Wasser marsch?
Hasankeyf ist bei Google 368.000 Mal gelistet. Ungezählte Petitionen gingen an Verantwortliche in Ankara, an die EU, die Konzerne, die Bundesregierung, unzählige Delegationen reisten in die vom Wasser bedrohte Region, dazu Symposien, ob in Brüssel, Wien oder zuletzt, vor wenigen Wochen, im kurdischen Diyarbakir: Seit Jahren kämpfen Umweltschützer, Archäologen, Menschenrechtler, mit Unterstützung der lokalen Bevölkerung, um den Erhalt der unersetzbaren kurdischen Stadt Hasankeyf am oberen Lauf des Tigris. Hier plant Ankara, mit Beihilfe des österreichischen Konzerns VA Tech, seit Februar in deutschem Siemens-Besitz, den Ilisu-Stausee, den letzten Superlativ des GAP-Staudammprojekts: Der Tigris soll 65 Kilometer vor der irakischen Grenze gestaut, ein Gebiet von 313 Quadratkilometern mit 52 Dörfern und Kleinstädten überflutet werden. Bis zu 78.000 Menschen sind betroffen. Hisn Kayfa ("Felsenburg"), wie der jetzt vom Tode bedrohte Ort Hasankeyf korrekt heißt, beschützt in seinen Sedimenten jahrtausendealte Artefakte aus mamlukischer oder ayyubidischer, artukidischer, christlicher oder islamischer Zeit. Nur unweit entfernt liegt Urfa, die dortige Abrahamsgrotte wird seit der Jungsteinzeit als heilige Quelle verehrt, dazu der sagenumwobene Göbekli Tepe ("Nabelberg"), vielleicht die erste Kultstätte der Menschheit, wo vor 11.000 Jahren, als Obermesopotamien aus dem Eis des Spätglazial erwachte, die Wildbeuter Stelen und Totempfähle aus dem Fels schlugen. Vor kurzem generierten Biologen des Max-Planck-Instituts aus 68 modernen Einkornsorten einen gemeinsamen Urhalm: Das Wildgetreide wächst noch heute an den Hängen des erloschenen Vulkans Karacadag im kurdischen Vorland des Zagrosgebirges. Hasankeyf droht die Zerstörung: 50 Jahre Energiegewinnung gegen Jahrtausende bewahrte Menschheitszeichen.
Schwarz.Licht
Pedro Rosa Mendes beherrsche die seltene Kunst, wie ein Archäologe der Gegenwart die vielen Ebenen der westafrikanischen Tragödie freizulegen, so die Zeit-Journalistin Andrea Böhm über sein Buch "Schwarz.Licht - Passagen durch Westafrika", das von medico mitherausgegeben und bei einer Lesung Anfang Juni in Frankfurt vorgestellt wurde. Bei der Veranstaltung im Frankfurter Haus der Weltkulturen gab es zwischen Autor und Publikum eine lebhafte Debatte über die Reportagen. Was nützten schonungslose Berichte über den schier ausweglosen Zustand in den von Mendes bereisten Regionen, fragten Zuhörer, die "eher an konkreten Hilfsmöglichkeiten" interessiert gewesen seien, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb. Eine Antwort gab der Schriftsteller Ilija Trojanow, der die Texte von Pedro Rosa Mendes auf deutsch vortrug. Sein portugiesischer Kollege gebe den Leidenden eine Stimme und sei zugleich ihr Ohr. Oder wie Andrea Böhm es formuliert: Mendes "schreibt radikaler als andere und stiftet somit zum radikaleren Denken an". Das Buch "Schwarz.Licht" mit Texten von Pedro Rosa Mendes und Fotografien von Wolf Böwig ist erschienen bei Brandes & Apsel und ist über den Buchhandel erhältlich.