Nicaragua: Palmen für Palmerita

19.08.2005   Lesezeit: 6 min

Seit 2003 steht medico in Kontakt mit arbeitslosen Landarbeitern, die sich organisiert haben, um sich mit dem Aufbau eines eigenen Dorfes eine neue Existenz zu gründen. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der nicaraguanischen Regierung um Land und Unterstützung kann dieses Dorf nun entstehen. Hier die Vorgeschichte von "Palmerita", erzählt von unserem Projektkoordinator vor Ort Walter Schütz.

Am 7. September 2005 erhielt Rodrigo Salmeron, Bürgermeister von Malpaisillo, einer Gemeinde im Departamento León, ein vom Notar des Staates Nicaragua ausgefertigtes Dokument. Amtlich wird darin bestätigt, dass eine 500 Hektar große staatliche Hazienda an die Gemeinde übertragen wurde, um sie nun unter 153 Familien aufzuteilen. Die Familien seien mit entsprechenden Landtiteln auszustatten, heißt es in dem Dokument. Ein Etappensieg für die Landarbeiter-Familien von Palmerita. Seit fünf Jahren leben sie unter Plastikplanen und in Elendshütten vom Betteln und von Almosen. Nun wollen sie nach dem Vorbild von El Tanque, wo sich Überlebende des Hurrikan Mitch mit der Unterstützung von medico eine neue Existenz aufgebaut haben, ebenfalls ein neues Dorf gründen.

Die Kaffeekrise

Doch erzählen wir die Geschichte von Anfang an. Es begann mit einer menschengemachten Katastrophe, mit dem dramatischen Verfall der Kaffeepreise, der mit der Jahrtausendwende die nicaraguanische Ökonomie in eine tiefe Krise stürzte. Hunderte von Kaffeefincas im Raum La Dalia, La Tuma und Matagalpa konnten nicht einmal mehr kostendeckend produzieren und gingen Pleite. Getroffen aber wurden vor allem die auf den Fincas lebenden Tagelöhner. Um sie in Abhängigkeit zu halten, hatte man ihnen in der Vergangenheit statt eines gerechten Entgelts den Hungerlohn mit einem Stückchen Land versüßt. Dort bauten sie Kochbananen, Yuca, Mais und Bohnen für den Eigenbedarf an. Rechtlich waren die schmalen Gärtchen im Besitz der Hazienderos; mit dem Bankrott der Fincas wurden sie nun Teil der Konkursmasse. Hungermarsch nach Managua

Die Banken drängten auf Verkauf und darauf, dass die Fincas "sauber" - sprich frei von Tagelöhnern seien. Man vertrieb sie, indem man die Minifundien gezielt zerstörte. Einige hundert Familien organisierten schließlich einen "Hungermarsch", der es sogar in die Weltpresse schaffte. Zuerst besetzten sie in der Provinzhauptstadt Matagalpa wochenlang den Stadtpark. Schließlich kampierten sie im Park vor dem Parlament in der Hauptstadt Managua. Das war unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen. Die "liberale" Regierungspartei wollte keine Hungermarschierer, die den Wahlkampf stören. Also versprach sie jeder Familie Land, ein Dach über dem Kopf, Samen und Werkzeuge. Das war vor vier Jahren.

Man versprach ihnen die 500 Hektar große Hazienda "La Palmerita". Eine Hazienda im Staatsbesitz in der Gemeinde Malpaisillo. Ein geschickter Schachzug, denn nun waren die Tagelöhner im armen Malpaisillo "geparkt". Ein Ort noch dazu mit sandinistischer Mehrheit. Nach den Wahlen waren erst einmal alle Versprechen vergessen.

Wahlverwandtschaften

2003 erfuhren die vom provisorischen Leben unter Plastikplanen müden und zerstrittenen Hungermarschierer von El Tanque. Ein Dorf wie dieses schwebte ihnen auch für Palmerita vor: menschenwürdiges Wohnen, eine ökonomische Perspektive und eine Dorfgemeinschaft, die gewissen sozialen Schutz zu bieten in der Lage ist. Bei der ersten Begegnung fand man schnell eine gemeinsame Sprache, weil man die Erfahrung teilte, in der Katastrophe gehandelt zu haben. Die Tanqueros rieten dem Besuch aus Palmerita: "Hört mit dem Krieg untereinander auf und organisiert Euch wieder." Außerdem halfen sie ihnen mit Essen und schufen Verbindungen zu den staatlichen Stellen in León, die für die Vergabe der Landtitel zuständig sind. Bei dieser Gelegenheit lernte auch medico die kampfbereiten Landarbeiter kennen. Sie baten uns, ihnen beim Aufbau eines neuen Dorfes in Palmerita zu helfen. medico beauftragte neutrale Gutachter mit einer Machbarkeitsstudie. Ihr Ergebnis war, dass ein Projekt der integralen Gemeindeentwicklung durchführbar sei, wenn auch psychosoziale Unterstützung für die zukünftigen Siedler Teil des Programms wäre. Angesichts der langen Leidensgeschichte fehle manchem die Kraft und das Durchhaltevermögen für einen Neuanfang. Seitdem ist auch medico auf der Suche nach Unterstützung für die Familien von Palmerita.

Fehlende Sicherheiten

Klar war, mit Spendengeldern und öffentlichen Mitteln könnten die Menschen in Palmerita sich eine Zukunft aufbauen. Doch es fehlte die Sicherheit der Landtitel. Erst wenn der nicaraguanische Staat mit Brief und Siegel zusichere, dass die künftigen Bewohner von Palmerita die Landtitel bekommen, könne man über eine Mitfinanzierung des Projektes sprechen, signalisierte das Bundesministerium für Zusammenarbeit (BMZ). In Windeseile stellten wir eine Liste der Begünstigten zusammen. Viele hatten keinerlei Ausweisdokumente, nicht einmal eine Geburtsurkunde. Ein Richter und drei Zeugen übernahmen das im Schnellverfahren. So wurden aus Landarbeitern Staatsbürger, die nun ganz nebenbei auch zum ersten Mal wählen dürfen. Mit den 153 Familien, die künftig Bewohner von Palmerita sein werden, entwickelten wir gemeinsam einen Projektvorschlag: Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen, Häuser, Schulgebäude, Kommunaleinrichtungen, Trinkwasserversorgung, Abfallbeseitigung, aber auch landwirtschaftliche Produktion mit einem Kreditsystem, Alphabetisierung und Grundschule für die Erwachsenen, Ausbildung in der Landwirtschaft, medizinische Prävention und psychosoziale Betreuung.

Das eigene Gesetz

Doch noch immer fehlten die Landtitel. Wir rannten von Pontius zu Pilatus. Das kannten wir schon vom Kampf um die Landtitel in El Tanque. Hier eine kleine Chronologie: Der zuständige Beamte für die Verwaltung von Staatsland schrieb in der Sache an den Sekretär des Staatspräsidenten. Keine Antwort. Auf unser Drängen wandte er sich noch einmal an ihn mit der Bitte, das Land an den Bürgermeister von Malpaisillo zu übertragen mit der Auflage, es zugunsten der 153 Familien zu titulieren. Keine Antwort. Jemand ließ uns wissen, dass der Brief in den Aktenbergen der Rechtsabteilung des Präsidialamts liege. Also baten wir dort um eine Audienz. Dort teilte man uns mit, dass man einen Parlamentsbeschluss herbeiführen müsse, der dem Staat erlaube, das Land zu verschenken. Das aber könne zwei Jahre dauern, wenn es überhaupt je zustande käme. Man verwies uns an den Rechnungshof. Hier bestätigte man uns die Sache mit dem Gesetz und entließ uns mit dem Hinweis: "Am besten macht ihr es gleich selbst und bringt es mit zwei Abgeordneten ins Parlament."

So machten wir ein Gesetz. Doch das war nichts gegen die Schwierigkeiten, die anderen notwendigen Dokumente herbeizuschaffen: Kopie des Grundbucheintrags; Nachweis, dass der Staat Eigentümer ist; Nachweis, dass auf dem Grundstück keine Hypotheken liegen; Nachweis, dass die Grundstückssteuern bezahlt wurden; Nachweis, dass der Bürgermeister ordnungsgemäß gewählt wurde; Nachweis, dass der Gemeinderat die Schenkung auch entgegennimmt. Dass es schließlich im Parlament so schnell behandelt wurde, ist zwei Abgeordneten zu verdanken, die das Gesetz einbrachten, und der Sekretärin des Parlamentspräsidiums. Sie hatte Verständnis für die Nöte der seit Jahren ausharrenden Kaffeearbeiter. Am Ende stimmten alle 72 Abgeordneten dem Gesetz zu. Nun ist die Sache unter Dach und Fach. Wir haben inzwischen mit der Aussaat begonnen, um die zweite Regenzeit in Nicaragua noch zu nutzen. Die Saat ist aufgegangen. Und mittlerweile hat das BMZ unseren Antrag auf Kofinanzierung bewilligt.

Wir brauchen weitere Unterstützung für die neue Unternehmung – das Wiederansiedlungsprojekt in Palmerita. Das Spendenstichwort dafür lautet: Nicaragua.


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