Covid-Patente

Menschenrechte first

15.12.2020   Lesezeit: 4 min

Wie in der Pandemie das Recht auf Gesundheit zum Eigentums- und Wirtschaftsrecht steht. Ein Gespräch mit Miriam Saage-Maaß vom ECCHR.

medico: Wenn man sich anschaut, wie die reichen Länder Impfstoffe für ihre Bevölkerungen sichern, geht der Glaube an eine gerechte globale Verteilung schnell verloren. Ihr habt in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme zur Frage der Patente veröffentlicht. Könntest Du eure Position kurz zusammenfassen?

Miriam Saage-Maaß: Die Covid-19-Pandemie forciert eine sich zuspitzende Gesundheits-, Wirtschafts- und Menschenrechtskrise, die soziale Ungleichheiten weltweit verschärft. Die Menschenrechte bei uns aber gerade auch im Globalen Süden sind in verschiedener Weise von dieser Entwicklung betroffen und werden verletzt. Ein besonders offensichtliches Problem ist der gerechte Zugang zu Covid-Medikamenten und Impfstoffen. Hier müssen menschenrechtliche Maßstäbe die deutsche und internationale Politik leiten – und nicht die Profitinteressen einiger Pharmakonzerne oder eine nationalistische „first-come-first-serve“-Einstellung.

Das heißt, aus Eurer Sicht wäre eine Aufhebung des Patentschutzes nicht nur politisch geboten, sondern auch juristisch einklagbar?

Aus rechtlicher Perspektive geht es in der Auseinandersetzung um Patente daum, ob das Menschenrecht auf Gesundheit Vorrang vor dem Schutz des geistigen Eigentums hat. Der UN-Menschenrechtspakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte statuiert in Artikel 12 „das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“. Hierzu gehört auch der Zugang zu essenziellen Medikamenten und Impfstoffen. Die Vertragsstaaten sind also menschenrechtlich verpflichtet, ihrer Bevölkerung so schnell und so umfassend wie möglich Zugang zum Covid-Impfstoff zu ermöglichen.

Diesem globalen Menschenrecht auf Gesundheit und den damit einhergehenden staatlichen Menschenrechtspflichten stehen die Rechte der Unternehmen gegenüber: Sie schützen die von ihnen entwickelten Covid-Impfstoffe über das Patentrecht. Wenn ein Pharmakonzern ein Patent auf einen Impfstoff angemeldet hat, dann ist sein geistiges Eigentum hieran grundsätzlich geschützt. Eigentum gilt auch als Menschenrecht. Es gibt hier also eine klassische Rechte-Kollision und es muss abgewogen werden: Dürfen wir das Recht auf geistiges Eigentum (Patentrecht) in der gegenwärtigen Situation zu Gunsten des Rechts auf Gesundheit und Leben einschränken? Dürfen Staaten also Zwangslizenzen erlassen oder, wie Südafrika und Indien fordern, auf internationaler Ebene eine temporäre Aussetzung geistiger Eigentumsrechte hinsichtlich der Covid-19-Impfstoffe (TRIPS-Waiver) beschließen? Aus meiner Sicht muss diese Abwägung klar zu Gunsten des Rechts auf Gesundheit ausfallen.

Wie seht ihr die Politik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang? Im Text sprecht ihr von „neokolonialem Verhalten“.

Westliche Länder könnten Staaten im Globalen Süden Spielraum und Autonomie ermöglichen, damit diese ihrer Pflicht nachkommen können, das Recht auf Gesundheit ihrer Bevölkerung zu garantieren. Rechte an geistigem Eigentum sind eine europäische Idee, die sich erst durch die brutale Kolonisierung großer Teile der Welt verbreitet hat. Einmal mehr drohen westliche Staaten, internationales Wirtschaftsrecht gegen die Menschen im Globalen Süden und deren Rechte durchzusetzen. Diese Dynamik hat klar neokoloniale Bezüge.

In diesen Debatten flammt eine Kritik am TRIPS-Abkommen über geistiges Eigentum und die Welthandelsorganisation wieder auf, die während der globalisierungskritischen Bewegung schon stark im Fokus standen. Wie schätzt ihr dieses Abkommen und auch die WTO aus menschenrechtlicher Perspektive ein?

Die Welthandelsorganisation zählt mit den dazu gehörenden internationalen Vertragswerken zum internationalen Wirtschaftsrecht. Da es keine Normenhierarchie im Völkerrecht gibt, stehen die Menschenrechte auch nicht grundsätzlich über dem Wirtschaftsrecht. Aber natürlich müssen wir von den jeweiligen Regierungen immer wieder fordern, dass sie den Menschenrechten und ihren eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen Vorrang vor Wirtschaftsinteressen geben.

Wie geht es bei euch weiter? Gibt es juristische Optionen, die sich daraus ergeben?

Betroffene Menschen können ihr Recht auf Gesundheit gegen die jeweilige Regierung einklagen. Wenn dieser Rechtsweg erschöpft ist, können sie unter bestimmten Voraussetzungen vor den UN-Ausschuss für den Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte gehen. Das kann aber Jahre dauern. Unternehmen könnten ebenfalls gegen Staaten klagen: Auf Entschädigung wegen der entgangenen Gewinne durch eine Aussetzung des Patentrechts beispielsweise. Sie würden sich dann auf sogenannte bilaterale Investitionsschutzabkommen stützen. Auch das dauert Jahre, bringt den Konzernen aber häufig Millionen. Und Zeit haben sie ja auch – im Gegensatz zu den meisten von Covid-19 betroffenen Menschen. Entlang dieser beiden Pole wollen wir zusammen mit anderen Organisationen diskutieren: Wie können Menschen weltweit ihre Rechte einfordern und wie kann die Macht der Pharmakonzerne mit rechtlichen Mitteln begrenzt werden?

Dr. Miriam Saage-Maaß ist Rechtsanwältin und stellvertretende Legal Director des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie das Programm Wirtschaft und Menschenrechte aufbaute und seit mehreren Jahren leitet. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin.

Die Fragen stellte Mario Neumann.


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