Lobby in den Vorhöfen

20.08.2004   Lesezeit: 4 min

Maria Zuniga und das unverdrossene People's Health Movement

Vom Konferenzgebäude der Weltgesundheitsorganisation WHO aus hat man einen grandiosen Blick auf den Genfer See. Hier weiß man, warum sich – wie an vielen anderen Orten der Welt auch – die Mieten in Genf an der Höhe der Wohnungslage messen. Einfach sitzen, Kaffee trinken, von den schwarzen Ledersesseln aufs Blau und Gletscherweiß schauen – das wär’s. Wir sind mit den Vertretern vom People’s Health Movement verabredet.

Es ist ein Treffen unter alten Bekannten. Maria Hamlin Zuniga erscheint. Ihr hennagefärbtes Haar ist schon ein bisschen licht. Aber ihre freundliche Ausstrahlung hatte sie sicher schon vor 30 Jahren, als sie als »peace corps«-Aktivistin aus den USA nach Mittelamerika ging, um »Aufstandsbekämpfung« durch Wohltätigkeit zu betreiben. Maria blieb in Mittelamerika hängen und gründete mit anderen ein Netzwerk mittelamerikanischer Basisgesundheitsinitiativen, das zu den wirksamsten Basis-Gesundheitskooperationen weltweit zählt. Auch die guatemaltekischen »Barfußzahnärzte« vom ACCSS, ein langjähriger medico-Partner, gehören dazu. Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt, dass man über Gesundheit nicht reden kann, ohne über die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen der Menschen zu sprechen, ist in Zeiten des technischen Lösungs-Pragmatismus von geradezu umwälzend politischem Charakter.

Einst war dieses Selbstverständnis Grund, sich mit den Befreiungsbewegungen Mittelamerikas zu solidarisieren. Damals begann auch die Zusammenarbeit zwischen medico und Maria. Die Befreiungsbewegungen gibt es mittlerweile nicht mehr. Viele ihrer einstigen Galionsfiguren sind Teil des Establishments, das sie einst bekämpften. Aber die Gesundheitsarbeiter sind geblieben – oftmals bei den Gemeinden, die im Rahmen der Bürgerkriege in die Flucht getrieben und grausam verfolgt wurden, so wie unsere Kollegen von ACCSS.

Die Autonomie der Gesundheit

Maria ist eine Vorreiterin. Als sie 1968 nach Mittelamerika ging, verstand sie sehr schnell, dass der Aufstand berechtigt war, und beschloss, sich ihm anzuschließen statt ihn zu bekämpfen. Sie war eine der ersten, die Anfang der 80er Jahre begann, im sandinistisch regierten Nicaragua eine unabhängige Gesundheits-NGO zu gründen. Schneller als andere hatte sie sich aus dem staatlichen Gesundheitsministerium verabschiedet. Die Rechte und Interessen der Menschen auf ein höchstmögliches Maß an Gesundheit waren über diese Institution nicht mehr zu verwirklichen. Maria ging.

Heute gehört sie zu den führenden Vertreterinnen des People’s Health Movement, das sich im Jahr 2000 in Bangladesch bei der »Weltgesundheitsversammlung von unten« gründete. Dieser Grassroots-Ansatz des PHM bestimmt auch unser Treffen am Genfer See. Maria Zuniga und Thelma Narajan, Repräsentantin der beeindruckend starken indischen Basisgesundheitsbewegung, sitzen mit uns zusammen, um über die geplante Konferenz im Dezember in Berlin zu debattieren. Der rasende Pressesprecher des PHM kommt dazu, packt seinen Laptop aus und diskutiert die jüngste kritische Presseerklärung zur AIDS-Politik der WHO. Wir werden aufgefordert auch unsere Meinung dazu zu sagen. Schließlich gehört auch medico zum People’s Heath Movement. Unverdrossen bringen seine Sprecher auf der WHO-Versammlung den eigenen radikalen Standpunkt zu Gehör. Diese soziale Anwaltschaft für diejenigen, deren Stimmen nicht gehört werden, ist wie ein steter Tropfen. Es gibt in den Gremien der WHO Ansprechpartner und manche sind auch Partner im Geist. Das ist nicht zu unterschätzen. So schwerfällig die surpranationale Gesundheitsbehörde auch sein mag, wo, wenn nicht dort, können Gegenstandpunkte zur neoliberalen Ausgrenzungspolitik wirksam werden? So betreibt das PHM Lobby-Arbeit bei der WHO und integriert sich zugleich in die Bewegung der internationalen Sozialforen. Das PHM verfügt dabei nicht nur über die Stärke der Kritik, sondern auch über den Vorteil der kritischen Praxis.

Im PHM sind viele alte medico-Kooperationspartner versammelt: nicht nur Maria Zuniga, auch David Sanders aus Südafrika ist dabei. Unter seiner Federführung entsteht eine Reihe von gemeinwesenorientierten AIDS-Projekten in Südafrika. Oder Mustafa Barghouthi und seine Palestinian Medical Relief Society, die mit Unterstützung von medico ihren gemeindeorientierten Gesundheitsansatz gegenüber einer anhaltenden israelischen Besatzung verteidigt, um sich zugleich auch gegen die korrupte palästinensische Führung zu wenden.

Angesichts dieser Refundation der globalen Gesundheitsbewegung auch von ihrer Repolitisierung zu sprechen, ist nicht vermessen. Wie viel sich davon mit gesundheits- und sozialpolitischen Debatten in Deutschland verbinden lässt, wird man auf der Konferenz »Armut und Gesundheit« im Dezember in Berlin ausloten. Hier hat medico die Vertreter des PHM eingeladen, um das Netz zwischen dort und hier enger zu knüpfen. Auch wenn man in Berlin nicht die schöne Aussicht auf den Genfer See genießen kann.

Katja Maurer


Jetzt spenden!