medico aktiv

18.08.2006   Lesezeit: 4 min

Trauma und Politik

Lesung und Diskussion im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut

Der Veranstaltungssaal im Sigmund-Freud-Institut Frankfurt war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Lesung und Diskussion über psychosoziale Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten mit dem Psychoanalytiker David Becker und der Schweizer Ärztin Maja Hess, die medico mit dem Sigmund-Freud-Institut und der Edition Freitag veranstaltete, traf an diesem Oktobertag offenbar auch ins Herz vieler psychotherapeutisch tätiger Kollegen hierzulande. Podiumsteilnehmer und Diskutanten bewegte die Feststellung einer offenkundigen Entpolitisierung der eigenen Arbeit. Die Berücksichtigung von Traumatisierungsprozessen in Kriegs- und Krisengebieten habe, so Becker, nicht zu einem wirklich neuen und integrierten Ansatz in der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit geführt. Oft stifte es mehr Verwirrung und würde den "Betroffenen imperialistisch und kulturverleugnend übergestülpt". David Becker, der seit vielen Jahren mit medico in verschiedenen Projekten zusammenarbeitet, beschäftigt sich in seinem Buch "Die Erfindung des Traumas" ausführlich und an konkreten Beispielen mit dieser Frage.

Maja Hess, die Präsidentin der Schwesterorganisation medico international Schweiz, konnte von ihren praktischen Erfahrungen berichten. Seit mehreren Jahren führt sie mit der Psychoanalytikerin Ursula Hauser immer wieder Psychodrama-Workshops im Gaza-Streifen mit Mitarbeitern des Gaza Community Mental Health Programme durch. Die Mitarbeiter sind mit den psychischen Problemen von Kindern und Erwachsenen konfrontiert, die sich angesichts der verheerenden Situation noch verschärfen. Zugleich haben die Mitarbeiter selbst kaum Möglichkeiten, die eigenen Erlebnisse in dieser seit Jahren angespannten Situation zu bearbeiten. Erst recht seit die israelischen Psychologen, die nach Gaza kamen und solche Workshops durchführten, von der eigenen Regierung Einreiseverbot erhielten. "Wir wollen", so Maja Hess, "mit unserer Tätigkeit ein Fenster öffnen, das den Blick und den Zugang zu einer sinnvollen und sinnstiftenden Arbeit auch mitten im von Gewalt beherrschten Gaza ermöglicht."

"Die Erfindung des Traumas" von David Becker ist 2006 bei der Edition Freitag erschienen. Über die Arbeit von medico-Schweiz in Gaza findet sich ein Text im medico-Report 26 "Im Inneren der Globalisierung".


Rechtlos im Rechtsstaat?

Konferenz diskutiert die "Rückkehr der Folter" im Preußischen Landtag

Giorgio Agamben schreibt, dass das Versetzen eines Staates in den Ausnahmezustand Teil der gegenwärtigen demokratischen Praxis ist und dass dadurch ein Niemandsland zwischen Politik und Gesetz geschaffen wird. Der Notfallstaat oder Staat im Ausnahmezustand ist dabei weder chaotisch oder willkürlich organisiert, sondern unter juristischer Kontrolle, selbst wenn diese Kontrolle illegal ist. Das US-Gefangenenlager Guantánamo und die Aufweichung des Folterverbots im "Kampf gegen den Terror" sind signifikante Beispiele dafür. Unter der Frage "Rechtlos im Rechtsstaat" diskutierten am 14./15. Oktober in Berlin auf Einladung des republikanischen Anwaltsvereins (RAV) US-amerikanische Anwälte und europäische Menschenrechtler über gemeinsame Strategien gegen den Trend zu doppelten Rechtsstandards. Auch medico international unterstützte die Tagung.

Selbst in Westeuropa ist die Welt nur scheinbar in Ordnung: Hier starteten und landeten geheime CIA-Flüge mit sogenannten "Geistergefangenen", in Deutschland propagieren Juristen die "Rettungsfolter". Dass bereits vor dem 11. September 2001 "vogelfreie" Gefangene existierten, daran erinnerte die US-amerikanische Rechtsanwältin Jennifer Harbury, als sie auf die Verschwundenen, Getöteten und Folteropfer Lateinamerikas der 1980er-Jahre hinwies. Nur: Damals war es für die Angehörigen leichter, die demokratische (Welt)Öffentlichkeit zu sensibilisieren – im Jahre 2006 dagegen, wie sie anhand eines Falles aus dem Jemen berichtete, konnten fünf Männer ohne jeden öffentlichen Protest von der CIA verschleppt werden. Aber der einzigen Supermacht konnten Zugeständnisse abgerungen werden: Die US-Soldaten in Abu Ghraib wurden verurteilt und die Folterverfügungen des Pentagon durch Klagen US-amerikanischer Bürgerrechtler eingegrenzt. Für den RAV-Vorsitzenden Wolfgang Kaleck sind dies Erfolge einer neuen "Weltrechtsgemeinschaft", einem sich bildenden Netzwerk aus Menschenrechtsorganisationen, Juristen und Journalisten, das nicht nur auf die Gerichtssäle, sondern die öffentliche Mobilisierung der internationalen Zivilgesellschaft setzt.


Rohstoffe und Krieg

Tagung des Bündnisses "Entwicklung hilft"

Das Bündnis von fünf Hilfsorganisationen "Entwicklung hilft", in dem auch medico Mitglied ist, lud am 6.11. in Bonn zu der Tagung Die Rohstoffe Afrikas – Konflikt- und Entwicklungspotenzial ein. Die Tagung fragte nach den Möglichkeiten, die reichhaltigen Rohstoffvorkommen Afrikas der Bevölkerung und nachhaltiger Entwicklung zugute kommen zu lassen. Dazu gehören auch Instrumente, die verhindern, dass Rohstoffe immer wieder neu Anlass für Konflikte sind oder diese verstärken. Abu Brima vom Network Movement for Justice and Development (NMJD) in Sierra Leone war Gast medicos auf der Konferenz. Er sprach über die Wirksamkeit des "Kimberley-Abkommens", das Kriegsfinanzierung durch Diamantenschmuggel verhindern soll. Das Abkommen wird häufig als Vorbild für andere Rohstoffzertifizierungen herangezogen. Dazu Brima: "Das Kimberley-Abkommen verhindert nicht die Konflikte und Menschenrechtsverletzungen vor Ort – da wo die Diamanten geschürft oder abgebaut werden." Außerdem würden seine Kontrollmechanismen schlecht funktionieren. Und selbst wenn sie funktionierten, versuche das Abkommen nur den Handel mit Diamanten zu beeinflussen – die Produktionsseite werde völlig ausgeschlossen. "Aber gerade bei der Produktion entstehen Konflikte vor Ort. Die Menschen sind wütend, weil sie die Sprengungen, die Beschlagnahmung und Zerstörung ihres Ackerlandes – ohne jede Entschädigung, die Belästigungen der Sicherheitskräfte und die Hungerlöhne ertragen müssen", so Brima weiter. Die Diamantenfirmen benähmen sich in dem Land absolut respektlos. Selbst Regierungsvertreter würden sie nicht auf das Firmengebiet lassen. Und wenn das NMJD Untersuchungen zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen durchführen wolle, seien die meisten Gesprächspartner von den Diamantenfirmen bestochen, nur mühsam gelange die Wahrheit ans Tageslicht.


Jetzt spenden!