Das Rundschreiben-Editorial. Von Katja Maurer.
medico Rundschreiben 1/2005 Engagierte Objektivierung Das Rundschreiben-Editorial. Von Katja Maurer.
Es handelt sich, so der französische Soziologe Pierre Bourdieu im Jahr 2000, um "mein ältestes und aktuellstes Werk". Gemeint hat er die fotografischen Dokumentationen, die während seiner Feldforschungsarbeiten in Algerien zwischen 1956 und 1961 entstanden sind. Die Fotografien sind bislang unveröffentlicht. Nun werden sie zum ersten Mal in einer Ausstellung in München zu sehen sein. medico hat zum Zustandekommen der Ausstellung beigetragen und deshalb können auch wir in unserem Rundschreiben einen kleinen Teil dieser unveröffentlichten Dokumente zeigen. Gerade in diesem Heft, das sich mit den Bedingungen und der Praxis von Hilfe heute befasst, schien uns das Thema passend. Denn Bourdieus Fotografien handeln von Wahrnehmung und Verständnis. Er habe keinen Augenblick lang vergessen, dass der Gegenstand seiner Fotografien Menschen gewesen seien. Ihnen habe er sagen wollen: "Ich interessiere mich für euch, ich höre euch, ich stehe auf eurer Seite. Ich werde bezeugen, was ihr hier erlebt." Dieser Haltung einer "engagierten Objektivierung" ist Bourdieu immer treu geblieben. Und sie ist ein Bindeglied zur Aneignung der Wirklichkeit, wie sie auch in der medico-Arbeit angelegt ist. Die Fotografien visualisieren die tiefgreifenden sozialen Erschütterungen in Algerien während des äußerst brutal geführten Kolonialkriegs. Darin liegt ein Bezug zur Gegenwart, die durch die globalen Folgen neoliberaler Politik fast ebenso erschüttert wird .
Letzteres ist der Kontext für das medico-Gespräch. Es beschäftigt sich mit den Folgen des Tsunami und mit den damit einhergehenden Veränderungen der Hilfe. Bereits vor zwei Jahren hatte sich medico auf der Konferenz "Macht und Ohnmacht der Hilfe" mit der immer weiteren Kommerzialisierung und Instrumentalisierung der Hilfe beschäftigt. Daran knüpft dieses Gespräch an.
Eine Hilfe verteidigen, die auf soziale Veränderungen setzt, die Arbeit mit Partnern nicht nur als eine Technik zur Mittelabwicklung begreift und die dem Gedanken einer langfristigen Unterstützung verpflichtet ist - das will das Bündnis "Gemeinsam für Menschen in Not – Entwicklung hilft". Es hat sich Anfang Januar gegründet. Ihm gehören neben medico international Brot für die Welt, Misereor, terre des hommes und die Deutsche Welthungerhilfe an. Informationen zu dem Bündnis finden Sie auf der gemeinsamen Website: www.entwicklung-hilft.de
Schlussendlich: Wenn Sie dieses Heft durchblättern, werden Sie die sonst üblichen Spendenstichworte vermissen. Wir haben uns die Worte von Frau Gaus zu Herzen genommen, die im nachfolgenden Gespräch zu einer Kampagne zugunsten nicht-zweckgebundener Spenden auffordert. Selbstverständlich nehmen wir jede Spende mit Zweckbindung gern entgegen. Die Stichworte dieses Heftes lauten: Seebeben, Nicaragua, Westsahara und Sierra Leone.
Herzlichst Ihre Katja Maurer