand in der Idee einer allgemeinen Hospitalität, einer allgemeinen Gastfreundschaft, und zwar als ein Gegenstand von Recht. So sind in dieser Frage der Nahe Osten und seine Konflikte eher ein Abbild der weltweit praktizierten Verweigerung von Hospitalität. Die Feindbilder sind immanenter Bestandteil einer solchen Nicht-Hospitalität. Frei miteinander in Kontakt zu treten, das war für Kant die Voraussetzung dafür, den Weltfrieden vom Individuum aus zu denken. Nicht eine Weltregierung, sondern eine Weltöffentlichkeit, die handelt und verändert, war seine zentrale Idee, wie denn die Annäherung zum "ewigen Frieden" aussehen könnte. Dieser Idee ist die Arbeit von medico und unserer Partner verpflichtet .

Mit Medikamenten fing alles an. Die Geschichte von Frankfurter Medizin-Studenten, die Arzneimittel sammelten und nach Afrika brachten, gehört zum Gründungsmythos von medico international. Nach einer kritischen und auch selbstkritischen Beschäftigung mit der Rolle einer solchen Hilfe kehren wir nun zu diesen Wurzeln zurück. Verbunden in einem globalen Netzwerk von Gesundheitsorganisationen und Verbraucherschutzverbänden bemühen wir uns seit geraumer Zeit um eine internationale Vereinbarung, die die Interessen der Ärmsten und Entrechteten bei Zugang, Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln berücksichtigt. Auf den Mittelseiten dieses Rundschreibens haben wir unsere Gedanken in einem "Plädoyer für eine radikale Wende in der globalen Arzneimittelpolitik" zusammengefasst. Dem werden wir Aktionen, Lobby-Arbeit und Projekte folgen lassen. Dafür brauchen wir in jeder Hinsicht Ihre Unterstützung.

Herzlichst Ihre Katja Maurer


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