Von Amira Hass
»Die Planer des Zauns haben es versäumt, seine Auswirkungen auf unschuldige Palästinenser vorherzusehen«, so der Nationale Sicherheitsberater Israels, Giora Eiland. Israel bemüht sich nun die westlichen Staaten, vor allem die USA, zu überzeugen, der Zaunverlauf sei ein menschlicher, örtlich-begrenzter, zufälliger und damit korrigierbarer Irrtum. Niemand habe voraussagen können, in welcher Größenordnung diese Verschanzung »das Leben unschuldiger Menschen« bedroht. Aber es braucht keine großen analytischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass die Käfighaltung tausender Menschen hinter Eisentoren verheerende Folgen hat, und dass es für die 260000 Menschen sehr schwer sein würde, in den 81 verschiedenen, durch den Zaun geschaffenen Enklaven »die Substanz eines normalen Lebens« aufrechtzuerhalten. Einundachtzig Enklaven hinter Stacheldraht mit Wachtürmen, Gräben, Doppelzäunen, in ein Passierscheinsystem einer Militärbürokratie gepresst, die das Verlassen und die Rückkehr eines jeden regelt.
In Wahrheit war nur der internationale Schock schwer vorauszusehen. Condoleezza Rice zeigt sich nicht begeistert. Westliche Diplomaten sprechen über die Sache, wenn sie unter sich sind. Auch die europäischen Länder hegen Vorbehalte. Fernsehsender auf der ganzen Welt senden Reportagen über den Zaun und seine Nachteile. Und man kann einfach nicht immer in das gleiche Horn blasen und von antisemitischen Motiven sprechen.
Ohne all dieses hätten Israels Repräsentanten höchstwahrscheinlich keinerlei Versäumnisse eingeräumt. Die Folgen des Zauns waren ihnen schlicht egal. Diese Art der Schäden sind schließlich nichts Neues. Seit 37 Jahren testete sie das israelische Besatzungsregime erfolgreich – im Namen der »Sicherheit« bzw. im Namen des (angeblichen) Rechts des jüdischen Volks auf privilegierte Rechte in diesem Land. Auch das Osloer Abkommen setzte der israelischen Gewohnheit kein Ende, die palästinensischen Rechte zu beschneiden.
Wer wollte, konnte schon in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 sehen, dass der Zaunverlauf absolut nicht der Grünen Linie entsprach. Damals war es schwer in den israelischen Medien Berichte unterzubringen, die die Konsequenzen für die Bevölkerung zeigten. Das Datenmaterial über die massiven Enteignungen und Baumzerstörungen – veröffentlicht durch verschiedene palästinensische Organisationen – lag nicht auf Hebräisch vor. Israelische Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten es erst im September 2002. Sie warnten davor, dass der Zaun ein tödlicher Schlag für das Leben der Palästinenser sei. Wer erinnert sich?
Mitte 2003 hatten die Planer des Zauns alle hinter sich: das politische System, die Zeitungen, die elektronischen Medien, die Straße sowie Schlüsselfiguren des israelischen Friedenslagers. Der Zaun lieferte den Menschen – eingeschüchtert durch die Selbstmordterrorangriffe – die Hoffnung, für sie könnte es eine persönliche Sicherheit unabhängig von einer politischen Lösung geben. Die Idee war eine Flucht vor der irritierenden Erkenntnis, dass Israel sich einer nachhaltigen politischen und rationalen Lösung, die auch für Palästinenser akzeptabel ist, verweigert.
Wichtige Teile der israelischen Gesellschaft sind inzwischen blind für den angerichteten Schaden; das Besatzungsregime wird so selbstverständlich hingenommen wie der Sonnenaufgang im Osten.
Amira Hass schreibt für die liberale Tageszeitung Ha’aretz. Sie lebt als einzige israelische Journalistin in den besetzten Gebieten.