Gleitschäume & Drachenatem

19.08.2004   Lesezeit: 2 min

Ein kleines Waffenkompendium der neuen Weltbürgerkriegsordnung

Der Schritt vom althergebrachten Eroberungsfeldzug zum globalen »Krieg gegen den Terror« erfordert neue Einsatzdoktrinen – und variables Material. Neben bunkerbrechenden »Mini-Nukes« und megatonnenstarken Areosol-Bomben (»Daisy Cutter«) erforschen US-Militärs seit den 90er Jahren auch »nicht-tödliche Alternativwaffen zur Aufstandsbekämpfung«. In den letzten Jahren hat dieses Arsenal zur Arretierung, Unschädlichmachung und Kontrolle von Menschen konkrete Züge angenommen, die mitunter höchst bizarr anmuten.

Calmatives (Betäubende Wirkstoffe)

Menschliche Gehirne werden über Rezeptorenpunkte mit Wirkstoffen angesteuert. So kann vorübergehende Blindheit, Bewusstlosigkeit, aber auch das Gefühl erzeugt werden, Dinge zu riechen, die gar nicht existieren. Ein Bericht des EU-Parlaments über die »Optionen« solcher »Calmatives« vermerkt, dass mit ihnen auch Anästhetika zum Einsatz kommen, deren militärische Nutzung völkerrechtlich geächtet ist. Manche wirken wie Nervengifte und sind schlecht dosierbar. Was auf den einen Menschen betäubend wirkt, kann für den anderen tödlich sein. Das bewiesen im Jahr 2003 russische Antiterroreinheiten beim Sturm auf ein von tschetschenischen Rebellen besetztes Musical-Theater in Moskau. Über 100 Geiseln starben im »Betäubungsgas«.

Obscurants (Verneblungsmittel)

Wasserhaltige Schäume können Barrieren bilden, die sowohl die Kommunikation, als auch die Orientierung erschweren. In den 20er Jahren dienten Schäume zur Feuerbekämpfung in britischen Kohleminen, aber schon im Vietnamkrieg wurden sie militärisch genutzt. Mit Tränengasschaum wurde versucht, die in Tunnels verlaufenden Nachschubpfade des Vietcong zu sperren. In den 80er Jahren entwickelten US-Militärs, nicht zuletzt die Heimatfront im Blick, reizstoffangereicherte Schäume zur »Kontrolle von Menschenmengen«. Heute wird über spezielle optische Vergrößerungssysteme nachgedacht, die in Verbindung mit chemischen Verneblungsmitteln nur noch der eigenen Truppe den »Durchblick« ermöglichen sollen. Ein Beispiel, wie »nicht-tödliche« Mittel das konventionelle Tötungspotenzial bei Bedarf erhöhen können.

Verstrickungswaffen

Fangsysteme können Polymerstoffe und Klebschäume verschießen, die mit Reizstoffen und Haken versetzt werden können. Ein »nicht-tödlicher« Gleitschaum soll laut dem US-amerikanischen Joint Non-Lethal Weapon Programm 2005 praxistauglich sein. Neue »progressive Strafwaffen« umfassen Laser, die die Luft so weit ionisieren, dass Elektroschocks auf Distanz ausgeteilt werden. Oder der Gegner wird mit Mikrowellen gezielt erhitzt: Je dichter sich eine Person nähert, desto heftiger erfolgt die »Strafreaktion« – bis zum tödlichen Ende.

Übelriechendes (Dragonbreath)

Schlechter Geruch fasziniert die US Security Planning Corporation schon seit mehr als 30 Jahren. Einsetzbar sind hochsynthetische Stinkbomben, sogenannter »Drachenatem« (Dragonbreath), dessen Gestank nach faulen Eiern und Benzin geradezu ansteckend wirkt: kommt eine Person damit in Berührung, kann sie in der Folge ganze Menschenmengen kontaminieren. An Geruchsrichtungen wie Stinktier und verfaultem Fleisch wird gearbeitet. Überlegte Szenarien, in denen solche Waffen zum Einsatz kommen könnten, sind die Räumung von Gebäuden, die Auflösung von »zivilen Unruheherden«, sprich: Demonstrationen, und die Kontrolle von Hungerrevolten.

Die Broschüre »Tödliche Alternativen: Wie die verbotenen Antipersonenminen ersetzt werden« kann beim »Aktionsbündnis Landmine.de«, dem medico als Gründungsmitglied angehört, bestellt werden, Rykestr. 13, 10405 Berlin. www.landmine.de


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