**In der arabischen Gesellschaft Israels wächst das Bewusstsein über die Rechte und Rolle der Frauen. Das haben in erster Linie die Frauenorganisationen durchgesetzt.. Die medico-Partnerinnen „Women against Violence“ gehören zu ihnen. Katja Maurer hat sie im September dieses Jahres besucht **
Ikhlas arbeitet seit acht Jahren im arabischen Frauenhaus in der Nähe von Akko. Ikhlas ist Mitte Vierzig und ihre klaren feinen Gesichtszüge werden durch das Tuch, das sie eher als Kopfschmuck, denn als Zeichen religiöser Zugehörigkeit trägt, noch betont. Gemeinsam mit Aida Touma-Suliman, der Direktorin der Women against Violence, den Trägern des Frauenhauses, sitzen wir in ihrem kleinen Büro, trinken arabischen Mokka und reden über die zurückliegenden Jahre. Hinterher wird mir Aida erzählen, sie sei vom Donner gerührt gewesen, als sie erfahren habe, dass ihre langjährige Kollegin ein Kopftuch trage. Denn das Kopftuch ist für Aida und die palästinensische Frauenorganisation das Symbol der Unterwerfung. Es gibt Grenzen und eine davon besteht darin, dass sich die Mitarbeiterinnen der Fraueneinrichtungen diesem Druck zur Verschleierung nicht beugen.
Aber Ikhlas Gründe sind dann doch ein akzeptabler Einzelfall. Das Kind der Hausvorsteherin war schwer krank und Ikhlas schwor bei Gott ein Kopftuch zu tragen, wenn es wieder gesund würde. Und es wurde wieder gesund. Ikhlas hat selbst ein frauenhausreifes Schicksal. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann entzogen die religiösen Gerichte ihr das Sorgerecht für die erste Tochter. Daraufhin durfte sie elf lange Jahre ihr Kind nicht sehen. In einer zweiten Ehe bekam sie wieder eine Tochter, die nun mit Gott und ärztlicher Hilfe gesundete. Das Leid der Frauen in ihrem Frauenhaus, die oft jahrelange Gewalttätigkeiten ihrer Ehemänner ertrugen, auch weil sie um den Verlust ihrer Kinder fürchteten, kann Ikhlas gut nachvollziehen. Aber auch mit ihrem eigenen Schicksal zeigen, dass es Auswege aus der Katastrophe gibt. Sie zieht ein geradezu gelassenes Resümee der vergangenen acht Jahre Frauenhauserfahrung. „Wir haben gelernt, die Frauen so zu akzeptieren, wie sie sind“, sagt Ikhlas. Früher seien sie viel strikter gewesen. „Wir waren so dominant wie deren Männer.“ Das habe an mangelnder Erfahrung aber auch an der Angst gelegen, dass einzelne Frauen den Standort des Hauses verraten könnten. Keine hätte damals sicher sein können, dass es dann nicht zu schweren Übergriffen gegen die Einrichtung gekommen wäre.
Klassenübergreifende Gewalt
All das hat sich verändert. Das Frauenhaus nahe Akko ist keine klandestine Zuflucht mehr. Heute kommen Frauen aus allen Schichten. Mit Einzel- und Gruppengesprächen, Mutter-Kind-Angeboten und umfassender psychologischer Beratung gibt es ein so ausgefeiltes Angebot, dass die zum Teil schwer misshandelten, traumatisierten und verfolgten Frauen wirkungsvoll unterstützt werden können, sich eine neue Lebensperspektive zu erarbeiten. Mittlerweile, so Ikhlas, hat das Frauenteam eine klare Interventionsstrategie für die Krisenfälle. „Wir führen Supervisionion durch und pflegen den Erfahrungsaustausch mit jüdischen Kolleginnen.” Ikhlas betont, wie sicher sie sich heute in dem fühlen, was sie tun.
In allen Gesprächen mit Kolleginnen der Women against Violence im Frauenhaus von Akko, in der Notrufzentrale und im Übergangswohnheim in Nazareth sind die harten Anfangsjahre präsent. Umso größer war die Zufriedenheit aller, dass sie es wirklich erreicht haben, in der arabischen Gesellschaft mit ihren radikalen Forderungen und ihrem offenen Auftreten notgedrungen akzeptiert zu werden.
Workshops mit der Polizei
Linda Khwaled vom Crisis Center, das unter anderem die Notrufzentrale mit über 30 Freiwilligen in Nazareth betreibt, weiß deshalb zu schätzen, dass sich in der Gesellschaft langsam die Solidarität mit den Opfern patriarchaler Gewalt durchzusetzen beginnt. Die junge Soziologin ist sich sicher, dass dies auch ihrer Aufklärungsarbeit zu verdanken ist. „Wir haben in den vergangenen Jahren über 300 Workshops unter anderem bei der Polizei, bei der Justiz, bei Lehrern, Eltern und Rechtsanwälten durchgeführt. Immer ging es darum, Verständnis für die Gewaltopfer und die Notwendigkeit einer juristischen Verfolgung der Verbrechen zu vermitteln.“ Dadurch habe sich das Crisis Center etabliert und die Anrufe von Gewaltopfern oder ihren Angehörigen hätten sich in den vergangenen beiden Jahren verdoppelt.
Die Soziologin Ghada Abu Jabir-Negim hat im Auftrag der Women against Violence eine soziologische Untersuchung über die Haltungen zum Status der palästinensischen Frauen in Israel durchgeführt. Die Studie belegt die Erfahrungen der Kolleginnen: Es gibt ein wachsendes Bewusstsein über die Rechte und den Status der Frauen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Das monolithische Bild einer immer stärker werdenden Islamisierung treffe nicht zu, so Ghada. Man lege Wert auf Ausbildung der Frauen, sie sollen sich selbst verwirklichen, auch ihre Erwerbstätigkeit wird positiv gesehen. Aber es klafft eine tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis. „Die Gesellschaft demonstriert in einem hohen Maß die Bereitschaft, spezifische Rechte der Frauen wie Bildung und Arbeit zu akzeptieren. Aber sie ist noch immer nicht bereit, diese Rechte bedingungslos anzuerkennen oder sie nicht mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Patriarchale Konzepte wie Ansehen, Familienehre und die Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen sind eine Art Versicherungspolice, um die alten Herrschaftsbeziehungen zwischen den Geschlechtern zu sichern.“ So ein Resümee der Studie. Nach wie vor bewegen sich die Kolleginnen von Women against Violence in einem schwierigen Umfeld. Und auch der israelische Staat unterstützt die Frauenrechtlerinnen weniger als halbherzig. Denn die Macht über die Frauen ist für die traditionellen Eliten der Brosamen für die fehlende soziale und politische Gleichstellung der arabischen Bevölkerung in Israel. Women against Violence muss so notgedrungen immer an zwei Fronten kämpfen.