Editorial

19.08.2005   Lesezeit: 3 min

von Katja Maurer

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie dieses Heft in den Händen halten, erscheint die Katastrophe von New Orleans schon im weichen Licht der Benefiz-Konzerte, angelaufener Hilfsmaßnahmen und der Nachricht, dass möglicherweise nicht ganz so viele Menschen zu Tode kamen, wie ursprünglich befürchtet. Aber kann das auch über die Tatsache hinwegtrösten, dass kein Ereignis zuvor so drastisch deutlich gemacht hat, dass die "Dritte" Welt längst in der "Ersten" angekommen ist? Die Vulnerabilität der Ausgegrenzten, Armen und Schwachen wird in der Katastrophe erst recht sichtbar. Das ist eine Feststellung aus dem entwicklungspolitischen Handbuch. Im Untergang von New Orleans jedoch offenbart sich der globale Süden in einer Metropole des Nordens.

In seinem Buch die "Geburt der Dritten Welt" beschreibt der US-amerikanische Autor Mike Davis unter anderem, wie die malthusianische Wirtschaftsdoktrin der viktorianischen Epoche, ein historischer Vorläufer des Neoliberalismus, selbst während der Hungersnöte in Indien – auch eine Folge der Einbindung in den kapitalistischen Wirtschaftskreislauf - auf der strikten Einhaltung des Grundsatzes vom "freien Markt" bestand. Im Ergebnis gab es 1877 den größten Getreideexport aus Indien. Im selben Jahr fielen der Hungersnot die meisten Menschen zum Opfer. Alle Proteste gegen eine solche Politik wurden mit dem schlichten Hinweis abgetan, die öffentlichen Finanzen seien wichtiger als die öffentliche Gesundheit. Die Verantwortung für die Bürger wurde reduziert auf die Verantwortung für die Finanzen. Mit demselben Dogma werden heute die öffentlichen Kassen weltweit geplündert: die gesundheitsschädlichen Folgen werden mit einem Schulterzucken der Unvermeidlichkeit einfach hingenommen. So auch in New Orleans. Gerade deshalb, so Mike Davis mit Blick auf die Folgen des Hurrikans, sei dies die "am wenigsten natürliche Naturkatastrophe, die es je gab". Dagegen setzt der erste alternative Weltgesundheitsbericht, den wir Ihnen in diesem Heft vorstellen, auf Gesundheit als öffentliches Gut und die Rückgewinnung politischer Handlungsfähigkeit. Im Sinne der Menschen und nicht der Ökonomie. Er beschreibt nicht nur die Krise der globalen Gesundheit, sondern entwickelt einen alternativen Handlungskatalog. Im Rahmen unserer Förderung eines globalen Gesundheitsnetzes hat medico auch die Produktionen dieses "Global Health Watches" unterstützt und ihn hier öffentlich gemacht.

Die Kritik an den bestehenden Spaltungen und die Suche nach Alternativen, die deren Überwindung zum Ziel haben, sind zwei wesentliche Komponenten der medico-Arbeit. Fertige Lösungen haben wir allerdings nicht in der Tasche. Soziales Handeln ist nur bedingt vorhersagbar, vor allen Dingen dann, wenn es unter den schwierigen Bedingungen eines vom Bürgerkrieg zerstörten und von ökonomischer Marginalisierung gekennzeichneten Landes stattfindet. So kooperieren wir seit der Tsunami-Katastrophe mit unserem srilankischen Partner SEED beim Wiederaufbau eines Dorfes an der Ostküste der Insel. Die Schwierigkeiten in der Realisierung dieses Projektes sind öffentlich. Jeden Monat berichtet die Frankfurter Rundschau darüber. Auch in diesem Heft schildern wir die dramatischen Bemühungen, ein integrales Wiederansiedlungsprojekt in Manmunai zu realisieren: Ein Scheitern ist hier nicht ausgeschlossen. Aus dem fernen Nicaragua verfolgt unser Kollege Walter Schütz die Entwicklung in Sri Lanka und fühlt sich an die eigenen Erfahrungen erinnert. Er schildert die Mühen der Ebenen bei einem neuen Projekt in Nicaragua.

Viel Inhalt für ein kleines Heft. Nichtsdestotrotz viel Vergnügen beim Lesen.

Herzlichst Ihre Katja Maurer


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