Etappensieg

18.08.2006   Lesezeit: 2 min

Die Weltgesundheitsversammlung votiert für eine Neuausrichtung in der Gesundheitsforschung. Kommentar von Thomas Gebauer.

Am Ende waren es nur noch die Vertreter der Europäischen Union, die sich gegen die Erforschung und Entwicklung neuer essentieller Arzneimittel aussprachen. Für die überwiegende Zahl der Delegierten, die Ende Mai in Genf zur "59. Weltgesundheitsversammlung" zusammengekommen waren, stand dagegen fest, dass es nicht länger hingenommen werden darf, wenn tagtäglich 35.000 Menschen nur deshalb sterben, weil sie an Krankheiten leiden, gegen die es keine Medikamente gibt. Sie stimmten für eine Resolution, die keinen Zweifel daran lässt, dass Patientenrechte vor Patentrechten gehen.

Doch bevor die Resolution mit dem Titel: "Öffentliche Gesundheit, Innovation, essentielle Gesundheitsforschung und Eigentumsrechte – auf dem Weg zu einer globalen Strategie" (s. Kampagne Gesundheit) verabschiedet werden konnte, galt es, zähe Verhandlungen zu überstehen und überhaupt erst dafür zu sorgen, dass das Thema auf die Tagesordnung kam.

Denn die entsprechenden Forderungen von NGOs, zu denen auch medico gehört, blieben lange Zeit ungehört. Anfang des Jahres brachten dann Kenia und Brasilien den Prozess ins Rollen. Unterstützt von Hunderten von namhaften Wissenschaftlern aus aller Welt plädierten sie im Exekutivrat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür, dass es nicht länger nur der Industrie überlassen bleiben darf, über Prioritäten in der Gesundheitsforschung zu entscheiden. Als schließlich auch eine von der WHO eingesetzte Kommission bestätigte, dass beispielsweise nur deshalb keine neuen und leicht einzusetzenden Tuberkulose-Präparate entwickelt werden, weil TB-Kranke meist auch extrem arm sind, aber Patientengruppen ohne Kaufkraft für die Pharma-Industrie nur von minderem Interesse sind, ließen sich auch weitere Länder überzeugen.

Nun sind alle Mitgliedsstaaten der WHO aufgefordert, umgehend dafür zu sorgen, dass auch den Gesundheitsbedürfnissen ärmerer Menschen entsprochen wird. Offenkundig reicht das Gewähren von Patenten alleine nicht aus, um die Pharma-Industrie zur Entwicklung essentiell notwendiger neuer Arzneimittel zu bewegen. So wichtig Eigentumsrechte sein mögen, so wenig sind sie ein hinreichender Anreiz für Forschung. Eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe soll eingerichtet werden, um einen entsprechenden Aktionsplan zu entwerfen.

Die Resolution A59/A/Conf. Paper No. 8 vom 27.05.06 bedeutet noch keine Veränderung. Aber sie ist ein Dokument, mit dem sich gut weiter arbeiten lässt. Das im Genfer Politikdschungel ausgehandelte Ergebnis ist Baustein einer Kampagne, die darauf zielt, Arzneimittel als ein öffentliches Gut zu begreifen, zu dem alle ungehindert Zugang haben müssen. Dabei wird nun auch der Skandal zu thematisieren sein, warum die Argumente, mit denen die Europäische Kommission die Resolution verhindern wollte, nahezu identisch mit denen der Pharma-Industrie gewesen sind. Öffentlich finanzierte Forschungsförderung aber darf nicht zu einer versteckten Förderung der Industrie verkommen.


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