Nicaragua: No-Name-Produkt

18.08.2006   Lesezeit: 4 min

Weil Shell keine Entschädigung für erlittene Gesundheitsschäden an Plantagenarbeiter in Mittelamerika zahlen will, haben Gerichte die Marke gepfändet. Von Walter Schütz.

Felipe Jaime* ist Gerichtsvollzieher in Nicaragua. Anfang dieses Jahres hatte er einen besonderen Auftrag. Mit sichtlicher Freude stempelte er im Warenzeichenregister des nicaraguanischen Finanzministeriums den Kuckuck auf die Marke Shell. Er pfändete nicht Kraftstoffvorräte, Tankzüge und Tankstellen, sondern das Warenzeichen des internationalen Großunternehmens. Die Pfändung der Marke Shell vollzog sich nicht nur in Mittelamerika, sondern auch in Ecuador, Kolumbien und Venezuela. Pfiffige und geschäftstüchtige Anwaltskanzleien hatten sich die Verträge der Welthandelsorganisation (WTO), in der auch Nicaragua Mitglied ist, genauer angesehen. In dem riesigen Regelwerk für den Welthandel, das noch durch Regionalverträge wie in Mittelamerika durch das CAFTA - Freihandelsabkommen ergänzt wird, werden unter anderem Patente, Warenzeichen, geistiges Eigentum, aber auch Erfindungen bis hin zu Entdeckungen geschützt, damit sie nicht nachgeahmt und billiger verkauft werden können. Sie werden wie Handelswaren behandelt. Ihr Warenwert soll geschützt werden. Aber man kann sie auf diese Weise auch pfänden.

Die siegreichen Rechtsanwälte vertreten die Interessen mehrerer tausend nicaraguanischer Bananenplantagenarbeiter. Mit der gerichtlich durchgesetzten Pfändung wollen sie der Forderung ihrer Klienten auf Entschädigung für erlittene Körperleiden durch den Einsatz des Insektengifts Nemagon Nachdruck verleihen. In den 60er, 70er und noch in den 80er Jahren verkaufte die Shell Oil Company und die Dow Chemical Corporation an die Standard Fruit Company (heute Dole Food Company) das petrochemische Produkt Dibromchlorpropan (DBCP) unter dem Markennamen Fumazon oder Nemagon. Bereits damals war seine schädliche Wirkung für den Menschen bekannt. Unfruchtbarkeit, Genveränderungen, Dauermigräne und Kopfschmerzen, Leberschäden, Magen - und Nierenkrebs, Fehlgeburten, körperliche Missbildungen bei Neugeborenen sind einige der gesundheitsschädlichen Folgen, die der Einsatz des Insektizids bei den Plantagenarbeitern und ihren Familien verursacht hat. In der nicaraguanischen Provinz Chinandega gibt es ganze Dörfer mit verkrüppelten Menschen. Weltweit - neben Mittelamerika u.a. auf den Philippinen und in der Karibik - soll es 16.000 DBCP-Geschädigte geben. Viele von ihnen wurden mit 100 Dollar abgespeist, und mussten dafür auf alle weiteren Schadensersatzansprüche verzichten.

Obwohl es bereits 1958 bei Dow Cemical eine interne Studie über die Schädlichkeit des Insektizids gab, wurde der Einsatz des Gifts im Herstellerland USA erst 1979 verboten. Aber beide Hersteller verfügten noch über sehr große Vorräte. Es wäre sehr kostspielig gewesen, sie zu vernichten. Also verfielen die Giftmischer auf die Idee, die Produkte weiterhin in Mittel- und Südamerika zu verkaufen. Standard Fruit, damals weltweit größter Bananenproduzent, spielte mit und brachte das Gift zum Einsatz, weil es sehr wirksam und kostengünstig war. Dass Menschenleben damit gefährdet wurden, wurde wohlwissend in Kauf genommen. Mit kaum noch zu überbietendem Zynismus wurden auch die möglichen finanziellen Folgen bereits eingeplant. Standard Fruit legte einen Reservefonds in Höhe von einer Milliarde Dollar an, den heute Dole Food verwaltet, um eventuelle Schadensersatzansprüche bedienen zu können.

Die Warnlichter leuchteten erst Anfang der 90er Jahre auf, als immer mehr Kinder mit körperlichen Missbildungen im Osten Nicaraguas zur Welt kamen. Ein deutscher Kinderarzt, der auf der Geburtsstation im Krankenhaus in León arbeitete, berichtete, er habe noch nie so viele Neugeborene mit "offenem Rücken" gesehen. Mitte der 90er Jahre fingen die Geschädigten an, sich zu organisieren und Ansprüche anzumelden. Regelmäßig marschierten sie von Chinandega in die 150 Kilometer entfernte Hauptstadt Managua. Waren es 1999 noch wenige hundert, so waren es 2005 mehrere tausend. Sie kampierten oft wochenlang vor dem Parlamentsgebäude in einem Park unter notdürftig zusammengeschnürten Plastikzelten und erreichten schließlich, dass zu ihren Gunsten ein Gesetz verabschiedet wurde. Die Gesundheitsministerin ordnete an, alle Fälle zu untersuchen und ihre Krankengeschichten zu registrieren. Inzwischen sind mehrere tausend Behandlungen durchgeführt, soweit die Krankheiten überhaupt behandelbar sind. Parallel dazu wurden Rechtsansprüche auf dem Klageweg angemeldet. Nach dem Prinzip "teile und herrsche" war Dole Food schnell bereit zu entschädigen. Aber eben nur einen Teil der nicaraguanischen Arbeiter (ca. 500). Nicht so der Petrochemiekonzern mit der Muschel als Markenzeichen. Shell versuchte es zuerst mit juristischen Finessen. In jedem Einzelfall sollte geprüft werden, ob die Krankheitsursache auch auf das im Hause Shell hergestellte Gift zurückzuführen ist. Das hätte Jahre dauern können. Dann weigerte sich der Ölgigant, den Prozess in den USA stattfinden zu lassen, wohlwissend, dass dort wesentlich höhere Entschädigungssummen bezahlt werden.

Nach fünf Jahren fiel dann in Nicaragua die Entscheidung zugunsten der Bananenarbeiter. 2000 waren bereits an ihren Leiden verstorben. Aber es wurde nur entschieden, dass entschädigt werden muss, nicht in welcher Höhe. Das sollten die Parteien aushandeln. Aber auch dieses Urteil erkannte die Shell Company erst einmal nicht an. Jetzt stellte sie das ganze Justizsystem Nicaraguas als korrupt und parteiisch in Frage. Als dann die Anwälte der Bananenarbeiter auf die Idee verfielen, den Markennamen Shell zu pfänden, um den Ölkonzern an den Verhandlungstisch zu zwingen, ließ sich das Gericht nicht zweimal bitten und ordnete die Pfändung an. Falls Shell jetzt nicht verhandelt, kann der Name versteigert werden. Weltweit, bis die Entschädigungssumme für die Arbeiter zusammenkommt.


Jetzt spenden!