Paul Bangura vom medico-Partner NEAS berichtet aus seinem Alltag in Sierra Leone.
Die Entwicklung der Ebolaepidemie in Sierra Leone bleibt weiter sehr besorgniserregend. Die Angst hat das Land in ihrem Griff und die Krankheitsausbrüche verlagern sich: Angefangen im Südosten sind es nun der Nordwesten und Teile des Südens, aus denen zahlreiche schwerwiegende Fälle berichtet werden, genauer die nördlichen Städte Portloko und Bombali, sowie Moyamba im Süden, die Hauptstadt und ihre Umgebung. In den genannten Regionen breitet sich die Krankheit schnell aus. Die Menschen begraben ihre Leichen und halten Beerdigungen ab. Kranke bleiben zu Hause aus Angst für Ebolainfizierte gehalten zu werden. Aufklärung und Mobilisierung in den Communities gehen weiter, um die Ansteckung einzudämmen, doch alle Bemühungen scheinen bislang vergebens.
Niemand vertraut mehr der Regierung
Nun sollen die Leichen solange nicht begraben werden, bis festgestellt werden kann, ob es sich um Ebolatote handelt oder nicht. Das ist fürchterlich. Die Maßnahme stellt für die Menschen eine große Belastung dar und löst Panik aus. Es kann bis zu zwei oder vier Tagen dauern, bis das verantwortliche Team des Gesundheitsministeriums die Toten untersucht. Besonders in den stark betroffenen Gebieten werden die Leichen deshalb immer wieder durch die Community selbst beigesetzt – das wiederum ist ein echtes „Erfolgsrezept“ für die schnelle Verbreitung der Krankheit. Jeden Tag fahren überall Krankenwagen umher und sammeln tote Körper auf, damit diese begraben werden können. Wenn du dich abends schlafen legst, weißt du nicht, ob es dir selbst am nächsten Morgen noch gut gehen wird. Es bleibt immer die Frage, wer als nächstes an der Reihe ist. Die Menschen sind verunsichert und haben das Vertrauen in die PolitikerInnen verloren, wobei jeder anders auf die Situation reagiert. „Wo kommt Ebola her?“, wird gefragt. Manche sagen von der Regierung. Andere sagen, westliche Mächte machen gemeinsame Sache mit der eigenen politischen Spitze und spielen ihr Spiel mit dem Leben der Menschen. Politische Skandale sind die Menschen hier gewöhnt.
Die Geschäfte gehen schlecht und die NGOs treten kürzer. Alle Anstrengungen konzentrieren sich auf den Kampf gegen Ebola. Die Preise sind gestiegen und das Leben wird härter für die Sierra LeonerInnen. Jeden Tag beobachten wir, wie die Menschen sich zur Begrüßung die Hände schütteln, sich gegenseitig berühren und sogar umarmen. Das zeigt, dass die Menschen den Informationen über die Ebolaverbreitung nicht Glauben schenken und an ihren gewohnten Verhaltensweisen festhalten, was wirklich schlimm ist.
Ebola aufhalten
Wie kann Ebola dann noch aufgehalten werden? Durch Quarantäne oder das Abriegeln betroffener Gemeinden gestoppt werden? Ich weiß es nicht. Menschen entfliehen immer noch aus den Isolationshäusern oder den Quarantänestationen und infizieren dadurch andere. Das passiert jeden Tag. In Makeni marschierte eine große Menschenmenge jubelnd über die Straße, darunter auch Menschen aus Quarantänestationen. Sie umarmten sich und sangen Slogans, dass Ebola vorbei sei. Ähnliches geschah auch in Portloko, einem stark betroffenen Gebiet. Niemand weiß, wie das enden wird. Jeden Tag sehen wir immer noch Menschenansammlungen auf den Straßen, wir sehen das normale Gedränge auf den Märkten und überfüllte Busse. Unwissende Kinder drängen ihre Eltern dazu, mit den anderen Kindern der Nachbarschaft spielen zu dürfen. Doch eigentlich lebt jedeR wie in einem Gefängnis. Wir sind Gefangene unserer Ängste und des von der Krankheit begrenzten Raumes, der uns in unserem Alltag nur noch zur Verfügung steht.
Damit die Leute überhaupt zu Hause bleiben können, müsste die Essensversorgung durch externe Geber und Organisationen sichergestellt werden. Mehr Hygienekits und mehr Krankenwagen werden gebraucht und müssen dezentralisiert in den Gemeinden eingesetzt werden. Die Menschen trauen den RegierungsbeamtInnen nicht. Manche nehmen nicht einmal die Nahrungsmittel der Regierung an, weil sie denken, dass sie vergiftet sind. Für die Kranken brauchen wir mehr Betten in den Krankenstationen und mehr Nahrungsmittel. Unsere Gesundheitsfachkräfte müssen besser geschult werden und brauchen eine bessere Ausstattung. Um die Ausbreitung aufzuhalten, ist außerdem noch mehr Aufklärung in den Gemeinden durch NGOs nötig. Diese Krise enttarnt unser Gesundheitssystem, jetzt zeigt es sich in seiner ganzen Schwäche.
Spendenstichwort: Sierra Leone
Angesichts der Epidemie haben die lokalen medico-Projektpartner in Sierra Leone ihre laufende Arbeit in den Gemeinden angepasst. Jetzt geht es um Aufklärung von Tür zu Tür, um Debatten im Community Radio, das Training von Freiwilligen. Damit die Menschen wissen, wie sie sich vor Ebola im Alltag schützen können und Kranke nicht ausgrenzt werden. Unsere Partner thematisieren auch den fehlenden Zugang zu sauberem Wasser und die miserable Ausstattung im Gesundheitsbereich. Und all das kann man ändern.