von Katja Maurer
Liebe Leserinnen und Leser,
im psychiatrischen Krankenhaus von Managua, so schreibt uns Leticia Cufré in ihrem Brief (s. Auf Spurensuche - Nicaragua wieder gesehen), seien sie nicht zur Methode der Elektroschocks zurückgekehrt. Wer die Geschichte kennt, die sich hinter diesem Satz verbirgt, der möchte ein Ausrufezeichen setzen. In einer Reisereportage von 1990, kurz vor der Abwahl der Sandinisten, schildert sie der Berliner Psychoanalytiker Horst Petri: »Vor dem 'triunfo' 1979 bestand die Behandlung der Patienten in täglichen Elektroschocks, körperlicher Prügel, Einsperren und Anketten. Heute bestimmen das von England übernommene Konzept der therapeutischen Gemeinschaft und die von Basaglia in Italien entwickelte gemeindenahe Psychiatrie mit einer weitgehenden Öffnung der Anstalt die psychiatrische Realität des Landes.« Wenige Wochen nach diesen Zeilen wurden die Sandinisten abgewählt. Der großsprecherische Wahlslogan »todo será mejor« (alles wird besser) war nicht einmal eine Nebelkerze. Die Vertröstung auf eine nicht näher definierte Zukunft tauschte die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler lieber gegen »ein bißchen Frieden«.
Heute gibt es die sandinistische Option nicht mehr. Die Analphabetenrate hat wieder alte Höhen erklommen. Und das Projekt »Gesundheit für alle«, das medico in den 80 er Jahren gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium zu realisieren versuchte, ist durch die Privatisierung des Gesundheitswesens ersetzt worden. Bleibt allein, dass im psychiatrischen Krankenhaus nicht mehr misshandelt wird, und das Elend höflich geworden ist, wie Leticia schreibt?
Als Nicaragua nur noch unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir für Nordamerika und eine große vorübergehende Freihandelszone mit Hyperausbeutung zu sein schien, ereignete sich die verheerende Hurrikan-Katastrophe Mitch. Und es zeigte sich, dass sich weitaus mehr in der nicaraguanischen Gesellschaft verändert hat, als es äußere Parameter vermuten lassen. Eine lebendige NGO-Szene, von Menschenrechtsvereinigungen bis zu Frauenverbänden, übte eine zivilgesellschaftliche Kontrolle über die Mittelvergabe der ausländischen Hilfe aus. Sie konnte die Bereicherung des damaligen Präsidenten Alemán nicht verhindern. Sie brachte aber seine Korrumpierbarkeit ans Tageslicht. Er landete dafür im Gefängnis.
medico traf auf widerständige Bauern, die sich keineswegs mit Hilfsbrosamen abfinden wollten, und auf Menschen wie die Sozialarbeiterin Josefina Ulloa. Gemeinsam realisieren wir das Projekt El Tanque, das in seiner Beispielhaftigkeit nach wie vor auf dem »Traum von Befreiung« beharrt. Josefina wurde in einem der Dörfer, die der Hurrikan unter einer Schlammlawine begrub, geboren. Als junges Mädchen war sie eine sandinistische Guerillera und bei den Bauern ihrer Region berühmt für tollkühne Aktionen. Unter den Sandinisten holte sie ihre Schulausbildung nach und leitet heute eine Frauenorganisation in León, die unter anderem die entrechteten Frauen der Maquillas vertritt. Ohne sie und ihre Organisation wäre das Projekt einer solidarischen Hilfe für Veränderung nicht denkbar. Und vor allen Dingen nicht ohne Ihre Hilfe. Die Nicaragua-Spender haben mehrere Millionen Euro für eine nachhaltige Hilfe gegeben. Hier schließt sich der Kreis einer gemeinsamen Geschichte, die mit dem sandinistischen Umsturz vor 25 Jahren begann.
Während der Drucklegung dieses Rundschreibens erfahren wir, dass die kurdische Bürgerrechtlerin Leyla Zana und drei weitere ehemaligen Abgeordnete nach 10 Jahren Haft in Ankara freikommen. Ein schöner Tag für alle Kurdinnen und Kurden. Wir freuen uns von Herzen und sagen: Rojbas Leyla!
Herzlichst Ihre Katja Maurer