Interview

Endstation Mauretanien

18.02.2014   Lesezeit: 9 min

Amadou M’Bow von der Mauretanischen Vereinigung für Menschenrechte spricht über Rassismus und Migration in Mauretanien, die Auswirkungen europäischer Politik und Herausforderungen für afrikanische AktivistInnen.

medico: In Folge der repressiven EU-Grenzpolitiken ist Mauretanien heute von einem so genannten Transitland zu einem Aufnahmeland für MigrantInnen geworden. Welche Folgen hat das europäische Grenzregime für die Lebenssituation von MigrantInnen in Mauretanien?

Amadou M’Bow: Mauretanien ist historisch ein Einwanderungsland, dann wurde es zum Transitland für MigrantInnen auf dem Weg nach Europa, und nun ist es ein blockiertes Land. Und warum? Weil die EU Mauretanien dazu gebracht hat, eine Abschottungspolitik, eine Politik der Grenzschließung gegenüber dem afrikanischen Kontinent zu betreiben. Unterstützt von der EU hat Mauretanien ein Grenzkontrollsystem sowohl auf dem Meer als auch auf dem Land in Stellung gebracht.

Wie reagiert die mauretanische Gesellschaft auf die Bewegung der MigrantInnen?

Leider beobachten wir tatsächlich auch auf dieser Ebene eine Veränderung. Früher ein gastfreundliches Einwanderungsland, entwickelt sich innerhalb der mauretanischen Gesellschaft gerade eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit, um nicht Rassismus zu sagen. Das drückt sich auch auf staatlicher Ebene aus. Mauretanien hat gerade sein Arbeitsrecht überarbeitet. AusländerInnen brauchen nun eine vom Ministerium ausgestellte Arbeitserlaubnis. Daraufhin haben viele Unternehmen die bei ihnen angestellten AusländerInnen entlassen. Darüber hinaus wird derzeit ein altes Gesetz wiederbelebt und z.B. in der Fischerei angewandt, das vorsieht, dass die Boote zu einem bestimmten Prozentsatz mit MauretanierInnen besetzt sein müssen. Auch was den Beruf des Taxifahrers betrifft wurde ein altes Gesetz zur Anwendung gebracht, welches es AusländerInnen nahezu verunmöglicht diesen Beruf auszuüben. All dies passiert unter dem Motto der ‚Mauretanisierung’ des Arbeitsmarktes. AusländerInnen können eigentlich nur noch auf dem Bau oder als fliegende Händler arbeiten.

Wir beobachten dabei, dass der mauretanische Staat so lange lasch mit den Gesetzen umgegangen ist, so lange es für ihn gut war. Heute steht er unter einem doppelten Druck – einerseits durch die EU und andererseits durch die mauretanische Gesellschaft, wo u.a. bestimmte Gewerkschaftssektionen auf die ‚Mauretanisierung’ der Posten drängen.

Haben die neuen ausländerfeindlichen Tendenzen Auswirkungen auf die historisch nicht spannungsfreie Koexistenz zwischen den schwarzen und arabisch-berberischen Communities in Mauretanien?

Zunächst ist die Thematik des Rassismus in Mauretanien kaum mit der Thematik der Migration in Verbindung zu bringen. Sie begleitet uns historisch seit der Unabhängigkeit. Bis heute findet sie ihren eklatantesten Ausdruck in der Sklaverei. Darüber hinaus muss gesagt werden, dass die mauretanischen Sicherheitskräfte bei Razzien die Situation ausnutzen, um auch schwarze MauretanierInnen, zu kontrollieren. Das betrifft vor allem junge MauretanierInnen, die in einer bestimmten Weise gekleidet sind. In diesem Rahmen kam es sogar zu Verhaftungen bis hin zu Abschiebungen von schwarzen MauretanierInnen, die teilweise im Besitz ihrer Papiere waren. Durch den Druck der Zivilgesellschaft und auch meiner Organisation haben die Razzien und Abschiebungen in letzter Zeit etwas abgenommen. Das Vorzeigen der Papiere führt zu einer direkten Freilassung. Dagegen setzt die Regierung nun auf eine „Politik der Entmutigung“ unter dem Motto: Wenn ‚sie’ hier keine Arbeit finden, werden ‚sie’ schon von selbst gehen.

Kann man also sagen, dass die repressive Migrationspolitik die Stigmatisierung und Kriminalisierung der schwarzen Bevölkerung noch verstärkt?

In gewisser Weise, ja. Wir haben das Ministerium gefragt, warum die anderen, das heißt die arabisch-berberische Bevölkerung nicht kontrolliert wird. Die Antwort: Wir bekämpfen die Kriminalität. Das heißt, die Bekämpfung von Migration wird gleichgesetzt mit der Bekämpfung von Kriminalität und die Kontrollen betreffen nur die schwarzen Bevölkerungsteile. Weiße MigrantInnen, d.h. insbesondere Menschen aus Libanon, Palästina, Marokko, Algerien oder Tunesien, sind kaum von den Repressalien betroffen – weder von Razzien, noch von den Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin grundsätzlich dafür, dass alle, die kommen, willkommen sind. Wenn aber Gesetze angewendet werden, so müssen sie für alle gelten.

In welchem Verhältnis stehen mauretanischer Rassismus und die Thematik der Migration?

Auch wenn der mauretanische Rassismus eine Verstärkung über die europäische Migrationspolitik erfährt, muss er eigenständig betrachtet werden und ich möchte hier nochmals auf die Thematik der Sklaverei zu sprechen kommen. Rassismus und Sklaverei: das sind die zwei Themen, die untrennbar mit Mauretanien verbunden sind. Die rassistische Diskriminierung findet auf allen Ebenen der territorialen Verwaltung statt. Alle höheren Ebenen der Verwaltung sind mit Personen aus der arabisch-berberischen Bevölkerung besetzt, die nicht mal die Sprache der verwalteten Bevölkerung spricht. Noch dramatischer wird die Frage in Bezug auf die Sklaverei. Tatsächlich gibt es diese Praxis weiterhin in Mauretanien und zwar für alle sichtbar – auf dem Land, wie in der Stadt. Die Zivilgesellschaft hat 2007 erkämpft, dass das Parlament über ein Gesetz gegen diese Praktik abgestimmt hat, aber danach kam es nicht zur Umsetzung.

Die EU interveniert mit Hilfe von Abkommen, gemeinsamen Patrouillen und Kooperationsprojekten massiv in die mauretanische Politik. Welche Rolle spielt die Entwicklungshilfe hier und wie siehst du die europäische Unterstützung des ‚Migrationsmanagements’?

Mauretanien hat von der EU enorme Geldsummen erhalten, wovon mehr als die Hälfte in die Sicherung der Grenzen geflossen ist: Ausbildung von Polizei und Gendarmerie, Ausstattung des Flughafens, Aufbau von Grenzschutzanlagen etc. Erst kürzlich hat Mauretanien mit Hilfe von Spanien, der EU und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) Grenzposten entlang der gesamten Binnengrenzen zu den afrikanischen Nachbarstaaten entwickelt. Wenn ein Senegalese die Grenzen jenseits dieser Grenzstationen überschreitet, gilt er nun als ‚illegal’ und kann abgeschoben werden.

Bisher wurden von den Bevölkerungen der Grenzregionen die Grenzen nie als wirkliche Grenzen empfunden. Als wir jung waren, sind wir über den Senegalfluss, der Mauretanien von Senegal trennt, rüber geschwommen. Die Felder der einen befinden sich oft im Land der anderen, wobei der Grenzübertritt bisher über Gewohnheitsrecht geregelt wurde. Heute muss jeder, der sein Feld bestellen will, den Umweg über den Grenzposten machen. Hinzu kommt, dass es bei dem Bau der Grenzposten oft zur Hinterziehung von Geldern kam. Klar haben sie irgendetwas gebaut, damit sie der EU zeigen konnten, dass etwas gebaut wurde. Der Rest ist eher irgendwie zusammengezimmert. Schaut man sich aber die Höhe der Summen an, die von der EU als Entwicklungshilfe an Mauretanien gezahlt werden, wird deutlich, dass die Bevölkerung nicht von den Geldern profitiert. Nutznießer sind Polizei, Gendarmerie und Militär – der ganze Repressionsapparat, der dazu dient uns gegenüber dem inneren Afrika abzuschotten.

Das heißt, die ‚Unterstützung’ der EU bringt nicht nur keine Hilfe, sondern hat auch noch negative Auswirkungen auf die regionalen Beziehungen?

Genau. Unsere Regierung sieht die Konsequenzen ihres Handelns nicht. Wenn Senegal, Mali, Gambia, die Elfenbeinküste etc. alle MauretanierInnen nach Hause schickten, was würde die Regierung dann machen? Wir haben viel mehr Interessen auf dem afrikanischen Kontinent als in Europa. Bis jetzt hat es von den anderen Staaten noch keine Reaktion gegeben, aber letztlich ist klar: Je mehr ihre Staatsbürger hier erniedrigt werden, desto eher und stärker werden sie reagieren. Letztlich gibt es viel weniger MauretanierInnen im Schengenraum als in den afrikanischen Nachbarländern. Unsere Position, die wir versuchen unserer Regierung zu vermitteln ist, dass es nicht die Aufgabe von Mauretanien ist, die europäischen Grenzen zu schützen.

Wie können afrikanische AktivistInnen im Bereich der Migration stärker werden?

Unser zentralstes Anliegen derzeit ist der Aufbau eines intra-afrikanischen Netzwerkes. Warum? Angesicht von Dramen, wie denen von Lampedusa, ist es für afrikanische AktivistInnen im Bereich der Migration von äußerster Wichtigkeit starke intra-afrikanische Netzwerke zu haben, um Druck auf unsere Regierungen ausüben zu können.

Wir leben in einem Gebiet mit sehr mobilen Bevölkerungen, deren Rechte oftmals massiv verletzt werden. Aus meiner Perspektive haben wir uns dabei zu oft auf Europa konzentriert, während wir kaum in der Lage sind unsere eigenen politischen Verantwortlichen herauszufordern. Ich glaube daher, dass die Arbeit gerade auf der Ebene der Anrufung und des Plädoyers auf afrikanischer Ebene stattfinden muss.

Das Beispiel von Lampedusa macht es am deutlichsten sichtbar. Nach dem erneuten Schiffsuntergang im Oktober mit Hunderten von Toten haben wir beobachten müssen, dass die afrikanischen PolitikerInnen geschwiegen haben. Es gab anfangs nicht mal die kleinste Verlautbarung um wenigstens den Angehörigen der Ertrunkenen Beileid zu wünschen. Das wäre wirklich das Mindeste gewesen. Selbst wenn die Regierungen – die unter der Protektion Europas stehen – Angst hatten, die Vorgänge zu kritisieren, können sie wenigstens ein Kondolenzschreiben an die Familien der Verschwundenen richten.

Italien hat per Dekret drei Tage der Trauer angeordnet. Die EU hat mit einer Expressversammlung reagiert und selbst wenn die Tränen, die vergossen wurden, Krokodilstränen waren, so wurden sie wenigstens vergossen. Das ist wenigstens etwas. Aber auf afrikanischer Seite? Zunächst das totale Schweigen – eine Stille, die meines Erachtens nicht nur schuldig, sondern ignorant ist. Es ignoriert komplett die Situation. Für diese PolitikerInnen ist die Katastrophe von Lampedusa kein Problem. Es hat keine Priorität!

Und genau deshalb muss die Zivilgesellschaft Druck auf die politischen Verantwortlichen ausüben. Und es muss ein afrikanisches Netzwerk sein.

Kurz nach den Ereignissen von Lampedusa hat die AMDH es geschafft einen offenen Brief, der von vielen weiteren afrikanischen Organisationen, wie der malischen AME und der ARACEM (malische medico-Partner im Bereich Migration, Anm. d. Red.) unterzeichnet war, auf der Ministerkonferenz der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft in Dakar an Macky Sall zu übergeben. Denselben Brief haben wir über eine Kommissarin der afrikanischen Kommission für Menschenrechte an die Afrikanische Union in Addis Abeba übergeben lassen.

Die Erfahrung transeuropäischer NoBorder-Camps zeigt, dass diese Form der Organisation möglich ist. Warum sind wir nicht in der Lage das gleiche zwischen Mauretanien und Senegal zu organisieren? Gemeinsame politische Forderungen, die wir gemeinsam vortragen. Das ist doch nicht so schwierig! Und dafür brauchen wir afrikanische Netzwerke. Innerhalb der bestehenden euro-afrikanischen Netzwerke machen zumeist die EuropäerInnen die Arbeit. Außerdem sind die Aktionen zu sehr auf Europa fokussiert. Die europäischen AktivistInnen machen ihre Arbeit gut, aber wir müssen uns auf Afrika konzentrieren.

Das Interview führte Anna Krämer in Frankfurt bei medico international.

Der medico-Partner Association Mauritanienne des Droits de l’Homme - AMDH setzt sich in Mauretanien für die Belange von blockierten TransmigrantInnen ein. Amadou M'Bow ermöglichte medico durch sein Wissen und seine Zugänge auch die Recherche für die Länderstudie Mauretanien im Zusammenhang der unlängst erschienen Broschüre „Im Schatten der Zitadelle - Der Einfluss des europäischen Migrationsregimes auf ‚Drittstaaten‘“ (Hrsg.: Brot für die Welt, Pro Asyl und medico)


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