Palestinian Medical Relief Society

Mauern und Sperrzäune

12.02.2013   Lesezeit: 3 min

Gesundheitsarbeit in den palästinensischen Enklaven ist eine Herausforderung zwischen militärischer und struktureller Gewalt

Alle Menschen haben den Anspruch auf gleichen Zugang zum erreichbaren Höchstmaß an Gesundheit. Durch kaum etwas wird dieses Ziel so sehr unterwandert wie durch bewaffnete Konflikte.

In der Region Israel/ Palästina entscheidet die nationale und ethnische Zugehörigkeit über den Zugang zu Gesundheit. In den besetzten Gebieten entstand ein Enklavensystem für Palästinenser_ innen, das schwerwiegende Behinderungen der Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter nach sich zieht und die Möglichkeit von Entwicklung nicht nur blockiert, sondern in sämtlichen Lebensbereichen einen Rückschritt verursacht. Der Zugang zu Gesundheitsdiensten ist massiv eingeschränkt, und das Streben nach menschenwürdigen Lebensverhältnissen wird durch die politischen Rahmenbedingungen systematisch untergraben.

Auf Grund ihrer Nähe zu der Mauer und den israelischen Siedlungen sind viele ländliche palästinensische Gemeinden im Westjordanland von ihren Gesundheitsdiensten abgeschnitten sowie in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Vor allem arme und marginalisierte Menschen sind hiervon betroffen. An diesem Punkt setzt die Unterstützung der medico-Partner_ innen an. Die Familien- und Frauenärzt_ innen der Palestinian Medical Relief Society (PMRS) sind unterwegs mit mobilen Kliniken und besuchen die isolierten Gemeinden. Die Gesundheitsteams der PMRS leisten zusätzlich zum heilmedizinischen Angebot Gesundheitsaufklärung und präventive Dienste in den jeweiligen Gemeinden, bieten Erste-Hilfe-Kurse an und bilden Gemeindemitglieder in so wichtigen Themen wie Humanitäres Völkerrecht, Gesundheit als Menschenrecht sowie Umwelteinflüsse und Gesundheit aus.

Noch schlimmer ist die Situation im Gaza- Streifen. Israel entzieht sich nach wie vor seiner Verantwortung für das von ihm kontrollierte Gebiet. Die Blockade des Gaza- Streifens als Folge der israelischen „Trennungspolitik“, seit Juni 2007 in Reaktion auf die Machtübernahme der Hamas noch verschärft, führt zur weiteren Schwächung der ohnehin unzureichenden zivilen Strukturen, etwa der Wasserver- und Abfallentsorgung sowie des Gesundheitssektors. medico unterstützt seinen Partner PMRS auf vielfältige Weise, damit gerade die ärmere Zivilbevölkerung Zugang zu Basisgesundheitsdiensten erhält. So konnten wir Zement und Stahl in den Gazastreifen einführen, um – trotz der israelischen Blockade – ein Gesundheitszentrum instand zu setzen; wir beschaffen Medikamente zur Deckung des unmittelbaren und akuten medizinischen Bedarfs von sozial schwachen Menschen und von medizintechnischen Hilfen für Menschen mit Behinderungen.

Gesundheit ist mehr als Medizin

Schrumpfende soziale Kohäsion, gepaart mit wirtschaftlichem Niedergang und mangelnden Zukunftsperspektiven als Folge des israelischen Enklavensystems hinterlassen tiefe Spuren in der Psyche vieler Menschen. Häusliche Gewalt, Depressionen, die Akzeptanz reaktionärer Erklärungs- und Lösungsmuster sind Folgen dieses Prozesses. Die Hoffnungslosigkeit wird zunehmend privat wahrgenommen und folglich die Fähigkeit unterminiert, eine um die Gesundheit aller bemühte Solidargemeinschaft aufrechtzuerhalten und weiter aufzubauen. Deshalb unterstützt medico das Freiheitstheater Jenin: Theater ist auch Therapie. In der „Hochburg der Gewalt“, im Flüchtlingslager Jenin können Mädchen und Jungen im geschützten Raum ihre im Alltag erlebten Erfahrungen von Gewalt und Ohnmacht aufarbeiten. Das so gewonnene Selbstwertgefühl lässt sie solidarisch sein und tradierte Hierarchien hinterfragen.

Auf die politischen Rahmenbedingungen kommt es an

Die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten in der Krise ist ein Gebot der Menschlichkeit, eine notwendige Hilfestellung im Zeichen unserer Solidarität. Diese Hilfe bleibt solange notwendig, bis die politischen Rahmenbedingungen, die diese Hilfe erst notwendig machen, grundlegend verändert worden sind. Deshalb unterstützt medico die Ärzte für Menschenrechte - Israel dabei, die eigene israelische Öffentlichkeit auf den ungleichen Zugang zu Gesundheit, auf Menschenrechtsverletzungen und auf die sich vertiefenden Grenzen und Ausgrenzungen entlang nationaler, ethnischer Grenzen aufmerksam zu machen. Samstäglich fährt eine israelische mobile Klinik in die besetzten Palästinensergebiete. Israelisches Gesundheitspersonal baut nicht nur eine Brücke zur anderen Seite, sondern politisiert sich über die Erfahrungen, die sie auf der Schattenseite der Mauer machen.

Die Ärzte für Menschenrechte - Israel und PMRS arbeiten eng zusammen in ihrem Bestreben einem fast perfekten System von Ein- und Ausschluss die Stirn zu bieten. Diese auf einer gemeinsamen politischen Agenda aufbauende Zusammenarbeit von Israelis und Palästinenser_innen zeugt exemplarisch davon, dass wir – allen Widrigkeiten zum Trotz – die Hoffnung auf den gleichen Zugang aller zum erreichbaren Höchstmaß an Gesundheit nicht aufgeben dürfen.


Jetzt spenden!